fehieden Einſpruch erheben. Es hat feinen Zwe> und iſt
unwürdig, wenn man glaubt, dem deutſ<hen Bolke jeine
geiſtige Koſt vorſ<reiben zu müſſen. Man gebe allen Auf-
faſſungen Raum zum geiſtigen Kampf: R. G. H.
Der lezte Wille. Wer immer in ſeinem Teſtament
iiber ſein Eigentum verfügt, kann gewiß ſein, daß der Bater
: Staat ſorgfältig darüber wacht: kein Buchſtabe ſeines leiten
Willens darf gekränkt werden. Stiftungsbeſtimmungen, die
Jahrhunderte alt ſind, werden genau befolgt. Der Wort=-
taut eine8 Teſtaments bleibt unantaſtbar, wenn auch die
Zeitumſtände eine Aenderung erfordern. In der Infla-
tionSäjeit ſind viele große Vermögen verloren gegangen, weil
fie in „mündelſicheren“ Papieren liegen bleiben mußten.
„Bernunft wird Unſinn . . .“ |
Ganz anders liegt es, wenn es ſich um weltanſchauliche
Fragen beim lezten Willen handelt. Nehmen wir an, ein
unbemittelter Mann in einer Kleinſtadt ſchriebe folgendes
Teſtament:
„Jh bin Zeit meines Lebens ein Kirchengegner,
Atheiſt und Freigeiſt geweſen. I< glaube an die Religion
der Menſchli<keit und an die werdende Notgemeinſ<aft der
Arbeitenden ring8 auf der Erde. I< möchte im Tode
meiner Ueberzeugung treu bleiben. Deshalb wünſche ich,
daß zu meinen verſammelten Angehörigen, Freunden und
Kampfgenoſſen: ein Mann im Sinne unſerer Weltanſchau-
ung ſpricht.“
Die Geiſtlichen dieſer kleinen Stadt haben es biSher
zu verhindern gewußt, daß ein Krematorium gebaut iſt (es
gibt noc< nicht 100 in Deutſchland), und die Koſten der
Veberführung zum nächſtliegenden ſind zu hoch.) Da müßte
es ſchon bei der Beerdigung bleiben. Aber der Friedhof
des Städtchens iſt ein Kirc<hof, d. h. der Grund und Boden
gehört ſeit Jahrhunderten der Kirche und die kirchliche Ge=
meinde hat auf ihm Hausrec<ht. Der Pfarrer droht mit
Klage wegen Hausfrieden8bruch oder dergl., falls ein frei=
geiſtiger Sprecher gegen ſeinen Willen eine Totenfeier am
Grabe abhalten will. Aber auch wenn die hohe Geiſtlichkeit
duldſamer ſein ſollte: iſt denn ein Sprecher vorhanden, der
den lezten Willen des Toten erfüllen könnte? Wird er,
ein Bürger der kleinen Stadt, e8 wagen, dem allgemeinen
Brauch kirchlicher Beſtattung entgegen zu treten? Da läßt
denn die beſorgte Familie, um des Friedens willen, doch
lieber den Pfarrer ſeine altbewährte Predigt halten,
Weltanſchauung iſt Privatſahe? Nein, tauſendmal
nein!*) Das glauben nur die hoffnungsloſen JIndividua-
liſten. Weltanſchauung iſt eine Gemeinſc<haftsſache. Die
Kirchen wiſſen das und haben ihre Anhänger ſeit alterö3her
wohlorganiſiert. Daher haben ſie noch gegenwärtig eine
Macht, die viel weiter reicht als die Werbekraft ihrer Jdeen.
Sie gebrauchen ſie überall, um die neue werdende Religion
rückſicht8lo8 zu befämpfen. Der einzelne freigeiſtige Menſc<
kann weder leben und wirken wie er will, noch kann er auf
Erfüllung ſeines lezten Willens rechnen, wenn . . ., ja,
wenn nicht mächtige Organiſationen auf- und ausgebaut
weriden, 'die den geiſtigen Raum für das neue Menſic<entum
ſchaffen, geſtalten, feſtigen, ihn ſchüßen und verteidigen
gegen die Uebergriffe der alten Weltanſchauungsmächte.
No< ſind die freigewordenen Menſchen zu läſſig, nachgiebig
und gleichgültig im geiſtigen Ringen. Wenn erſt Millionen
und aber Millionen, getreu ihrer Ueberzeugung, wirklich
einen ſolchen letzten Willen niederſchreiben, dann wäre der
Staat verpflichtet, ihm Geltung zu verſchaffen, der Staat,
der heute noc< den Kirchen mehr dient als ihm nüßlich iſt.
B, F.
*
Kriegsdienſtverweigerung. Es gibt viele Menſchen, die
der Auffaſſung ſind, die individuelle KriegSsdienſtver-
weigerung habe keinen Wert. Es mag zugegeben werden,
daß ein Krieg, wenigſtens ſo wie heute die Dinge liegen,
nicht dadurch verhindert wird, wenn du oder ich oder noch
ein paar Menſchen aus religiöſen oder ethiſchen Gründen
*) Sollte ſich dieſem temperamentvollen Aufſchrei un=-
ſere8 Mitarbeiter8 auch ein beſcheidenes „Ja“ entgegen-
ſtellen laſſen? Wir ſtellen die Frage zur Beſprechung.
Die Redaktion.
den Dienſt für den Krieg verweigern. Aber wer dieſe Frage
lediglich von dem Geſichtspunkt einer realen, unmittelbar
erfolgreißen Antikriegspolitik betrachtet, der ſieht dies
Problem nicht richtig. Die Bedeutung der Kriegsdienſtver-=
weigerung in unſerer Zeit liegt in der Tatſache, daß es
Menſchen gibt, die Vorbild ſein wollen, Symbol für
eine fommende Menſc<heit. Menſchen, die den
noch übermächtigen Kräften des MilitariSmus mit dem Ein-
jaß ihrer ganzen Perſönlichkeit entgegentreten wollen. Es
geht um das Tat-Bekenntnis zu einer höheren menſchlichen
Kultur gegenüber der Dogmatik des NationalisSmus. Es
iſt ein erfreuliches Zeichen, daß ſich die Männer mehren, die
in Den verſchiedenſten Staaten Europas es wagen, dem
MilitariSmus zu troßen. Die lieber ins Gefängnis wie
in die Kaſerne gehen. So befinden ſih in Finland
einige tapfere Kämpfer für den Frieden im Gefängnis; ſie
haben ſich geweigert, den Fahneneid abzulegen und irgend-:
welche mit dem Militär zuſammenhängende Arbeit zu tun.
Iicht anders in Norwegen. Auch dort ſfizen verſchie-
dene Männer im Gefängnis für ihre pazifiſtiſche Ueber-
zeugungstreue, darunter C. V. Lange, der Sohn des Sekre-:
tärs der Interparlamentariſchen Union, cines Nobelpreis-
trägers. In der Schweiz das gleiche. In Dänemark
haben die Pazifiſten vor kurzem eine eindruc>ks5volle Kund-
gebung in Kolding für den dort im Gefängnis ſitzenden
Kriegsdienſtverweigerer Anderſen veranſtaltet. Eine Deile-
gation begab ſich zum BWVolizeichef und verlangte Auskunft
über das Befinden Anderſen. Sie erfuhren, daß Anderſen
in einen Hungerſtreif eingetreten ſei. Eine große Wer-
ſammlung zeigte, daß hunderte mit dem Kriegsdienſtver-
weigerer ſich ſolidariſch erklärten, und tags darauf waren
die däniſchen Zeitungen mit einer großen Senſation ver-
ichen. Und am übernächſten Tage -- wurde Ove Anderſen
aus dem Gefängnis entlaſſen.
Noc< ſind dieſe wenigen pazifiſtiſchen Europäer eine
Handvoll Menſchen. Aber ſie ſind Revolutionäre der
Geſinnung. Welc<he große geiſtige Umwälzung der
Weltgeſchichte hätte nicht mit wenigen Menſchen begonnen.
die den Mut hatten, gegen eine Welt von Vorurteilen und
Haß zu ſtehen und für ihre Ueberzeugung zu leiden? Vor
einigen Jahrhunderten haben ſich die Menſchen die religiöſe
Freiheit crkämpft. Wir werden in den kommenden Jahr-
zehnten zu kämpfen haben um die Freiheit von nationaliſti-
Iher Dogmatik. Warum ſollen die nationaliſtiſchen Kriege
nicht auch einmal ſo der Vergangenheit angehören wie die
Religivnskriege? Und dieſer Weg der Befreiung wird zu-
gleich auch der Weg ſein, auf dem die Menſchheit zu einer
höheren, zu wahrer Kultur kommt. R. G. H.
Bücherſchau
Wünſc<, Georg, Lic. theol. Theologiſche Ethif, Sammlung
Göſchen. Berlin-Leipzig, W, de Gruyter 1925. Mk. 1,35.
Warum nicht einfach: Chriſtliche Ethik? Weil der
Verfaſſer der Verſuchung nicht entgangen iſt, troß ſeiner
ausdrüclichen Verwahrung davegen doch die Ethik mit der
(proteſtantiſchen) Dogmatik zu unterbauen. Daß er dabei
erſreulic vorurteilslos iſt, beweiß der Ausſpruch (S. 66):
„Es gibt in der Tat rein rationale oder auf Diesſeit5swerte
gegründete Ethik, die das Prädikat des Sittlicen durc<aus
verdient.“ Die ganze erſte Abteilung gibt eine recht licht-
volle Darſtellung der philoſophiſ<en Anſchauung vom
Sittlichen na; Form und Gehalt. Daß aber dann bei der
Behandlung der Lehrſige aus der Dogmatik hie und da
leine: Unflarheiten mit unterlaufen, die von der zünftigen
Thcologie jogar als Ketzereien angenagelt werden könnten,
iſt faum verwunderlich. So 3. B. bei der Unterſcheidung
von Heiligen und Profanen. Nachdem ſoeben (S. 76) „alle
Ertlärung, daß Welt und Menſc< nichts vor Gott, daß Le-
ben Sünde ſei, daß in der Lehens8verneinung Gottgleichheit
liege“ für falſ< erflärt werden, wird S. 79 „die Profa-
nität und Fleiſchlichfeit als kreaturliche Unrein-
heit, als ſittlihe Schuld empfunden. Alſo doc< eine Art
Weltbefle>ung der Heiligen.
(ES erübrigt ſich zu bemerken, daß lebendiger Gotte3-
glaube, der ſtärker hervortritt, als Chriſtenglaube, die Box=
ausſezung dieſer ganzen Ethik iſt. --1n3-
Für die Redaktion verantwortl.: Dr. R. Renzig, Charlottenburg.
Für Text umd Inſeratenteil verantwortlic< Dr. R. Penzig, Berlin W. 15, Uhlandſtraße 174, |
Verlag: Verlag für eth. Kultur, Richard Bieber in Berlin 80. 16. Rungeſtr. 25/27. -- Dru: LO. Henſel, Gotteö3berg i. Schlei.