Muſſolinis Kriegstagebuch
Wie Vaugin, der neue öſterreichiſche Kanzler, als
Kriegsminiſter im öſterreichiſ<en Heer, ſo hat Muſſolini
im ganzen Faſchiſtenreich das Buch Remarques „Im Weiten
nichts Neues“ verboten. Als Erſaß hat er nun ſeinem Volk
das eigene Kriegstagebuch hingegeben (herausgegeben, ein-
geleitet und ins Deutſche überſe8t von Egon Cäſar Conte
Corti, Zürich-Leipzig-Wien, Amalthea-Berlag; es erſc<eint
gleichzeitig noch in 7 anderen Sprachen). I< habe dieſes
Buch mit der gleichen Spannung aufgeſchlagen, wie jed28
andere über die Jahre des Unheils 1914-1918 und bin
nicht enttäuſcht worden: die Kämpfe im Hochgebirge nahe
der Adria, in Kärnten und auf dem Karſt zeigen wieder von
neuen Seiten, was die Völker bei dieſem Ausbruch der Hölle
auf Erden gelitten haben. BWergeblich habe ich aber nach
Spuren einer großen menſchlichen Perſönlichfeit geſucht.
Wer Italien nach der faſchiſtiſchen Umwälzung bereiſt hai,
fann ſich dem Eindruck nicht entziehen, daß Muſſolini eine
Erſcheinung rieſigen Kalibers iſt, ein ungeheurer Wille, eine
gewaltige Arbeitsfraft, eing glühende Scele, die an einer
Idee entflammt iſt: Italiens Macht, Größe und Ruhm. Er
hat in feinem Lande manches Tüchtige durc<geyteßt, wenn
auch mit unerhörter Gewaltſamkeit. Man begreift, das
ſolche Männer in unſcrer Zeit Gefolgſchaften finden durch
ihren mitreißenden Fanatismus. Aber ſind ſie dem ganzen
Volke Führer in eine beſſere Zufunft? Sind ſie nicht viel-
mehr VWerführer, die das Land, das ihnen folgt, ins Wer-
derben reißen, wenn cs nicht noch dicht vor dem Abgrund
erwacht? Sie aftivieren die Bolfsmaſſen nicht zu vrgani-
Ichem Iveuaufbau nach den längſt offenbaren, tiefen Geſeßen
des wirtſchafilichen, pvlitiſchen und fulturellen Lebens, ain
dem fie gehindert werden durch die Oberſchicht, die alle
Produftionsmittel beherrſcht. Six ſtreben nicht eine ſinn-
volle. Böltergemeinſchaft auf der kfleingewordenen Erde au.
Nein, ſie greifen nv<< einmal in das YJrad der Geſchichte ein
und ſuchen es rückwärts zu drehen, ſie errichten noch ein-
mal die harte Herrſchaft einer Minderzahl über die
dumpfen Maſſen, ſie entfeſſein noch einmal das eitelſte und
rücfſichtslvſeſt» Itativonalgefühl zur Siedehitze, So bereiten
ſie nene Kataſtrophen vor, ſeien nun Revolutionen
vder Kriege.
Von all dieſem legt Muſſolinis Kriegstagebuch Zeuug-
nis ab. Gewiß, ex, der Hauptſchuldiger iſt an Jtaliens
Cintritt in den Weltkrieg, hat ſich als Freiwilliger an die
Front gemeldet und hat ſich wie viele Hunderttauſend an-
dere als ein ausdawernder, fur<tloſer, tüchtiger Soldat und
Korporal erwieſen; auch die Schmerzen einer ſchweren VWer-
wundung trägt er tapfer. Mit beſcheidener Geſte weiſt er
.auf die heldenhafte Führung vieler Kameraden hin. Aber
es iſt unerträglich, wie doch das ganze Buch der Selbſtv2r-
herrlichung dient, in dem jede Gefahr, jedes Lob, ifedg Au3-
zeichnung jJorgfältig niedergeſchrieben wird, obwohl keine
Leiſtungen angeführt werden, die über das übliche Maß
der Leiden und Taten eines durchſchnitilichen Frontſoldaten
hinausgingen. Andere haben viel mehr durchgemacht, ohne
darüber zu ſchreiben. ES iſt eine durch und durc< byzan-
tiniſche Schrift, zu der Freunde beigeſteuert haben, um dem
Volke feine duce im hüchſten Glanz zu zeigen,
Bezeichnend iſt, daß recht oft ſc<öne Gefühle und große
Worte geprieſen werden, als wären es ſchon Taten. So
hebt Muſſolini hervor, daß die Soldaten am Jſonzo nie vom
Angriff, ſondern immer nur vom Bormarſc< [ſprachen und
nimmt das als ein Zeichen der Heldenhaftigfeit des italieni-
Ihen Stammes. Sie haben es ſolange geſagt, bis ſie 1917
zurückgehen mußten. Es waren wahrhaftig nicht italieniſche
Siege, die Italien beim Friedenöſchluß vergrößert haben,
ſondern der Uebergang vom Dreibund auf die ſtärkere
Seite. Seiner Kriegserfolge ſollte ſich Italien nicht rühmen.
Denkt man an den Ausgang des Ringens in Oberitalien,
jv wirkt die Selbſtverherrlichung Muſſolinis und ſein Prei3-
lied auf das kriegeriſche Jtalien ein wenig peinlich.
Mehrfach werden lange Geſpräche Muſiolinis erwähnt
mit ſeinen Freunden, die, wie er, für den Gintritt Jtakiens
in den Krieg gewirkt hatten. (Es fönnte reizvoll ſein, den
Inhalt fennen zu lernen. Sie werden nicht wiedergegeben.
es
'Vom geiſtigen Standpunkt iſt das Buch äußerſt langweilig,
voll von ungezählten ermüdenden. Wiederholungen der
95
gleichen Vorgänge, oft mit den gleichen Worten. Auch
Menſc<henſchilderung iſt Muſſolinis ſtarke Seite nic<t. Er
fieht “die Menſchen nicht wie ſie ſind in ihrer individuellen
Wirklichkeit. Er ſieht Typen und hebt an jeder das hervor,
was er für ſeine einſeitige Darſtellung gebrauchen kann.
Seine Sprache, die des ſehr erfolgreichen politiſ<en Jour=
naliſten, verrät Schulung, ſie iſt oft ſachlich und knapp ge=-
ballt und ermangelt dann nicht einer wohltuenden Klarheit
und Straffheit. Aber Muſſolini bekennt ſelbſt einmal, daß
er ein Dichter nicht jei. Nein, er iſt amuſiich und ſein fanäa-
tiſcher PatriotiSmus hat ſeine Menſchlichkeit faſt völlig über-
wuchert, wie wir es bei dem begabteſten der Verherrlicher
des Krieges in Deutſchland, bei Ernſt Jünger, (3. B. „In
Stahlgewittern“) feſtſtellen müſſen. Solc<e Männer können
zeitweitig Gefolgſchaft gewinnen in einer Zeit, die naß
Iteugeſtaltung der wirtſchaftlich = politiſchen Werhältniiſe
ſchreit, aber zu ciner neuen ſinnvollen Ordnung fönnen ſie
weder ihr Volk noch die Menſchheit führen. B.F.
Streiflichter
Iſt der Rundfunf neutral? Bekanntlich ſind vom
deutſchen Nundfunf Vorträge ausgeſchloſſen, welche partei-
politiſcher oder ſonſt nicht „neutraler“ Art ſind. Das klingt
jo auf den erſten Hieb recht beſtechend. Aber 25 erhebt ſich
die Frage: gibt es eigentlich eine Neutralität in geiſtigen
Dingen? Und die Erfahrung der letzten Jahre
hat berets recht deutlich gezeigt, daß unter dieſer Flagge ſich
eine Zenſur entwickeln fonnte all den Fragen und Cin=
ſtellungen gegenüber, die angeblich das Empfinden der
Rundfunfhörer „verleßen“ fönnten. Cs gibt eben keine
Yeeutralität, wenn man fich nicht auf banale und langweilige
Themen beſchränfen will. Das gilt vor allem für dieienigen
Gebiete, die das Welianſchaulicc<e berühren. ES gilt
vor ailem dann, wenn man, wie das beim Rundfunk der
Fall iſt, die herrichende Weltanſchauung als neutra-
les Gebiet betrachtet, und ander: Weltanſchauungen,
etwa die ſ[vzialiſtijſche, als parteilich betrachtet. Praktiſch
liegen die Dinge 1vo, daß das Rundfunfprogramm von den
bürgerlichen Parteien, und hier wiederum beſonders vom
Zentrum beeinflußt wird, die unter dem Geſichtspunkt der
UVeberparteilichfeit Programmvorſchlägee anderer, freigeiſti-
ger oder ſozialiſtiſcher Kreiſe auszuſchalten verſuchen. Die
Intendanten der Sendegeſellſchaften haben die Verpflich-
tung, fich den Anweiſungen des politiichen Ueberwachungs5-=
ausſ<huſjes zu fügen, und daß dieſer die Themen, die ſich
in Gegenjaß ſtellen zur heutigen Geſellſchaft8sordnung oder
den herrſchenden Weltanſchauungen, nicht berückſichtigt, liegt
auf der Hand. Wirkliche Neutralität kann nur
heißen, daß alle Richtungen, die etwas kulturell wertvolle8
zu jagen haben, zu Worte kommen können. ES fällt ja auc<
niemanden ein, etwa das muſikaliſche Programm in der
Weiſe zu zenſieren, daß beſtimmte künſtleriſc<s Richtungen
von der Darbietung ihrer Werke ausgeſ<hlofſen ſind! Wir
leben nun cinmal in einer Zeit ſtarf auseinanderſtrebender
fultureller Entwicklungen; es geht nicht an, daß man aus8
einer faljchen Ueberparteilichfeit heraus -- die in praxt
Ihärfite Parteilichkeit zugunſten der Vergangenheit und der
herrſchenden Gegenwart gegen die Jdeen einer fommenden
Zeit iſt =- gerade jene Fragen und Problemſtellungen aus=
ſchließt, die eigentlich erſt die wahre Kulturbedeutung des
Nundfſunfs ausmachen würden. Es muß deshalb mit allem
JRachdruck beiont werden, daß freigciſtige Themen, daß
pazifiſtiſche Probleme die gleiche Daſein35bedeutung
baben wie ein Vortrag über die Bedeutung irgend eines
vDeiligen für die mittelalterliche Kultur oder moderner
Truſke für den WeltkapitaliSmus der Gegenwart. Wie
qrotesf iſt etwa die Tatſache, daß jüngſt ein Zwiegeſpräch
„Können Kriege vermieden werden“, das zwiſchen einem
Katholitfen und einem Sozialiſten geführt werden vite, ab=
gejebt werden mußte, weil im UVeberwachungsausſchuß ein
Vertreter des Reichsinnenminiſterinms Einſpruch erhob!
Wenn das NReichöswehrminiſterium der Auffaſſung wäre, daß
vlc<he Themen „gefährlich“ find, würde man das noch be-
greifen, aber daß es juſt das deutſche Kultnrminiſterium
jein mußte, iſt eigentlich unverſtändlich! Gegen derartige
Borfommuiſſe, die Beiſpiele ſtehen zu Dutenden Zur Ver-
fügung, müſſen die freiheitlich geſinnten Rundfunkhörer ent-