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Monatsblatt für etbiſch- [oziale Reformer:
Erſcheint am 15. jed. Monats. Preis: Viertel- | Begründet von Georg v. Gizycki.
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Verlag: Verlag für ethi f Ge Kultur Richard Bieber, Berlin 80 16, Rungeſtraße Nr. 25-27. -- Pofſtvertrieb: Gottesberg.
38. Jahrgang
Inbalt:
Die Stadt auf dem Berge. Von Otto Lans.
Haben wir eine Hüherentwiclung? Won Julianus,
Marxiſtiiche Literaturgeſchichte. Von R. G. Häbler.
Schule und Völkerverſjöhnung. Von G. Schümer.
Bedenkliche Erſparnis.
Streiflichter:
Amerikaniſche Sireitlichter.
Sanktionierter Nepp.
Ein Sittlichfeitöbericht aus Niederbayern,
JInmſferat.
Die Stadt auf dem Berge
Von Otto Land.
Das Allereinfachſte pflegt auch das Allerwahrite
zu ſein. Aber niemals wird das Einfache alljeitig um=-
ſpannen können die einfachſte Wahrheit, --
So ſprach einſt einer der Großen unter den Weiſen:
nicht kann die Stadt verborgen bleiben, die auf dem
Berge liegt.
Und wenn du einmal, ganz gleich wann und in
welchem Teile der Erde geſchaut haſt, vom Meer hHer-
Fommend in wonniger Fahrt, eine der Städte des
ſonnenbeſtrahlten Südens, wie ſie ſich breiten, präch-
tig anzuſehen mit ihrer hellen Häuſer leuchtenden
Farben, wie ſie wahllos hingeſtreut die Ketten der
Hügel bedecken, -- wirſt verwundert du fragen: wer
kann an dir vorübergleiten, ohne daß dein Bild be=
zaubert ſein Herz? =- |
Ach, du Stadt auf dem Berge, warum biſt du ſolc<
eine arge Lügnerin ?
Ziehſt die Gewänder an, als gingeſt du zum Tanze,
leideſt dich in weiche, jamtene und ſeidene Stoffe, als
ſeiſt du eine Königin, führſt uns durc< Straßen von
Marmor, vorüber an den prunkenden Auslagen der
Läden, die uns in bunter Folge darbieten überreichen
Sc<hmuc für verwöhnte Frauen, vornehme Kleider für
die, die leben vom Schweiße der Armen, Leceripeiſen
für Schmarogzergaumen, und an der endloſen Reihe
der Speiſeläden für die, die Zeit haben in Ruhe zu g€-
nießen. |
Wo aber ſind denn die, die all dies herbeigeſchafft
die mit müden Armen, ſchleppenden Ganges gefrohn=
- det um da3 Stücklein Brot für Weib und Kind?
Berlin, den 15. Januar 1930
Abdruck iſt, joweit nicht ausdrücklich unterſagt, nur mit vollſtändiger Quellenangabe geſtattet.
Nummer 1
Wo ſind denn die, die in harter Arbeit unter Cin=
ja des Lebens all dies errungen und geſchaffen, die
mühſam Block auf Block des foſtbaren Geſteins gelöſt,
behauen, herangeſchleppt und aufeinandergefügt? Die
mit Hacke und. Schaufel die Erde gelockert, daß ſie auf=
nähme das zarte Wurzelwerk des Stammes, der eint
köſtliche Früchte -- anderen -- tragen ſollte? Die auf?
ſchwachem Fahrzeug Trotz boten Sturm und Wellen,
um de8 Meeres Schätze ihm abzugewinnen ?
Warum ſind nicht ihrer die reichen Häuſer, ſtrot=
zend von allem, was dem ermüdeten Schaffer Rein-
licfeit, Ruhe, Bequemlichkeit ſc<afft und wohlige
Wärme, Speiſen die Fülle und das Bewußtſein des
| heimiſchen Herd5? --
Warum verbirgſt du verſtohlen die ſchmalen, klei-
nen, düſteren Gäßchen, vollgeſtopft mit Höhlen des
Elends, nicht wert des Namens „Wohnung von Men-
ſchen“, ſtickig, ſtinkend, ſchlüpfrig, kribbelnd und krab=
belnd von kleinen, halbnackten, ſchmierigen, glogenden,
plärrenden Weſen?
Von den Wänden rinnen in ſchneller Folge die
Tropfen zur Erde, Pilze ſc<marotzen in allen Fugen
und Ritzen, die jede Fläche bede>en. Zerriſſen, zEer=
ſtampft iſt der Boden, verwittert der Anſtrich der
Dee.
Erbärmlich und kümmerlich nur iſt der Hausrat:
morſche Pfoſten verraten die Bettſtatt für zweie, für
dreie, ein oder zwei farbloſe, wacklige Schemel und
dann no< ein Tiſc<; rohgezimmert, ſpanig, reißt er
einem jeden, der unbeſonnen ihm naht, Löcher ins
Kleid oder ſchmückt feine Hände mit Splittern. Einige
roſtige Nägel, in Balken, Türen und Rahmen der
Fenſter geſchlagen, dienen Kleidern und Hüten als
Ort der Verwahrung. Und in der hinterſten Ecke des
finſtren Gemaches der Herd; auf ihm ein paar Töpfe
und Reſte von Speiſen, verräuchert, gebadet in klebri-
gem Tran: Das iſt alles.
Hier wachſen heran die Menſchen der Arbeit: be-
ſcheiden, anſpruc<hslos8 werden ſie bleiben; das iſt gut!
Aber unempfindlich auch für die Schönheit der Welt,
für alles Reine und CEdle, teilnams8l1o8 allem dem
gegenüber, was an Gutem die Menſc<heit eint zu einer
Gemeinſchaft von Brüdern.
Ihnen bewußt iſt als Band der Einigung nur die
Gemeinſamkeit der Not und de3 Elends, und Der
Kampf, der heimliche, zagende, aber nimmermüde