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ey nicht ſprechen, weil er vorausſeße, daß Jeder in
. der Verſammlung von ihr durchdrungen fei. Was die
Fragen über die Art und Weiſe des Betens betreffe,
ſo müſſe er ſie, in der Vorausſekung, daß Lehrer
und Schüler ſo ſeien, wie ſie ſein ſollen, in ganz
einfacher Weiſe beantworten. Beten müſſe der, der
es am beſten verſtehe, d. h., den Zwe> des Betens
in der Schule am beſten fördere, ſei es der Lehrer
oder der Schüler. Laſſe man zuweilen einen beſon:
ders befähigten Schüler beten, ſo ſei nur darauf zu
achten, daß es dieſem nicht zu einem Mittel der
Eitelkeit werde. Beten müſſe man, wie es einem
ums Herz ſei. Beten müſſe man, was man im
Herzen habe. Daher ſei das Gebet aus dem Herzen
von beſonderer Bedeutung. Und wenn man durch
ein ſchon vorhandenes Gebet ſich ſelbſt erſt erheben
und erbauen wolle, ſo müſſe man ſolche wählen, die
dem eigenen religiöſen Gefühle und dem kindlichen
Gemüthe entſprächen. Der Lehrer habe deswegen
den EindruE, welchen dieſes oder jenes Gebet auf
die Kinder mache, zu beobachten. Beten müſſe man,
wenn das religiöſe Bedürfniß bei Lehrer und Schülern
es fordere, Freilich könne man dieſes Bedürfniß den
Schülern nicht gerade anſehen und die Verhältniſſe
Machten hier etwas Beſtimmtes nothwendig, aber
die Schüler feien in religidoſer Beziehung ſo zu bil-
den, daß ihnen zu gewiſſen Zeiten das Beten eine
nothwendige Beſchäftigung werde. Ganz beſonders
ſei hierbei datauf zu halten, daß die Schüler nicht
nach aufregendem und zerſtreuendem Lärmen, ſondern
in geſammelter Stimmung zum Gebete ſich an-
ſchiten. |
Köhler -weiſt das Mißverſtändniß von Hör-
nig, als ob das Gebet keinen Zwe>X haben ſolle,
zurü>. Wedung des religiöſen Sinnes ſei der Zwes
eines jeden Gebets. '
Hiermit wird die Verhandlung über Nr. 1 des
Programms geſchloſſen. Nach einigen von Lansky
aus Dresden angeregten Bemerkungen Über parla-
mentariſche Ordnung und nachdem man beſchloſſen
hatte, über den vorher behandelten Gegenſtand keine
"- Reſolution zu faſſen? Ihlug. Benfey aus Göttin-
gen vor, nunmehr Dieſterwegs Vortrag über das
Programm der modernen Volksfſchule
folgen zu laſſen, /und wüuſchte, daß zur Beſprechung
über Nr. 3 des Programms, ſowie über Kinder-
gärten und weibliche Erziehung beſondere Sektionen
ſich bilden möcdſten. /--
Nach vierteiſtündiger Pauſe erſcheint Dr. Dieſter-
weg auf der Rednerbühne und beginnt ſeinen Vor:
trag über die Grundſäße, welchen die moderne
Volksſc<ule huldigt.
Die moderne Volksſchule wird mit vielen Vor-
„„ Es wird Mancherlei gelehrt und
würfen belaſtet.
wenig gelernt. Die ſtrenge Disciplin hat einer laxen
den Platz eingeräumt, die Pflege der Pietat und
des geſeßlichen Sinnes wird verſäumt, das Zeitſtreben |
hat ſeinen Grund in der Volksſchule, und die Schuld -
; Ehre dieſer Forderung bleibt ihnen. Sie forderten
fragen die Lehrer.“ Dieſe Anklagen kommen nicht
an, die Sache näher zu prüfen, und die Grundſäge
zuſammenzuſtellen, welchen die moderne Volksſchule
folgt. Der erſte Grundſaß derſelben iſt: allge:
meine Menſc<henbildung. Dieſer iſt ſhon von
den Griechen aufgeſtellt, im Mittelalter jedoch beſeis
tigt, aber neuerdings wieder hervorgerufen worden.
Das rein Menſchliche ſol im Menſchen entwielt
werden durch Erziehung und Unterricht, do< ſoll
dadurc<; nicht ein abſtrafter, ſondern ein konkreter
Menſc< gebildet werden mit nationaler Ausprägung
in individueller Form. Der Menſch gehört einer
beſtimmten Nation an. Dies Gepräge ſoll bleiben,
zugleich ſollen ſich ſeine urſprünglichen, natürlichen
Anlagen in ihrer eigenthümlichen Weiſe entwi>eln.
Das verſtanden die Alten beſſer. Wir behandeln
die Maſſen und verſäumen dabei die Berückſichtigung
des Individuums. |
Der zweite Grundfaß iſt: religiöſe Geſin-
nung. Sie iſt die Richtung des Menſchen vom
Vergänglichen aufs Unvergängliche, vom Sichtbaren
aufs Unſichtbare, das Leben im Ideal. Sie allein
verleiht ihm Thatkraft. Dieſe Geſinnung muß die
Boltsſ<ule in die 'Gemüther der Kinder pflanzen,
und dadurch den Vorwurf zurüFweiſen, als wollten
die Lehrer die Religion untergraben und das Chriſten»
thum beſeitigen. Die moderne Volksſchule polemiſirt
gegen den bisherigen Religionsunterricht aus reli-
gidſem Sinne. .
Der dritte Grundſaß iſt: ſittliche Richtung
des Menſchen. Sie iſt verſchwiſtert mit der reli-
giöſen Geſinnung , aber nicht von ihr abhängigz ſie
hat ihre eigne Wurzel, welche ins Leben hineintreibt.
Wir erkennen ſie daraus, daß der Menſch ſeine Privat-
intereſſen den allgemeinen Intereſſen unterordnet und
fich als Glied eines Ganzen betrachtet.
Vierter Grundſaß: die freie Entwi>elung
des innern Menſchen nach naturgemäßen
Grundſäßen. Die moderne Volksſchule will Nichts
in den Menſchen hinkintragen, ſie will freie, natur-
gemäße Entwi&elung nach inneliegenden Geſeken,
freie Bewegung und Entfaltung, unbekümmert um
die Folgen, die nur gut ſein können, da ſie der gött-
lihen Natur des Menſchen entſprehen. Wer dieſe
Grundſäße nicht feſthält, ſondern Grenzen ziehen will,
der iſt ein Feind des Menſchen. Da wir es mit
der deutſc<en modernen Volksſchule zu thun haben,
ſo kömmt dazu noc< die Entwi>elung der deut-
ſchen Nationalbildung. Bei Vergleichung der
Schule zu Luthers Zeit mit der modernen Volks-
ſchule muß uns hohe Freude erfüllen. Dort tödtender
Mechanismus, hier rationelle Entwi>elungz; damals
methodiſches Verfahren , jekt ausgebildete rationelle
Methodik. Daraus erkennen wir die Pflicht, dieſen
Entwielungsgang der Schule fortzuführen.
Seit 1848 hat man über die deutſchen Lehrer
den Stab gebro<en. Ihre Noth war groß, gleich-
wohl ſtellten ſie an die Spipe ihrer Forderungen
tiefere, gründliche Bildung für den Lehrerberuf. Die
blos von außen, ſondern aus der Mitte der Lehrer, | Beaufſichtigung der Schule dur; Sach- und Fach-
3. B. von Eurtmann. Solche Anklagen treiben uns ! kenner im Intereſſe der Schule. Sind die Lehrer