Triebhandlungen bei Dissozialität nach Enzephalitis epidemica usw. 403
Erkenntnisse, die hier erworben wurden, lassen Sich --- mutatis
mutandis --- bei allen anderen psychopathischen Zuständen an-
wenden, bei denen Triebhandlungen eine wegentliche Rolle spielen.
Dies ist die Ursgache, daß diese glücklicherweise ausgestorbene
Krankheit noch heute eine 80 ungeheure Bedeutung für die Psycho-
pathologie des Kindegalters begslitzt.
Ein paar Worte noch über die angewandte Methode der Unter-
Süchung und Beobachtung, da die berichteten Regultate nur zu ver-
Stehen Sind, wenn man weiß, wie Sie gewonnen wurden. Wie eine
Erziehungsschwierigkeit wirklich beschaffen ist (und um Beurteilung
von Erziehungsschwierigkeiten handelt es Sich doch hier), das kann
man nur wisSSen, wenn man S8ich die Möglichkeit schafft, diese Er-
ziehungsSchwierigkeiten Selbst in der natürlichen, lebendigen Situa-
tion mitzuerleben, und wenn man Selbst im aktuellen Augenblick
die pädagogisch-therapeutischen Maßnahmen vergucht, von denen
man glaubt, daß Sie zum Ziele führen. Dies ist hier geschehen:
Sämtliche Tatsachen, die mitgeteilt werden, Sind gehr reale und
gut fundierte Erfahrungen und Erkenntnisge der Erzieher und
Ärzte der Heilpädagogischen Abteilung. Sie wurden im Zusammen-
leben mit den Kindern, beim Unterricht, Spiel, Turnen, bei den Mahl-
zeiten, unter anderem natürlich auch während Gesprächen oder bei
Gelegenheit von Intelligenzprüfungen gemacht. Theoretische Deduk-
tionen wurden in dieser Arbeit auf ein Mindestmaß eingegechränkt
und nur verwendet, wo gie Sich aus den gemachten Erfahrungen
notwendigerweise ergaben. Sie 8SInd es auch, auf die am aller-
wenigsten Wert gelegt wird; wir Sind Jederzeit bereit, Sie leichten
Herzens über Bord zu werfen, wenn S8ie durch neue Erfahrungen
widerlegt werden Sollten. Denn wir fürchten nichts mehr, als daß
uns durch Kleben an einer vorgefaßten Meinung oder Theorie der
ireie Blick für Tatsgachen getrübt werde.
Ich kann an dieger Stelle nicht umhin, gegen gewisse Formen psycho-
logischer, psychiatrischer und pädagogischer Betrachtungsweise ein wenig
aggressiv zu werden: immer wieder drängen Sich als Berater, mit Vor-
trägen und Schriften Solche Personen vor, die zwar viele erziehungs-
Schwierige Kinder in der Sprechstunde gesehen, examiniert, getestet, unter-
Sucht haben, die aber in ihrem ganzen Leben die betreffende Erziehungs-
Schwierigkeit kaum Jje Selbst mitgemacht und mit ihr fertig zu werden ver-
Sucht haben. An Stelle realer Erfahrungen ist ein gewaltiges theoretisches
oder Denkgebäude vorhanden, an das man nicht mehr mit der kühlen Kritik
des Wisgsgsenschaftlers, Sondern nur mit dem religiögen Fanatismus des
Gläubigen herantreten darf. Auf Grund theoretischer Überlegungen, die
längst den Boden praktischer Erfahrung verloren haben, auf, Grund stati-
Stischer Daten, die niemals eine Verbindung mit dem Leben hatten, auf
Grund der Bingenweisheit moderner oder alter pädagogischer Prinzipien und
Regeln, die Ja im allgemeinen richtig. Sind, aber gerade in den Ausnahms-
fällen, die zum Erziehungsberater kommen, gewöhnlich Schon Jängst ver-
27*