Full text: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung - 4.1852 (4)

weichung zur Ausführung bringen. Es ſind mir 
mehrere Beiſpiele bekannt, wo die unvollſtändige öder 
unrichtige Auffaſſung ſeiner Ideen, die er ſonach ſelbſt 
als ein zuſammenhängendes unverletlices Syſtem 
betrachtet, eine unerbittliche Entfremdung zur Folge 
hatte. Nun kann aber doc< ſchwerlich Jemand im 
Ernſte beanſpruchen, mit einigen Andeutungen über 
die erſten Beſchäftigungen der Kinder ein neues Er- 
ziehungsſyſtem geſchaffen zu haben, welches nog dazu 
in allen ſeinen Theilen als das allein wahre gelten 
ſol. In gleicher Weiſe kann der philoſophiſche An- 
ſtrich, welcher von dem Verfaſſer dem ganzen Ge- 
bäude gegeben wird, do< nun und nimmermehr. etwas 
Weſentliches zur Entwikelung des Kindes oder zum 
Verſtändniß für die Erzieher beitragen, weil eben 
dieſer unpaſſend hervorgehobene philoſophiſche Zuſam: 
menhang nur ein erfünſtelter, in der Phantaſie des 
Baumeiſters beſtehender iſt. Und gleich künſtlich und 
darum einerſeits ganz unkindli<, andererſeits allzu 
matt und unpoetiſch ſind auc; nicht wenige ſeiner 
Spiele und Lieder für Kinder. Will es doch Frö- 
beln ſelbſt, dem das Glü> der VaterfreudMm eignen 
Leben leider fremd geblieben iſt, nicht recht gelingen, 
mit den Kindern angenehm und anregend zu ſpielen, 
und ſind wir deshalb, um eine günſtige Meinung 
von dem Ganzen zu erhalten, vielmehr auf ſeine 
Freunde und Schülerinnen gewieſen, unter denen der 
liebenswürdige, kindlich - gemüthliche Middendorf in 
Keilhau obenan ſteht. -- Wodurch Übrigens der den 
Pflegeanſtalten der erſten Kindheit ertheilte Name 
„Kindergärten“ gerechtfertigt erſcheint, und was er 
allein bedeuten ſolle und könne, haben weder die 
Schriften Fröbel's, noc< die mit der Sage nur vom 
Hörenſagen bekannten belletriſtiſchen Journale, no< 
auch die lekte Rede Dieſterwegs bei der Errichtung 
des erſten Kindergartens in Berlin genügend darge: 
than. Sollen dieß gleichſam Gärten ſein, in welchen 
die Kinder wie Blumen gepflegt werden und auf: 
wachſen, und ſoll hierdurch, wie es meiſt ſcheint, die 
naturgemäße Behandlung des Kindes gemeint ſein, 
ſo iſt in- dieſem Sinne jede Schule =- denn auch 
dieſe haben ſchon ſeit geraumer Zeit das Heranbilden 
an der Natur und in naturgemäßer Stufenfolge 
ernſtlich und nicht ohne Erfolg erſtrebt =- ein Kin- 
dergarten. Oder ſoll ein wirklicher Garten für Kin- 
der, wie dieſer allerdings für eine ſol<e Anſtalt un- 
entbehrlich iſt, darunter verſtanden werden, =- ein 
AusdruFE, der wenigſtens für die Kinder ſelbſt ver: 
Fändlich wäre, -- ſo paßt dieſer Name nur für den 
Sommer, ſowie für die günſtige Witterung und iſt 
ſonach- ebenſowenig der Sache angemeſſen, da die 
Kinder doch einen ſehr großen Theil des Jahres 
nicht im Garten, ſondern in der Stube zubringen 
müſſen. Daß der Name „Kindergarten“ im erſten, 
“ alſo im uneigentlichen Sinne, etwas Poetiſches hat, 
kann doM; unmöglich zur Annahme deſſelben beſtim: 
men. Scwerlic<h möchte ein Name für ſolche An- 
ſtalten ſich mehr eignen, als der Name ,„,Pfleganſtalt“ 
oder in Uebereinſtimmung mit der ſich daran eng 
anſchließenden Schule und Fortbildungsſchule der 
Name „Vorſc<ule.“ Darin aber, daß in den Kin- 
 
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dergärten „nur geſpielt und durchaus nicht gelernt 
wird , vermag ich troß des Accentes, welchen man 
hierauf legt, doch keinen beſonderen Vorzug derſelben 
vor Bewahranſtalten, Kleinkinderſchulen und allen 
ähnlichen Anſtalten zu erkennen, da das Spiel in 
jenen Kindergärten ſyſtematiſch und mit dem gar 
nicht verhehlten Zwe>e des Lernens betrieben wird, 
eine kurze, ernſtere, dieſem Alter angemeſſene geiſtige 
Thätigkeit auch bei der ſchon früh erwachenden Wiß- 
begierde des Kindes nur fälſchlich für eine Natur- 
widrigkeit und Verfrühung gehalten werden kann. 
Hierher rechne ich namentlich das Erzählen, das An- 
ſchauen und Beſprechen von Bildern, das Erlernen 
kleiner Veröhen, die Vorübungen zum Zählen und 
ſpäter zum Schreiben und Leſen. Es iſt darum ge- 
wiß auch höchſt bemerkenswerth, daß ſich noch kein 
Kindergarten ganz im Sinne Fröbel's erhalten hat, 
und daß ſelbſt die eifrigſten Kindergärtnerinnen in 
der Praxis gar bald anſehnlich von Fröbel abwichen. 
Das Reſultat dieſer ganzen Beurtheilung nun 
faſſe im in Folgendem zuſammen : man möge ja durch 
übertriebene Lobpreiſungen wie durch die Gleichſtellung 
mit, Peſtalozzi der Sache und der Perſon nicht ſcha- 
den, welche hoher Achtung und Anerkennung werth 
ſind! Man laſſe ſim nicht durch die längſt bekann: 
ten und hier gerügten Ausſtellungen von der Kennt- 
niß und Prüfung der Angelegenheit abhalten, ſondern 
ſuche und prüfe ſelbſt, denn es iſt gar Mancherlei 
Brauchbares zu finden und zu lernen, wie die ein- 
fachen Ball: und Klöß<henſpiele und die Uebungen 
in Handfertigkeiten, welche im ſelbſt noc< für die 
Elementarklaſſen der Schule mit ſi<tbarem Nußken 
in Anwendung bringe. Es bleibt ſelbſt nac< ſirenger 
Sichtung no< genug, was die Lü>en in der erſten 
Beſchäftigung der Kinder ausfüllt, und was unſern 
wärmſten, unſern unauslöſchlihen Dank verdient! -- 
Ehre dem edlen Streben des treuen Freundes unſrer 
Kleinen! -- Die beſonnene Mitwirkung und der ver- 
diente Lohn bezeuge die Erkenntlichkeit der gerechten 
und dankbaren Mitwelt! 
Dresden, Januar 1852. 
. S. M. Budich, Suldirektor. 
 
 
Ueber die wiſſenſ<aftliche Bildung der 
Volksſchullehrer. 
Wenn ein Kleidermacher| ſagte, er könne die 
Nürnberger Nadeln nicht brauchen, und er wolle 
Schwabacher, dieſe ſeien beſſer, ſo denken andere 
Leute, der Mann muß das wiſſen, und laſſen ihn 
gewähren. Nur etwa der Nürnberger Nadler ſelber 
ſucht ihm zu beweiſen, daß er im Irrthume ſei. =- 
So geſtattet man jedem Handwerker nicht nur ein - 
Urtheil über ſeine Werkzeuge, ſondern man ſteUt ihm 
auch ganz frei, mit denſelben nach ſeiner Anſicht zu 
wechſeln. “ Auch der Bauer darf ſi<, ohne tadelnde 
Abmahnungen zu erleiden, einen neuerfundenen Pflug 
kaufen und eine verbeſſerte Dreſchmaſchine anſchaffen. . 
Sobald dagegen der Volksſchullehrer ſagt, er brauche 
eine beſſere Bildung, und ſeine Bildung müſſe künftig 
eine wiſſenſchaftliche ſein: ſo ſtehen ſogleich hundert 

	        
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