Full text: Anzeiger für die neueste pädagogische Literatur - 28.1899 (28)

Veilage zur Allgemeinen deutſchen Lehrerzeifung Ar. 3. 
 
Anzeiger für die neueſte pädagogiſche Lit eratur, 
mat IR u ne Unter Mitwirkung mehrerer Shulmänner rt IRD 
Nx. 1. 1899. heraus8gegeben von XXVIIL Jaßrgang. 
MRS TT den Schriftleitern der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung. =O WE 
 
Monatlich erſcheint eine Hummer. -- Preis für Nicht-Abonnenten der Allgem. deutſchen Lehrerzeifung jährlih 2 Mark = 1 fl. 20 hr. Ö, W. 
Poing 0 mme menen m mmm 
Die Grundwiſſenſchaffen der Pädagogik. 
(Pſychologie, Ethik, Logik u. |f. w.) 
Voigt, G., Pſy<ologie. 2. Teil des Lehrbuchs der Päda- 
gogif von G. Schumann. 264 S. Hannover 1898. Guſt. 
Prior. 2 M. 50 Pf. 
Der 2. Teil des bekannten Sc<humannſhen Lehrbuc<h3 erſcheint in 
10, Auflage, umgearbeitet von G, Voigt, Seminardirektor in Halberſtadt. 
Bei aller Wertſhätßzung de3 Shumannſc<hen Lehrbuchs 1ſt doch vielfa<; auch 
geäußert worden, daß dasſelbe als erſtes Hilfsbuch für Seminariſten zu 
jchwer ſei. Die neue Bearbeitung hat nun nac< unſerer Auffaſſung dem 
Übelſtande nict abgeholſen, ihn vielmehr no< geſteigert. Der neue Be- 
arbeiter geht zwar vielfac von Beiſpielen aus, tas ſehr lobenswert iſt, 
dieſelben ſind jedoch nicht beſonders einfad und klar vorgeführt. Vergleiche 
hierzu 3. B. die Ausführungen, welche die grundlegenden Thatſachen ver 
inneren Erfahrung deutlich machen ſollen. An auderen ſ<hwierigen Stellen 
ſehlen wiederum die Beiſpiele ganz. Die Sprache iſt viel zu hoch und 
ſhwülſtig. Sätze von 10 bis 15 Zeilen kommen häufig vor. Vieles muß 
hier den Seminariſten aus OſtfrieSland oder aus den Dörfern des Harzes 
unverſtändlich bleiben, Die Shwierigkeiten werden allerdings gemilbert, 
daß den einzelnen Abſchnitten ein ſyſtematiſcher Teil und dann weiter Auf- 
gaben beigegeben; aber auch hier läßt die Sprache vieles dunkel, und die 
Aufgaben verlangen dem Anfänger gegenüber ſtundenlange Erörterungen. 
Bei der Lehre vom Gefühl und Willen ſehlen übrigens ſowohl die ſyſtema«- 
tiſhen Betrachtungen, die praktiſ<en Folgerungen, als auch die Aufgaben, 
und hier find ſie jedenfalls beſonder3 wünſchenöwert. Das Inhaltsverzeichnis 
iſt wohl nur aus Berſehen weggeblieben. 
Auch die Anordnung des Stoſfes erregt vielfac Bedenken. Wir be: 
greifen 3. B. nicht, wie der Verf. dazu gekommen iſt, zwiſchen den Begriff 
und die Jdee (88 27 und 28) und das Urteil (8 38) die Vereinigung der 
Vorſtellungen: die Koincidenz, die Komplikation, die Verſchmelzung, das 
Gejeß der Reihe einzufügen. Pſychologiſch gehört das Urteil vor den Be- 
griff, und den Geſetzen der Vorſtellungsverbindung gebührt ein ganz an: 
derer Plaß. 
83 iſt jehr lobenswert, daß der Verf. bemüht geweſen iſt, dem zukünf- 
tigen Lehrer eine tieſer gehende Pſychologie zu bieten, wes8halb er auch in 
anerkennender Weiſe gleich am Anfange die Aufgabe mit ſtellt: Es ſoll 
gezeigt werden, daß die fortſchreitende Entwiklung der Pädagogik mit der 
immer entſhiedeneren Betonung der Pſychologie zuſammenhängt. Aber 
troßdem halten wir die vorliegende Bearbeitung der Pſychologie als erſtes 
Lehrbuch des Seminariſten für ungeeignet. Wenn der Verf. andere Er- 
fahrungen gemacht hat, ſo müſſen ohne Zweifel die Halberſtädter Semina- 
riſten ganz beſonders „helle Jungens" ſein, wa8 wir aber dann erſt zu: 
geben können, wenn wir dem Unterrichte beigewohnt oder die Klaſſe jelbſt 
einer genauen Prüfung unterworfen haben würden. J. 
Heilmaun, K., Pſyc<ologie mit Anwendung auf Erziehung 
und Schulpraxis. Für Lehrer- und Lehrerinnenſeminare. 
86 S. 3. verb. Auflage. Leipzig 1899. Dürrſche Buch- 
handlung. 1 M. 20 Pf. 
Die Pſyc<ologie von Heilmann iſt bei ihrem Erſcheinen in der „Allgem. 
Deutſchen Lehrerztg.“ ausführlic< beſprohen worden, ſo daß wir gier nicht 
weiter darauf einzugehen brauhen. Dem Voigtſhen Buche gegenüber er- 
iheint Heilmanns Pſychologie re<t dürftig; es ſind hier alſo zwei Seminar- 
direktoren in der Frage, wa38 im Seminar in der Grundwiſſenichaft der 
Pädagogik geboten werden ſoll, recht verſchiedener Meinung, Wir halten 
den Weg, welßhen Dr. Heilmann eingeſchlagen hat, für den zichtigeren: 
Zunächſt iſt ein kleines Lehrbu<ß ſo gründlih wie mögli< durchzuarbeiten, 
um „Klarheit, Aſſoziation, Syſtem und Methode" zu erzeugen, Bei der 
Wiederholung hat aber der Lehrer die einzelnen Fragen zu vertiefen; er 
kann aus der Seminarbibliothek mehrere Exemplare eines größeren Werkes 
der pädagogiſmen Pſy<ologie den Jünglingen zur Verfügung ſtellen und 
daraufhin beſondere Aufgabe geben. Dann aber ſoll das kleinere Lehrbuch 
in Anmerkungen auf größere Werke hinweiſen, um dadur< im zukünftigen 
Lehrer das Streben wa zu rufen, weiter zu arbeiten und weiter zu denken, 
Heilmann hat davon Gebrauch gemacht; er hätte es vielleiht noHm mehr 
thun fönnen. Der Litteraturnachweis bei Voigt S. 262--264 hat dagegen 
gar keinen Wert, Um den Lehrer dauernd für die Pſychologie 3:1 gewinnen, 
erjm<eint es noch beſonders notwendig, in der Wahlfähigkeitsprüſung dieſem 
 
eum 
Gegenjtande mehr Aufmerkſamkeit zu widmen. So weit unſere Erfahrung 
reicht, ſind in Preußen die Anforderungen an den Kandidaten nach dieſer 
Seite ganz beſonders mäßig. ). 
Linder-Fröhlich, Lehrbuch der empiriſchen Pſy<ologie 
als induktiver Wiſſenſc<aft. Für den Gebrauch an hö- 
heren Lehranſtalten und zum Selbſtunterrichte. 270 S. 11. 
verb. und verm. Auflage. Wien 1898. Verlag von Carl 
Gerold38 Sohn. 2 M. 50 Pf. 
Das Bitch erſchien das erſte Mal vor 33 Jahren und hat bis heute 
ſeine alte Zugkraft ſich erhalten. Das verdankt das Buch ſeiner klaren 
Ausdrucsweiſe, ſeinen beſtimmten Deſinitionen und wohl auch dem Um- 
ſtande, daß es, obgleich es ſich eine empiriſche Pſychologie nennt, das wei- 
tere Studium der Philoſophie vorbereitet; durc< den Ernſt der Forſchung be- 
wahrt es vor der Oberflä<hlichkeit und bietet ſhon einen Vorgeſchmack ver 
Philoſophie jelbſt. Einen Fehler hat e3 allerdings aus der allgemeinen 
Philoſophie fim angeeignet, der darin beſteht, daß die einzelnen Abſchnitte 
zu ſ<nell in die Allgemeinheit ver Darſtellung übergehen, ſich alſo zu wenig 
an den einzelnen Fall halten, m. a. W. die induktive Natur der empiri- 
j<en Pſychologie könnte an vielen Stellen noh beſtimmter zu Tage treten. 
Dr. Fröhlich, der auch die „Erziehung38- und Unterrichtslehre Lindners“ neu 
bearbeitet und herausgegeben hat, iſt ſichtlih bemüht, das Bud) auf der 
Höhe der Zeit zu erhalten; er hat die 10. und ebenſo die vorliegende 
114. Auflage weſentlic) vermehrt und vervollſtändigt, und er wird aud) 
fernerhin Sorge tragen, daſür bürgt ſeine Sachkenntnis und Gewiſſenhaſtig- 
keit, daß er na<h Inhalt und Methode mit der Zeit fortſchreitet. Wir em- 
pfehlen das Buch aus neue zum ſorgſältigen Studium. ] 
Wyſ, Fr., Handbuch der humanen Ethik für Eltern und 
Erzieher, wie auch für Schüler der Oberſtufe der Volksſchule. 
228 S. Bern 1899. Sc<mid & Franfe. 2 M. 60 Pf, 
Vor einer Neihe von Jahren (1874) erſchien von dem Verf. eine Tugend- 
und Pflichtenlehre, ein Hilfsmittel für die ſittliche Erziehung der Jugend, das 
wir genau kennen und lieb gewonnen haben. Vorliegendes Handbuch iſt 
nun ganz ähnlich gearbeitet; der Verf. geht von gewöhnlich ſehr intereſſanten 
Beijpielen aus, die kleinere oder größere Leſeſtü>e bilden, und aus denen 
die ſittlichen Lehren gezogen werden, und an welche ſich dann weiter Sprüche 
und didaktiſche Gedichte anſchließen. Warum W. das Werk<en ein Hand- 
buch nennt, iſt nict rec<t begreiflich, es genügt wohl, es als cthiſches 
Leſebuch zu bezeichnen; auch daß er von einer humauen Ethik ſpricht, er- 
iMeint uns als Tautologie, Der Verf. iſt ein eifriger Förderer der Beſtre- 
bung, die Sittlichkeit unabhängig von der Theologie zu begründen, in der 
Schule zu lehren und zu üben. Die Beſtrebungen ſind jehr edel und nach: 
ahmenswert. Der Verf. beruſt ſich auf Frankreich, „dem das unſterbliche 
Verdienſt gebührt, zuerſt den Gang der Menſc<hheitsentwi>lung begriffen zu 
haben“ ; die Hauviniſtiſ<en Lehrbücher und die Art des Unterrichtes der 
„Bürgerkunde“, wie dieſe in den Schulen dort behandelt wird, iſt allerding8 
leider wenig ermutigend, und auch die „ethiſche Bewegung" in Deutſchland 
läßt vieles zu wünſchen übrig, Woran es liegt, daß ein an ſich ſo ver- 
nünſtiger Gedanke nicht gedeihen will, das feſtzuſtellen, iſt nicht ſchwer und 
brau<t nicht weiter erörtert zu werden. Den Lehrbüchern fällt hierbei wohl 
die geringere Schuld zu, und ſo wünſchen wir, daß auch die neue Urbeit 
von Wyß, wenn wir auch nicht alles darin für die Jugend als ganz ge- 
eignet halten, weite Verbreitung finden möge. J, 
EiSler, Rud., Die Elemente der Logik. 103 S. Leipzig 
1898. Siegbert Schnurpfeil. 40 Pf. 
Die Verlagshandlung von S. Sc<uurpfeil hat eine „zwiſſenj<haſtliche 
Volksbibliothek“ ins Leben gernfen und ſhon gegen 50 Bändchen für einen 
ſehr billigen Preis erſcheinen laſſen. Es iſt dies immerhin ein recht ver- 
dienſtliches Unternehmen; denn auch unter vem „Volk“ giebt es viel ſtreb- 
jame und lebhafter denkende Köpfe, denen eine geſunde und billige geiſtige 
Nahrung für Geiſt und Herz und ſchließlih auch für die praktiſche Be- 
thätigkeit von großem Segen iſt. Vr. Cisler hat vor kurzem eine „Ein- 
führung in die Philoſophie" und jeht „Elemente der Logik" veröffentlicht, 
gegen die ja<mlich nichts eingewendet werden kann und der Empfehlung wert 
jind, nur methodijc< könnte der Verf, ſic< noh größerer Einfachheit be- 
fleißigen; bejonders in der „Einführung“ iſt er noch zu ſehr in der wiſſen- 
i<aitlihen Sprache und Terminologie hängen geblieben. * J.
	        
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