Allgemeine deutsche Lehrerzeitung : pädagogische Zeitung ; Hauptblatt des Deutschen Lehrervereins: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung : pädagogische Zeitung ; Hauptblatt des Deutschen Lehrervereins. - 54.1925, [2. Halbjahr]

nen bey Setaisgegeben von Deutſchen Gehrerverein Verlag und Geſc äſtsſtelle: Verlin € 25, Kurze Straße 3/5; Schriſfileiter: Leo Raeppel, Berlin-Lichterfelde 1, Steinſtraße 80; Fernruf: Cichterfelde 5931 Fernruſ: Ulerander 498 GE enen ne wean u Newa en mN EN SMT NEIN NERI IEEIG zz R < | 54. Jahrgang Berlin, den 14. Auguſt 1925 Nummer 33 SRSGESSEISSCRURSERRERÄTCTERE TE ENNRCHNEGGHEHUHEEGEREH NEGER BORGES KANTEN HRE SANG TEIIREETERG NOS BIR INGANAN I EH GEE EENSTENEHINNG IEEE [3 nhalt: Die Pſychologie am Scheidewege. == Naturgeſehlich! = Heinrich Schulz. ==. Kunſtbetrachtung. == Rundſchau. == Wirtſchaftliche ; Fragen. = Verſchiedenes, == Anzeigen, " Die PSychodlogie am Scheidewege, Von Karl Mutheſius „Das naturwiſſenſchaftliche Jahrhundert hatte die Geiſtes- „ Wiſſenſchaften in ſeinen Bann geſchlagen, und beſonders die Dſycholoaie wurde ganz den naturwiſſenſchaftlichen Methoden Unterworfen. Biologiſche und phyſikaliſche Grundbegriffe, die "Denkformen der Entwiälungslehre beherrſchten ſie. Herbart ſah das Mittel, die Pſychologie als Wiſfenſchaft zu erweiſen, !darin, daß er eine „Seelenforſchung“ betrieb, „welche der [Naturwiſſenſchaft gleiche“, Er gründete ſie deshalb nicht nur jauuf Erfahrung und Metaphyſik, ſondern vor allen Dingen auf Mathematik, Er ging von der Annahme aus, daß das geiſtige Geſchehen „mit mathematiſcher Regelmäßigkeit" verlaufe. Die 'phyſikaliſchen Begriffe Statik und Mechanik waren für ſeine Pſychologie methodiſche Leitbegriffe, infolgedeſſen waren ihm die geiſtigen Zuſtände, die Vorſtellungen, „Kräfte und Größen“, die „berechnet“ werden konnten. Er und ſein Schüler Moritz Wilhelm Drobiſd haben viel Sharſſinn [darauf verwendet, Gleichgewicht und Bewegung, Sinken und "jiSteigen, Dru> und Gegendru> der Vorſtellungen, Bewußt ſeinsſchwellen, Hemmungsverhältniſſe und Hemmungsſummen mit verwickelten kubiſchen und biquadratiſchen Gleichungen, |Proportionew und Wurzelausziehungen, mit Logarithmen, |Differentialen und Integralen zu berechnen, y Ve. Ns: Dieſe mathematiſche Pſy<ologie hat Herbart zur Grund- ilage ſeiner Erziehnnas- und Unterrichtslehre gemacht. Denn ier war ein konſequenter Denker. Wenn alles geiſtige Geſchehen jmit mathematiſcher Regelmäßigkeit verläuft, ſo-ſelbſtverſtänd- [ieh auch“ der Lern- und Bildungsprozeß und der Aufbau der EIFRIGEN Perſönlichkeit“. Deshalb wurde der Lern- vörgang auf dem Schema der- ariſtoteliſchen Logik errichteiz ſchon der Schulanfänger gewann in jedem Unterrichtsfach, aum Dt „Geſinnungsunterricht“ auf dem Wege regelrechter Abſtrak-= tion „Begriffe“ und bildete mit ihnen +,, Syſteme“. Und die „mathematiſche Regelmäßigkeit“, mit der das alles verlief, be- ſtrikte die Lehrerwelt. Die ſo ſicher pſychologiſch begründete jund deshalb auch ſicher wirkende Schablone der „formalen jStufen“ gab ihr das Zaubermittel in die Hand, das Seelen- zund Geiſtesleben des wachſenden Menſchen ſyſtematiſch aufs= 'und auszubauen. Jahrzehntelang hat die Unterrichtslehre [Unter der Herrſchaft dieſer durchgehenden logiſchen Rationali- ſierung geſtanden. Die Geſchichte der Pädagogik wird einſt (Richter ſein über das Maß der Verirrung, das dadurch herbei- / geführt worden iſt. E 1" Die letzte Folgerung ſeiner naturwiſſenſchaftlichen Me- Hhode hat Herbart aber doch nicht zu ziehen gewagt. „Die Pſychologie“, ſagt er in der Einleitung zum Lehrbuch zur Pſychologie, aründe ſich auf „Experimente mit künſtlichen Werkzeugen und Rechnung“, dies ſeien „die großen Hilfsmittel ährer Entde>ungen“. „Die Pſychologie“, fährt er fort, „darf Init den Menſchen nicht erperimentieren "und künſtliche »Werk- Zeuge gibt es für ſie nicht.“ | „Sied ar f nicht. Das iſt.der Reſt von Ehrfurcht-vor-dem >» Menſchen und ſeiner Seele,“ Die Pſydhologie der Folgezeit hat dieſen Roſt von Ehrfurcht längſt aufgegeben." Sie hat ſich jenes größe Hilfsmittel der Naturwiſſenſchaft, das Experiment, Stündlich zunge gemacht, hat künſtliche Werkzeuge, Apparate Zu Hunderten erfunden," hat Laborakorien eingerichtet und ihre' 5 STerjuchsmethoden zu tmmer größerer Feinheit ausgebildet. X Sie experimentiert am Menſchen und ſeiner Seele, namentlich an der Seele des Kindes, unbedenklich und rüdſichtslos. SAE hat ſich zuletzt mit der Wirtſchaft verbunden und ſich in dent Dienſt der Rationaliſierung und Mechaniſierung des Produk« tionsprozeſſes' geſtellt, um die pſychophyſiſchen Funktionen für möglichſte Steigerung des Leiſtungseffektes experimentell nach-. zuweiſen. 0 Es iſt hier nicht der Ort, auf das Weſen der experimen tellen Pſychologie näher einzugehen, ihren Nutzen für die Päda- gogik, für die Berufsberatung und Berufsäusleſe und den Schaden, den ſie ſeeliſch angerichtet hat, gegeneinander abzu- wägen, die Grenzen, innerhalb deren ſie berechtigt, ja not= wendig ſein mag, äbzuſte>en und die Grenzüberſchreitungen, deren ſie ſich vielfach ſchuldig gemacht hat, aufzuzeichnen. Der ſtanden kann ſie 'nur werden innerhalb der Wiſſenſchaftsbewe= guns des lezten Jahrhunderts. Sie iſt ein Kind der durch die Fortſchritte von Naturwiſſenſchaft und Technik hervorgerufe- nen rationaliſtiſchen Denkweiſe. Mit ihr ſteht und fällt ſie. Seit einia.r Zeit iſt die Beſinnung darüber wieder wach 5e- worden und hat ſtetig zugenommen, ob.das tiefere Weſen des Menſchen, de; Menſchen als Einzelweſen und als Mitträger 4 1 j einer überindividuellen Lebensordnung, ob die Kultur, die er in ſeiner Erdverbundenheit und in ſeiner Verbundenheit als Volk in langer hiſtoriſcher Entwieklung geſchaffen hat, in ihrem ganzen Umfang, ob ſeine Seele mit dem ganzen Reichtum ihrer Cobensäußerungen, mit ihrem Leid und ihrem Glüd, mit ihrer Schuld und ihrer Seligkeit, mit den überzeitlichen Werten, deren Träger ſie: iſt, mit all den» tauſendfältigen Verwebungen und Verſchlingungen ihres. Lebens, mit. ihren Geheimniſſen und ihren Rätſeln, ob ſie wirklich mit. den natuvwiſſen: ſchaftlichemathematiſchen Forſchungsmethoden - erreichbar ſei. Die Geiſter beginnen-ſich- zu -ſeheiden, -die Geiſteswiſſenſchaften ſind in einem neuen. Aufblühen begriffen, "Mit -Nachdrutf hat Eduard Spranger die Theſe aufgeſtellt: Pſyhologiceä pſvchologice: die Seelenforſchung iſt nach geiſteswiſſenſchäft- licher Methode, nicht nach naturwiſſenſchaftlicher zu betreibeit. Und - der überraſchende Erfolg ſeiner ; letzten "Werke, der „Sebensformen“ und. der „Pſyrhologie des Jugendalters" kann als Zeichen der Abkehr von der intellektuell-rationaliſtiſchen Pſychologie, ja des Vordringens der Geiſteswiſſenſchaften überhaupt angeſehen werden. je Die Wendung, die die Verhandlungen des -Kongreſſes für experimentelle Pfychologie, der in der Oſterwoche in Niünchen tagte, genommen haben, ſind nur eine Teilerſcheinung in dieſem Entwielungsgang, allerdings aine bedeutſame und jedenfalls folgenſchwere, Nach Berichten in der Tagespreſſe hat Profeſſor William Stern mit ſeinem Vortrag über „Perſonaliſtif als Vorwiſſenſchaft der Pſy<ologie“ durchſchlagenden Erfolg gehabt. Er ſteilte der bisher herrſchenden mechaniſtiſchen Pſy- <hologie die perſonaliſtiſche gegenüber, deren Gegenſtand die menſchliche Perſon als pſychophyſiſche, „einheitliche, ſinnvolle Ganzheit ſei. Sie wolle nicht, wie die bisherige phyſiologiſch- erperintentelle Pſychologie die Seele vom Phyſiſchen aus deu- ton, ſondern gehe den umgekehrten Weg, alle pſyhophyſiſchen und ſeeliſchen" DPorgänge aus der Sinnbezogenheit auf das Ganze der..Perſon zu- erkennen. „An die Stelle der zerlegenden Betrachtung des Menſchen-habe die perſonaliſtiſche Betrachtung zu treten, denn der einzelne -pfychiſche Akt werde nur verſtänd- lich: durch die Beziehung auf die Perſon. Jeder pſyehiſchs Akt habe "eine Dienſtbedeutung, d.“ h; er werde teleologiſch, nach ſeinem Wert Jür die Petſon, gedeutet, und eine Strahlbedeu-

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