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einen dem betreffenden kindlichen Alter zugänglichen idealen Ge-
halt haben.
Die bibliſchen Bilder ſollen = wie alle Bilder -- den äſtheti-
ſ<en Sinn der Kinder erwecken und ausbilden. Daraus ergiebt ſich
unſere vierte Anforderung, die freilich ſchon mit in der erſten ent-
halten iſt; denn daß ein Bild, welches von einem wirklichen, von Gott
begnadeten Künſtler geſchaffen iſt, in der techniſchen Ausführung nichts
Unſchöne8, Mangelhaftes oder gar Fehlerhaftes enthalten darf, liegt
ſo ſehr in der Natur der Sache, daß es eigentlich nicht beſonders be-
tont zu werden braucht. Da ein Techniker indeſſen immer no<h kein
Künſtler iſt und wir bei vielen Reproduktionen unſerer vorzüglichſten
Meiſter oft Mangelhaftes und Unſchönes finden, ſo wollen wir doch
no<h ausdrüclich hervorheben, daß beſonders die Geſicht8züge und die
Geſamthaltung jeder einzelnen Perſon ausdru>svoll und <harakteriſtiſch
ſein muß.
Auch diejenigen Darſtellungen, welche grauſame und blutige
Handlungen zum Gegenſtande haben, können den äſthetiſchen Sinn der
Kinder weder wecken, noch bilden, da ſie die Vorſtellungen und das
ſittliche Urteil der Kleinen noch leichter verwirren als die Erzählungen.
Zu dieſen Bildern gehören: Kain erſchlägt Abel, die Erwürgung der
Erſtgeburt in Aegypten, Achan wird geſteinigt, Samuel tödtet Agag
u. v. a- Wir können nur ſolche Bilder empfehlen, durc< welche
unſere Kinder für das Gute und Schöne gewonnen werden.
Neben dem ſc<on dargelegten Hauptzweck der bibliſchen Bilder
haben dieſelben aber auch die Aufgabe, die Kinder mit den nationalen
und lofalen Gebräuchen und Eigentümlichkeiten, wie ſie uns im bür-
gerlihen und religiöſen Leben der dargeſtellten Perſonen durch Klei-
dung, Wohnung, Mahlzeiten, div. Verrichtungen, Opfer u. ſ. w. ent-
gegentreten, befannt zu machen. CS iſt oben ſchon auf die Notwen-
digkeit, der Einbildungskraft der Kinder beſonders auf dieſem, ſo leicht
in Ungeheuerlichfeiten ausartenden Felde nicht freien Spielraum zu
laſſen, genügend hingewieſen worden, ſo daß wir uns weiterer Dar-
legung enthalten können. *
Wir fordern alſo fünfteuns von zweentſpre<henden Bildern, daß
ſie eine <arakteriſtiſche nationale und lokale Einkleidung haben.
Selbſtverſtändlih dürfen dabei die Bilder ebenſo wenig gegen
die Wahrheit verſtoßen, als auc) durch einzelne, oft ziemlich nahe
liegende Darſtellungen den keuſchen, unſchuldigen Kindesſinn verleßen.
Dem unſittlichen Bilde wohnt eine viel größere Kraft inne als dem
keuſchen, reinen. Mit dämoniſcher Gewalt übt es ſeine Wirkung
leider auc< ſc<on auf unſere Kinder aus, und die Schule hat, da
außerhalb derſelben unſerer Kinderwelt leider ſchon manches Ver-
derbenbringende geboten wird, um ſo mehr die Pflicht, derſelben nur
Edles, nur das Beſte vorzuführen.
Wenn die bibliſchen Bilder aber auch alle biSher genannten und
näher begründeten Forderungen in ſich vereinigen, ſo ſind ſie doch nur
daun wirklich zweentſprechend für die Schule, wenn ſie in ſo großem
Formate vorliegen, daß ſie ſelbſt in einer gefüllten Klaſſe allen Kin-
der deutlich erfennbar ſind; denn micht einzelne allein, ſondern alle
Schüler ſollen unter der Anleitung des Lehrer8 das Bild ſtudiren
und muß daher jede einzelne Partie desſelben deutlic< erkennbar fein.
Au<h wirkt nach alter Erfahrung eine bildliche Darſtellung in größerer
Weiſe erhebend auf das Gemüt de8 Beſc<hauers, wenn gewiſſe Dimen-
ſionen nicht fehlen.
Die früher vielfac beliebte Manier, daß der Lehrer mit klei-
nen Abbildungen von Bank zu Bank läuft, läßt ſich einmal vom
pädagogiſ<en Standpunkte aus in keiner Weiſe verteidigen, eignet ſich
fürs andere aber auc am allerwenigſten für den Religion3unterricht,
da die rec<te Weihe der Stunde nur durch ſtraffe, ununterbrochene
Sammlung der Kinder erzielt und erhalten werden kann.
Endlich verlangen wir von zwedentſprecßenden bibliſchen Bildern,
daß ſie unkolorirt ſind; denn vom Standpunkte wahrer Kunſt und
edler Jugendbildung können wir nur wirkliche, gute Gemälde und
das unkolorirte, gute Bild als das Auge wahrhaft bildend, die Phan-
taſie we>end und belebend und den äſthetiſchen Sinn erweiternd und
ausbildend bezeichnen. Die Schablonenkleckſerei beſticht mit ihren
grellen Farben wohl das ungebildete Auge, lähmt aber die Phantaſie
und macht das Kindes8auge für reine, beſtimmte Formen und Linien
unempfänglich, erinnert aueh zu ſehr an Theateraufzüge und giebt
damit dem heiligen Gegenſtande ein höchſt unpaſſendes Gewand.
Viele Lehrer ſind freilih Freunde der kolorirten Bilder. Ja,
neuerding3 haben mehrere Verleger, die nur unkolorirte bibliſche Bil-
der in ihrem Verlag hatten, dieſelben auch in einer kolorirten Aus-
gabe erſcheinen laſſen; ein Beweis dafür, daß die letzteren vielfach
verlangt werden.
Sehen wir uns nun auf Grund dieſer ſieben Forderungen die
der Schule gebotenen Bilder näher an.
Von der Zeit an, da die bibliſche Geſchichte als eine ſelbſtändige
DiSs8ziplin in der Schule auftrat, bemühten ſich die Pädagogen, der-
ſelben durc< Bilder helfend zur Seite zu ſtehen. Schon die erſte
vollſtändige bibliſche Geſchichte: „Bibliſcher Aus8zug oder Hiſtorien mit
Bildern“, von dem Frankfurter Prediger H. Beyer verfaßt (erſchien
1571; wurde von Juſtus Geſenius fortgeſeßt; die 3. Auflage er-
ſhien 1719), ſ<lug dieſen Weg ein. Au die für den bibliſchen
Geſchicht8unterricht bahnbrehend gewordenen „Zweimal zwei und
fünfzig bibliſche Hiſtorien“, welche 1714 von dem Hamburger Rektor
Hübner herausgegeben wurden, in vielen Auflagen länger als ein
Jahrhundert ihren Platz in unſern Schulen behaupteten und im wah-
ren Sinne des Wortes unſerer Jugend das „ſegensreichſte Buch" ge-
worden ſind, brachten Bilder. Andere Bibelbilderwerke des 17. und
18. Jahrhunderts, wie z. B. die Weimar'ſche Bilderbibel, die <riſt-
liche, gottſelige Bilderſ<ule, das Pfaff' ſche Bilderbibelwerk u. v. a.
famen der Schule weniger zu Nuße.
Alle dieſe Bilder aber waren nach jeder Beziehung hin unvoll-
fommen und zeigten den tiefen Verfall der deutſchen Kunſt während
des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie hatten außerdem eine dunkle
Schattenſeite. Auguſt Hermann Niemeyer ſagt in ſeinen Grundſäten
der Erziehung und des Unterricht3 von denſelben: „Selbſt die an-
ſtößigſten Szenen, den entfliehenden Joſeph, Bathſeba im Bade, die
keuſche Suſanna, den trunkenen Lot mit ſeinen Töchtern erblickte man
in den bibliſchen Hiſtorien zum Gebrauche der lieben Jugend. Das
Sichtbare wurde ebenſo gut wie das Unſichtbare, ſelbſt das Göttliche
(und oft in welchen Geſtalten!) dargeſtellt. Gewiß haben auch dieſe
bibliſen Bilderbücher den Zwe> einer früheren Verſtande3entwiklung
und Anregung moraliſcher Gefühle und oft wohl ebenſo gut befördert
wie unſere modernen, zwar geſ<madvolleren, aber nicht inmmer inhalt-
reicheren Bilderbücher. Alles kam dabei auf die Erklärer an, und
viele Menſchen würden das Vergnügen oder die ſanfte Rührung nicht
miſſen wollen, die bei ihnen durc< ſo manche Bilderbibel angeregt
wurden. Äber ſie haben auch viel geſchadet und mitunter gewiß höchſt
verfehrie Jdeen in junge Seelen gebracht.“ Niemeyer fügt dann
dieſen Worten eine Beſprechung der Erſcheinungen der erſten zwei
Jahrzehnte des 19. Jahrhundert8, die einen bedeutenden Schritt
zur beſſeren Darſtellung erkennen laſſen, hinzu, die aber, wie die von
Gotha ausgegangene „moraliſ<e Bilderbibel von Loſſius“, durch
ihren Preis (25 Tir. 12 Ggr. und 17 Tir. 12 Ggr.) der Schule
verſchloſſen blieben.
Vom dritten Jahrzehnt unſers Jahrhunderts an haben wir fol-
gende, der Schule mehr oder wemger nutzbar gewordene Erſcheinungen
zu nennen:
1) Schulbilderbibel in 30 Bildern alten und neuen Teſtaments,
herausgegeben zum Beſten der Diakomſſenanſcalt von Th. Fliedner.
2) Bilderbibel. Fünfzig bildliche Darſtellungen von O Livier. Nebſt
einem begleitenden Text von G. H. von Schubert. Gotha, Fr. Andr.
Perthes. Neuz Ausgabe 1878. Preis 6 Veark,
3) Die Geſchichte de8 Reiches Gottes nag der heiligen Schrift in
Bildern von W. von Kügelgen. Mit andeutendem Text herausgegeben
von Dr. F. A. Krummacher.
4) Bilder aus der bibliſm<en Geſchichte A. T. naß Zeichnungen von
Walch. Augsburg.
5) Bildertafeln zum Gebrauch beim Unterricht in der bibliſchen Ge-
ſ<Hichte und Altertumskunde, herau8gegeben und erläutert von Karl Bor-
mann. Berlin, G. Bormann Nachfolger. Preis 1,79 Mark.
6) 3. 30 bibliſ<e Bilder zum alten Teſtament. Verlag von F. F.
Schreiber in Eßlingen. Preis 4,50 Mark.
b. 30 bibliſche Bilder zum neuen Teſtament. Ebend.
4,50 Mark. |
c. Schreibers große kolorirte Wandbilder zum Unterricht in der
vivliſchen Geſchichte, I, Teil: Neues Teſtament. (Nr, 1-- 16,) Preis
10 art.
Preis