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nur ſparſam anwenden dürfe, daß ihre immerwährende An-=
wendung eine gefährliche ſei, indem ſie den Glauben unter=
grabe, und was dergleihen mehr iſt. Darum ſoll es hier
meine Aufgabe ſein, über das Prinzip der Entwicklung im
Religionsunterrichte einige Worte zu jagen.
5. Alles Geſchichtliche, al8 etwas poſitiv Gegebenes,
Ichon lange Exiſtirendes läßt ſi< natürlich niht entwickeln ;
das muß aud) dem Kinde gegeben werden. Auf den hiſto-
riſchen Theil des Religionsunterrichtes läßt ſich
demnad< das Prinzip der Entwicklung nicht an-
wenden. Aber unſer Religionsunterricht beſteht nicht blos
in bibliſcher Geſchichte ; er muß außerdem auch noch religiöſe
Ideen , religiöſe Wahrheiten , Begriffe, Grundſäte u. dgl.
dem Schüler zum Bewußtſein bringen. Dieſe religiöſen
Wahrheiten , als etwas Abſtraktes, dürfen dem Zögling nie=
mals gegeben werden ; dieſe muß er ſelbſtthätig finden unter
Anwendung einer entwickelnden Fragweiſe von Seiten des
Lehrers. Alſo bezieht ſich das Prinzip der Entwick-=
lung blos auf den rationellen Theil des Reli-
zionsunterrichtes.
6. Dieſe Entwieklung der abſtrakten veligis-=
ſen Wahrheiten ſetzt nun allemal eine weiſe Aus-
wahl der Deduktions8quellen voraus -- und eine
ſolhe iſt durhaus no< nicht überall zu finden. Das Ab=
ſtrafte kann von Volksſ<hülern nur gefunden werden, wenn
von etwas Konkreten ausgegangen wird. Aus Abſtraktem
Abſtraktes finden laſſen =- das geht zwar auch manchmal an,
eignet ſich aber im der Regel nur für gereiftere Zöglinge, wie
ſie Volksſchüler nicht ſein können, und auch bei dem Unter=
richte ſolcher Leute wäre es beſſer gethan, wenn man haupt=
ſächlich nur aus Konkretem entwickelte. Darum müſſen
die Deduktionsquellen im Religiounsunterrichte
allemal etwas für das Kind Anſ<hauliches, Kon
fretes ſein, und etwas Abſtraktes kann hier nie
als Deduktionsquelle auftreten.
7. Sehen wir nun dieſen konkreten Deduktions8quellen
etwas genauer ins Angeſicht. Wenn die Deduktionsquellen
einen konkreten Charakter an ſich tragen ſollen, ſo müſſen ſie
entweder hiſtoriſ<er Natur ſein oder ſie müſſen in ſolchen
Zuſtänden und Verhältniſſen aus dem menſ<-
lichen Leben beſtehen und in folhen Erſchemungen in
der Natur, von denen man vorausſetzen kann , daß fie dem
Kinde hinlänglich bekannt ſind.
8. Was zunächſt die hiſtoriſchen Deduktions-
quellen anbetrifft, ſo bietet die heilige Geſ<1i<Hte --
wie ſie in der Bibel vorliegt = eine reiche Fundgrube dar.
Viele religioſe Wahrheiten laſſen ſich herleiten aus der bib-
liſchen Geſchichte ; ja es gibt bibliſ<e Geſchichten, welche
mehrere ihrem imnern Weſen nach verwandte und zuſammen=
gehörige Ideen aus ſich heraus entwickeln laſſen. Das iſt
unbedingt ein Vorzug dieſer Geſchichten ; denn wenn zu jeder
nenen Wahrheit auch allemal eine neue Geſchichte als De=
duftions8quelle auftritt, dann kommt weniger Halt und Zu=
ſammenhang in die gefundenen Wahrheiten, als wenn letz=
tere aus einem großen Lebensbilde hergeleitet werden. I<
erinnere beiſpielsweiſe an das herrliche Gleichniß vom ver=
lornen Sohne, in welchem die ganze Lehre von Sünde, Ver-=
derben , Buße, Glaube und Rechtfertigung verborgen liegt,
oder an das vom Schalkskneht (Lehre von der Vergebung),
ferner an die Geſchichte der Sündfluth (Gottes Heiligkeit,
Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit), an Joſephs Geſchichte (Er=
haltung und Negierung der Welt), an die Geſchichte des
Sündenfalles (Lehre von der Sünde und ihren Folgen) 2c.
9. Nun gibt es aber doh auch religibſe Wahrheiten,
für die ſich keine Deduftions8quellen m der heiligen Geſchichte
auffinden laſſen. In dieſem Falle greife man in dieKir<en-
und Profangeſc<hichte oder au< in das gewöhnliche
Leben und in die eigne Erfahrung, ſowie in die
Erfahrung des Kindes. I< kann derartige Deduk-
tionSquellen niht verwerfen, wenn ſie auch nicht von heiligen
Männern unter Leitung des heiligen Geiſtes -- wie die bib=
liſ<en Geſchichten =- aufgezeichnet worden ſind. Ia es
fragt ſich no<h , ob nicht vielleicht ſol<he Geſchichten, welche
das Kind ſelhſt hat vor fich gehen ſehen , welche es alſo ſelbſt
mit erlebt hat --, ic ſage , ab nicht vielleicht derartige Ge=
ſchichten ſogar den Vorzug verdienen vor jeder andern dem
Kinde gegebenen Erzählung, auch vor jeder bibliſ<en. JIenem
methodiſ<hen Grundſatze: Vom Nahen zum Entfernten , vom
Bekannten zum Unbekannten! wird man wenigſtens voll-
ſtändig gerecht, wenn man Geſchichten aus der eignen Er=
fahrung des Kindes mehr als andere Erzählungen zu De=
duftion8quellen benutzt. Die Anknüpfung an ſelbſt Erlebtes,
ſelbſt Geſehenes und Gehörtes iſt ganz beſonders eine An-
knüpfung an etwas dem Kinde Nahes und ihm Bekanntes.
Ebenſo ſind auch, wenn Zuſtände und Verhältniſſe
aus dem menſ<lichen Leben als Deduktions8quellen auftreten,
diejenigen am geeignetſten , welche das Kind ſelbſt betreffen,
wie 3. B. die, welche das Verhältniß des Kindes zu ſeinen
Aeltern berühren. -- Was die Geſchichten aus dem gewöhn-
lichen Leben anlangt, ſo haben Caspari, Stöber , Glaub-=
recht u. a. derartige Erzählungen geſammelt ; viele von ihnen
laſſen ſich beim Religionsunterrichte als Deduktionsquellen
verwerthen. -- Um aus Deduktions8quellen aus der Profan-
geſchichte ſchöpfen zu können, muß der Lehrer allerdings ein
umfaſſendes hiſtoriſches Wiſſen haben ; aus bloßen geſ<ic<t-
lichen Kompendien, Lehrbüchern, wie ſie in Schulen zu Grunde
gelegt werden, kann er nicht Deduktionsquellen entnehmen ;
er muß vielmehr geſchichtliche Spezialwerke ſtudirt haben.
10. (Cs gibt nun aber Pädagogen, wel<he -- was die
Deduktionsquellen betrifft =- niemals von der Bibel ab-=
weichen zu dürfen glauben. Alles muß na<h ihrer Anſicht
aus der Bibel oder wenigſtens aus dem Geſangbuche, als
aus dem Satze heiliger Lieder, entnommen ſein. Wenn
ſie darum zu gewiſſen religiöſen Wahrheiten keine bibliſchen
Geſchichten als Deduktionsquellen auffinden können, ſo neh=
men ſie ihre Zuflucht =- anſtatt zu andern Geſchichten zu
greifen =- zu Bibelſprüchen oder Kirchenliedern. Nah meiner
Ueberzeugung aber dürfen Bibelſprüche und Kir<en-
liederniemals als Deduktionsquellen auftreten.
Der Spruch iſt etwas Abſtraktes; es läßt ſi< deshalb im
Grunde genommen aus ihm in der Volksſchule nichts ent-
wickeln. Nur auf der oberſten Stufe, wo die in Sprüchen
liegenden abſtrakten Ideen von den Schülern bereits hin-
länglich verſtanden ſind, könnte ausnahmsweiſe hin und
wieder einmal aus einem Spruche entwickelt werden. Der
Bibelſpruch hat im Religionsunterrichte weniger als De=-
duktionsquelle einen Platz; es gebührt ihm hier vielmehr
ein ſolcher, inſofern er als BeweiLsſtelle zu den bereits
entwickelten religioſen Wahrheiten aufzutreten hat. Man
wundert ſich, daß in vielen methodiſchen Anleitungen zum
ReligionsSunterrichte der Spruß als Deduktion8quelle nod)
nicht durc< die Geſchichte als ſolche verdrängt worden iſt,
namentlich bei ſol<hen Partien, wo bibliſche Geſchichten
hinlängli< vorhanden ſind. So entwidelt man 3. B. den
Begriff des Glaubens (Vertrauen auf die Gnade Gottes in
Chriſto) immer no< aus Hebr. 11, 1. Hier hat man das
reine Abſtraktum als Deduktion8quelle, und die Entwicklung
iſt eine ſ<were. Wie ganz anders wird der Begriff des
Glaubens den Schülern klar, wenn man ihn aus der ſchönen
Geſchichte vom kananäiſhen Weibe oder aus der vom Haupt=
mann zu Käpernaum deducirt! I< mae bei dieſer Ge-
legenheit aufmerkſam auf das Buch vom Seminardirektor
Krüger: „Entwurf einer entwickelnden Katechi8smuslehre.“
Der Verfaſſer will jede religiöſe Wahrheit entwickeln, und