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veine Mutter war vor 8 Jahren gestorben, von Seinem Vater wußte
man nichts. Der Knabe hatten den größten Teil Seines Lebens bei einer
Großmutter auf dem Lande verbracht. Vor 2?/z Jahren hatte er Kopigrippe
mit langdauernder Schlafsucht.
Der Beobachtungsbericht von der Abteilung lautet:
„Lr fühlt gich hier gleich wie daheim, er zählt der Erzieherin in hastiger
Art, wer und woher er ist. Er ist geinem Wegen nach Sofort als „Enze-
phalitiker“ zu erkennen, hemmungslos und hastig in der Rede, ohne Fremd-
heits- und Distanzgefühl, ohne Rückgicht auf Disziplin. Es drängt und
treibt ihn ständig, er ist dauernd in Tätigkeit, hält bei nichts lange aus.
Er hat tausend Wünsche, werden zie ihm nicht erfüllt, dann zieht er alle
Register auf, fleht, weint, Schimpft, Schreit. Gibt man ihm nach, dann hat
er nach zwei Minuten Schon wieder einen anderen Wunsch. Manchmal 1äßt
er Sich ablenken, Spielt mit den andern oder lernt, doch rennt er dazwischen
immer wieder davon und muß zurückgeholt werden.“ |
„Br tut Sehr gutmütig und verläßlich, ist es vielleicht auch für den
Augenblick, in dem er etwas beteuert oder verspricht; aber Seine Trieb-
baftigkeit läßt ihn nicht zur Ruhe kommen. In jedem unbewachten Augen-
blick stellt er etwas an. Er stiehlt wie ein Rabe, flink, auch in Gegenwart
Erwachgener. Im Handumdrehen erwischt er vom Weihnachtsbaum Apfel,
Orangen, Schokolade; er hat auf diese Weise den halben Baum abgeräumt.
Fehlt den Kindern etwas von ihrem Spiel oder ihren Sachen, 80 hat es gewiß
er. In einem unbewachten Augenblick hat er Sich hier in die Kanzlei ge-
Schlichen und gich in der Schreibtischlade zu Schaffen gemacht. Später
fand man bei ihm einen kleinen Geldbetrag. -- Wird er ertappt, dann leugnet
er mit unschuldiger und ahnungsloger Miene, wird er überwiegen, dann ist
er zerknirscht, um im nächsten Augenblick doch wieder etwas anzustellen.
Ein Fremder muß Sgeine Unschuldsbeteuerungen und Reuebezeigungen
glauben, 80 überzeugend bringt er Sie vor. Wenn er dagegen fühlt, daß die
Zuhörer Sich über Seine Taten unterhalten und daß er nichts zu fürchten
hat, Schneidet er in Seinen Erzählungen Seelenruhig auf, spricht harmlos
über Seine Delikte, renomiert auch noch mit ihnen. Er richtet Sich da
genau nach Seiner Umgebung, Spürt Sofort ihre Stimmung und benimmt gich
demehntsprechend. Es stehen ihm immer die richtigen Ausdrucksformen Zur
Verfügung.“
„Er stellt den Mädchen nach und muß auch in Sexueller Hingicht gehr
beaufsichtigt werden. Er redet und gibt Sich da wie ein Erwachgener, er-
zählt, daß er Schon oft fensterln war, daß er ein Mädchen hat. Einem
Mädchen hier macht er Liebegerklärungen, wirft ihr dauernd Kußhände zu.
Er ist in dieser Beziehung genau 80 zähe wie g8onst in geinen Wüngchen.
In Seiner Triebhaftigkeit wäre er Ohne weiteres imstande, die Mädchen zu
attackieren.“
„Er iSt besgonders fink und körperlich geschickt, kann Räder und
Purzelbäume Schlagen, .auf den Händen durchs Zimmer gehen. Er ist auch
Schr geschickt in verschiedenen Küngten, als Brettelsänger, Zirkusclown,
hat da originelle Einfälle und wirkt gerade als Dilettant gut. Er ist auch
Sonst anstellig. Oft freilich tut er nur 80 als ob er etwas könnte und führt
damit die Leute hinters Licht. Das kann er ausgezeichnet.“
„Er ist von hier fünfmal durchgegangen, die letzten Male trotz .ge-
nauester Überwachung. Mit feinem Instinkt hat er noch. immer die gün-
Stigsten Gelegenheiten herausgefunden, wenn während der Vigite oder einer
allgemeinen Untersuchung alles beschäftigt war oder wenn nur für einen