Full text: Allgemeine deutsche Lehrerzeitung - 47.1895 (47)

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Siebenundvierzigſter Jahrgang. 
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1895. 
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Zugleich Organ der Allg. Deutſchen Lehrerverſammlungen (Deutſchen Lehrertage). 
 
 
 
Jährlich 52 Nunmmern von mindeſten3 1 Bogen nebſt 
2 nentgeltl. Beil. : Anzeiger für pädagogiſc<e? 
Litteratur (in 12 Nrn.) u. Jugendſchriftene 
Warte (in 12Nrn.). Preis viertel). 2 Mk. Anzeigen 
für die dreiſpaltige Petitzeile oder deren Raum 30 Pfg. 
Litter. Beilagen ie nach Umfang 20-26 Mk. 
 
Sprachreinheit und Sprachreinigung 
geſchichtlich betrachtet, 
Vortrag, gehalten auf der Hauptverſammlung zu Koblenz aim 19. Aug. 1894 
von Friedrich Kluge. 
(Schluß.) 
Wenn nun die deutſche Sprachgeſchichte in der Kurzlebigkeit 
der Fremdworte die Abneigung unſeres Sprachbewußtſein8 gegen 
Fremdworte und unſeren angeborenen Sinn für Sprachreinheit 
bezeugt, ſo liegt Jhnen wohl allen die Frage auf den Lippen, 
was neben dem ſtillen, ungeſtörten Sprachleben der Eingriff 
ſprachreinigender Mächte für eine Berechtigung hat, mit welchen 
Ausjichten einzelne oder Sprachgeſellſ<haften in die Entwieklung 
eingreifen können. 
Die Stellung unſerer großen Schriftſteller iſt bekannt. Man 
hat des öfteren hervorgehoben, daß der Briefwechſel zwiſchen Schiller 
und Goethe in höherem Maße Fremdworte aufweiſt als ihre Meiſter- 
werke, Unſere Dichtung ſträubt ſich durchaus gegen das Fremd- 
wort. Luther bedient ſich in den Flugſchriſten, die den Forderungen 
der Tagesfragen entſprungen ſind, mancher damals üblichen Fremd- 
worte, aber wie rein iſt ſeine Bibelüberſeßzung! Und wie kräftig 
und urwüchſig iſt Leſſings Proſa in ihrer Reinheit! Und am Sc<luß 
des unglüdlichen Jahrhunderts, das über Deutſchland die unerqui- 
liche Flut von franzöſiſchen Worten ergoß, trat Leibniz für Sprach- 
reinheit auf mit jenen „unvorgreiflichen Gedanken“, die --- in Wort 
und Wendung deutjc< =- durch die großartigen Pläne wie durch 
den Ernſt und die Wärme der Empfindung noch heute den Leſer 
ergreifen. 
Wenn ſo unſere edelſten Schriftſteller, wo ſie veine und volle 
Wirkung erſtreben, auf Sprachreinheit Bedacht nehmen, ſo offen- 
baren ſie damit das feinſte äſthetiſche Verſtändnis für unſere Sprache. 
Die Einheitlichkeit des Sprachbildes, der Einklang der ſprachlichen 
Farben und Töne iſt e3, was vor allem den Dichter leitet; er will 
ſeine Wirkungen nicht beeinträchtigen durch fremdartige Wortgebilde. 
Und ſollte die Reinheit des Sprachbilde3, wie e3 unſern Dichtern 
vorſchwebt, für die ungebundene Rede nicht von maßgebender Be- 
deutung ſein? In der Flut der Schriften, welche der Gründung 
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins auf dem Fuße folgten, 
wurden mance wunderliche Anſichten gegen die Sprachreinigung 
laut, keine von größerem Unverſtand, als daß vorgegeben wurde, 
man habe Fremdworte für die Proſa anzuwenden, um die gleich 
wertigen einheimiſchen Entſprechungen für die Sprache der Dich- 
tung zu ſ<onen und zurüczubehalten. Statt den Dichtern, die ein 
ausgeprägtes Sprachgefühl haben, den Dichtern, die jedermann uns 
als Sprachſchöpfer und Sprachbildner preiſt, die Sorge um ihre 
jprachlichen Mittel allein zu überlaſſen, will der Proſaiſt, ſagen 
wir offen =- will die Tagespreſſe und die Tageslitteratur ſolchen 
höheren Rücſichten ihre Wortwahl unterordnen? Solche Rücſichten 
hat niemand den Schriftſtellern unſerer Tageslitteratur zugemutet. 
Aber ſie ſollen aus einem Fehler keine Tugend machen und- ſollen 
Sonntag, den 24, Februar. 
Auſſätze über zeitgemäße Stoffe und YVteitteilungen 
über Schul- und Lehrerverhältniſſe ſind willkymmen. 
Schriften zur Beurteilung find unberechnet an die 
Verlagshandlung oder an die Schriftleitung des Anz- 
für padag. Litteratur einzuſenden. = Beſtellungen 
nehmen alle Buchhandlungen und Poſtämter an. 
 
nicht vorgeben, ſie vermieden Deutſches, um es für die Dichtung 
' aufzuheben. Sie dürfen zu ihrer Eutſchuldigung wohl ſagen, daß 
die Tageslitteratur leider niemals höhere Rückſichten gekannt hat, 
als eben was der Tag erheiſ<te. Wo höhere und weitere Wir- 
kungen beabſichtigt werden, da entfaltet ſich die Sprachreinheit in 
der Sprache der Litteratur wie im Sprachleben ſelbſt. Kein Schrift- 
ſteller, der die ihm zu Gebote ſtehenden Kunſtmittel verſteht, dem 
der Ernſt ſeines Berufes durch die große Vergangenheit unſerer 
Sprache und Dichtung klar geworden, kann ſich der Forderung der 
Sprachreinheit entziehen. Darüber ſollte eigentlich keine Meinungs- 
verſchiedenheit beſtehen dürfen. 
Aber etwas anderes iſt Sprachreinheit, etwas anderes Sprach- 
reinigung. Das naive Sprachgefühl, der unmittelbare Draug für 
Reinheit äußert ſich anders als die bewußte Abichtlichkeit der 
Spracreinigung. Dem Dichter liefert die Sprache ſelbſt die neuen 
Formeln, er findet ſie, und der Sprachreiniger ſucht ſie. Das 
Recht, die Sprache bereichern zu wollen, hat der eine wie der andere. 
Aber wie hoch iſt die Ausſicht auf Erfolg anzuſchlagen ? 
Preußens größter König fand unſere Sprache wenig wohl- 
lautend, und er ſchlug in ſeinem berühmten Büchlein de 1a Litte- 
rature allemande vor, den Wohlklang einzelner Worte durch 
Anfügung eines a zu erhöhen. Es war Friedrich dem Großen 
allerdings nicht recht ernſt mit dieſem Vorſchlag; deun er dachte 
nicht daran, ſeinen Worten irgend einen Nachdru> zu geben. Aber 
Erfolg hätte ex auch dann nicht gehabt. Es wäre ein ſehr kühner 
Eingriff in den Sprachbau geweſen. Das Beiſpiel lehrt uns, daß 
keine Neuerung Ausfſicht auf Erfolg hat, die unſerm Sprachbau 
widerſtrebt. Je näher eine Neubildung mit andern vorhandenen 
Spradgebilden zuſammenſtimmt, um ſo leichter dringt ſie durch. 
Und deswegen hätten wohl naive Wortſchöpfungen unſerer Klaſſiker 
glüdlichere Ausſichten auf Erfolg als die Beſtrebungen der Sprach- 
reinigung; denn im Suchen und Schaffenwollen irrt das Sprach- 
gefühl leicht; was dem Dichter ſpielend gelingt, bring: dem Sprach- 
reiniger nur eine ſeltene Glüksſtunde. Aber ſolche immerhin ſeltene 
Glücdsſtunden verzeichnet die Geſchichte der Sprachreinigung doch 
oft. Und ich glaube faſt, daß man heutzutage mehr ſprachreinigende 
Wortſchöpfungen von Erfolg auf Sprachreiniger als auf unſere 
Klaſſiker zurüführen kann. Prof. Dunger hat in der ſchönen Ein- 
leitung zu ſeinem Wörterbuch der Verdeutſchungen ba3 beſte darüber 
geſagt und das meiſte zuſammengetragen, und ich weiß nichts von 
Belang hinzuzufügen. Aus den Thatſachen, die er dort beſpricht, 
will ich nur Campes Thätigkeit erwähnen. Ihm danken wir Fein- 
gefühl für Takt, Beweggrund für Motiv, Zerrbild für 
Karikatur, Flugſ<rift für Pamphlet, Brüderlichkeit für 
Fraternität und vieles andere. Ein Zukunft8wörterbuc<h, das 
einmal der Fremdwörterfrage in ihrer Vielgeſtaltigkeit gerecht würde, 
könnte wohl den Anteil bewußter Sprachreinigung an unſerm Wort- 
ſchaß ins hellſte Licht ſeen. Es läßt ſich nicht leugnen, daß man- . 
ches edle Wort durch die Sprachreinigung geſchaffen worden iſt. 
| Als die Berliner Akademie der Wiſſenſchaften = eingedenk der 
 
 

	        
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