Full text: Zeitschrift für Kinderforschung - 46.1937 (46)

Triebhandlungen bei Dissozialität nach Enzephalitis epidemica usw. 403 
Erkenntnisse, die hier erworben wurden, lassen Sich --- mutatis 
mutandis --- bei allen anderen psychopathischen Zuständen an- 
wenden, bei denen Triebhandlungen eine wegentliche Rolle spielen. 
Dies ist die Ursgache, daß diese glücklicherweise ausgestorbene 
Krankheit noch heute eine 80 ungeheure Bedeutung für die Psycho- 
pathologie des Kindegalters begslitzt. 
Ein paar Worte noch über die angewandte Methode der Unter- 
Süchung und Beobachtung, da die berichteten Regultate nur zu ver- 
Stehen Sind, wenn man weiß, wie Sie gewonnen wurden. Wie eine 
Erziehungsschwierigkeit wirklich beschaffen ist (und um Beurteilung 
von Erziehungsschwierigkeiten handelt es Sich doch hier), das kann 
man nur wisSSen, wenn man S8ich die Möglichkeit schafft, diese Er- 
ziehungsSchwierigkeiten Selbst in der natürlichen, lebendigen Situa- 
tion mitzuerleben, und wenn man Selbst im aktuellen Augenblick 
die pädagogisch-therapeutischen Maßnahmen vergucht, von denen 
man glaubt, daß Sie zum Ziele führen. Dies ist hier geschehen: 
Sämtliche Tatsachen, die mitgeteilt werden, Sind gehr reale und 
gut fundierte Erfahrungen und Erkenntnisge der Erzieher und 
Ärzte der Heilpädagogischen Abteilung. Sie wurden im Zusammen- 
leben mit den Kindern, beim Unterricht, Spiel, Turnen, bei den Mahl- 
zeiten, unter anderem natürlich auch während Gesprächen oder bei 
Gelegenheit von Intelligenzprüfungen gemacht. Theoretische Deduk- 
tionen wurden in dieser Arbeit auf ein Mindestmaß eingegechränkt 
und nur verwendet, wo gie Sich aus den gemachten Erfahrungen 
notwendigerweise ergaben. Sie 8SInd es auch, auf die am aller- 
wenigsten Wert gelegt wird; wir Sind Jederzeit bereit, Sie leichten 
Herzens über Bord zu werfen, wenn S8ie durch neue Erfahrungen 
widerlegt werden Sollten. Denn wir fürchten nichts mehr, als daß 
uns durch Kleben an einer vorgefaßten Meinung oder Theorie der 
ireie Blick für Tatsgachen getrübt werde. 
Ich kann an dieger Stelle nicht umhin, gegen gewisse Formen psycho- 
logischer, psychiatrischer und pädagogischer Betrachtungsweise ein wenig 
aggressiv zu werden: immer wieder drängen Sich als Berater, mit Vor- 
trägen und Schriften Solche Personen vor, die zwar viele erziehungs- 
Schwierige Kinder in der Sprechstunde gesehen, examiniert, getestet, unter- 
Sucht haben, die aber in ihrem ganzen Leben die betreffende Erziehungs- 
Schwierigkeit kaum Jje Selbst mitgemacht und mit ihr fertig zu werden ver- 
Sucht haben. An Stelle realer Erfahrungen ist ein gewaltiges theoretisches 
oder Denkgebäude vorhanden, an das man nicht mehr mit der kühlen Kritik 
des Wisgsgsenschaftlers, Sondern nur mit dem religiögen Fanatismus des 
Gläubigen herantreten darf. Auf Grund theoretischer Überlegungen, die 
längst den Boden praktischer Erfahrung verloren haben, auf, Grund stati- 
Stischer Daten, die niemals eine Verbindung mit dem Leben hatten, auf 
Grund der Bingenweisheit moderner oder alter pädagogischer Prinzipien und 
Regeln, die Ja im allgemeinen richtig. Sind, aber gerade in den Ausnahms- 
fällen, die zum Erziehungsberater kommen, gewöhnlich Schon Jängst ver- 
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