. * = au vr im
Jannar 1904. PI EN
vp
INonatsbeilage Zu „Ethiſche Kultur.“
Herausgegeben von Dr. R. Penzig.
---= Inhalt: =>
Kinderland. Vom Herausgeber. | Werdet gute Bauſteine. Von Bruno Wille.
Für die Gejangſtunde. Von Dr. Fr. Wilh. Foerſter. | Leſefrüchte. Ruskin, Praeiterita.
Ov meine Brüder, nicht zurück ſoll Ihr mödtet dienen dem Vaterland ?
Wohlan, jo pfleget da3 Kinderland !
euer Adel ſchauen, ſondern hinau3! BVer- 1 I. SCS ,
. . 1 0 - Yinaus? DB Die Väter lebten, die Väter ſind tot;
triebene jollt ihr jein aus allen Vater- und Den Vätern tut Lieb? und Arbeit nicht not.
Urväterländern! Sie ſchlafen hinten in ſ<weigender Nai.
Do< vor unz3 glühend der Tag erwacht.
Eier Kinder Land ſollt ihr lieben Bald wird ſein Licht ein Land umiließen.
vw. » - * . € 32 [>4 ; - - - -
Dieſe Liebe ſei Euer neuer Adel, -- das Draus neue Saaten und Menſchen ſprießen.
., 27 1 - Wir ſind de3 Landes Sonne und Regen.
unentde>te, im fernſten Meere! Nac ihm De3 Landes Speiſe, de3 Lande3 Segen.
heiße iM cure Segel ſuchen und ſuchen! Drum auf, da3 Kinderland beſtellt,
„- i Zu gründen die neue, die beſjere Welt!
NiehbſHe-Zarathuſjira. Bruno Wille
Unſerer Kinder Land! Unjer Kinderland! Das erſte hebt ſich im Strahl der Morgenſonne vor dem
zufunftsfrohen Blick, wenn auch die Nebel der Gegenwartserde noch trübend darüber ſtreichen. Da3 andere liegt in der
Vergangenheit, umglüht und verſchönt durch den Abendſonnenſchein der Erinnerung, wenn auch die durchſichtig klare
Herbſtluſt uns alle Unebenheiten und Steine des Unſtoßes, daran wir geſtolpert, deutlich erkennen läßt. Wie Eltern
und Kinderfreunde ſiehen Alle an diejer *"Mittagsgrenzſ<heide. Zurü> taucht unſer Blick in die herrliche Zeit, da wir noch
Hoffnung, lebendige Hoffnung waren, und raſch ſtreicht er weg über die Gegenwart, die ſo viele Blütenträume mcht reifen
ſah, vorwärts weit in die Zukunft, haftet auf den blühenden Geſichtern unſerer Kinder, denen wir Sterbliche das heilige
Feuer des Lebens reichten, es weiter zu tragen, und verliert ſich in hellen Lichtträumen von Glü> und Vollkommenheit, wie
es nie der Augenblick ſah. Werdende ſind wir, bewußt Werdende. Wie uns das Sein unter der Hand zerrinnt in ein
ewiges Sichwandeln, jheinbar Vergehen und Neubilden, wie wir den Augenbli> umſonſt zum Verweilen einladen oder fort=
ſcheuchen, fo gleitet unfer perſönliches Leben und Erleben hinein in die Rieſenwelle des Menſchheitsgeſchehens, die dem fernen
unentdeckten Strande zueilt.
Aber die Tropfen ſind es, die die Welle aufbauen, ſie türmen und ihr Richtung geben; die Welle iſt es, die ſich
ihren Strand formt.
Wohl kennen wir nicht die geheimnisvolle Kraft, die das Urmceer des Geſchehens in wilde Bewegung ſetzte, wohl
ſind wir machtlos gegen die kosmiſchen Stürme, die über die ſchaumgekrönten Gipfel jagend ſie unbekannten Fernen zu=
wälzen, aber wohl können wir uns einordnen, oder troßig widerſtreben der Strömung, von der die Menſchheit getragen wird;
an uns liegt es, ob wir mit den anderen früher oder ſpäter das Eiland erreichen:
Tas Eiland der Sehnſucht des Menſchenherzens ſeit ſeinem erſten Pulsſchlag; das Land, das wir immer wieder
unſern Kindern verheißen müſſen, weil unſer Fuß nicht würdig iſt, es zu betreten = das Paradies der Heiligkeit und
Seligkeit, von deſſen Exiſtenz wir ſo innig überzeugt waren, daß wir es lieber im Dunkel der Vergangenheit ſuchten,
feine Ausgeſtoßenen und Heimatsfremdlinge heißen wollten, als es gar nicht zu kennen; die unentde>te Küſte, nach der
unſere Segel mit Kolumbus-Zuverſicht ſuchen und ſuchen. |
Dorthin, nach dem Aufgang, geht unſer tiefſtes Sehnen und Vorwärtsdenken, in dieſer Richtung taſtet auch unſer Fuß
weiter. Die Menſchheit erhöhen, über ſich hinaus ſteigen, das Beſte der Menſchenſeele zur uneingeſ<hränkten Herrſchaft
bringen, einen Geiſt ſchaffen, der dem Schöpfergeiſt gleich das Innere der Natur durchſchaut, einen Willen, in dem die
Gottheit von ihrem Weltenthrone niedergeſtiegen und Fleiſch geworden iſt, die Kraft und Schönheit verlebendigen, die
herrenhaft mit der Materie und den Weltkräften ſpielt -- dieſer Harmonie des Dreiklangs, wahr, gut und ſchön, drängen
die verworrenen Töne unſeres Erdenlebens mit ihren Diſſonanzen und klagenden Septimenakkorden zu = wir können
ſie ja nicht laſſen? es muß eine Auflöſung geben, da die reine Melodie mit erhabenem Brauſen, lieblichem Wohllaut
und kraftvollem Rythmus alles Menſchenleid in felige Ruhe taucht. |
Und unſere Kinder ſind es, die da vorangehen; zwar nicht als Führer, die den Weg wüßten, auch nicht als
Borwärtsgedrängte, die wir von hinten aus leiteten, wohl aber wie ahnende Traumſeher, die ihrem Genius in der Bruſt
gehor<hend, fich im dunklen Drange des rechten Weges wohl bewußt ſind. Wenn wir ſie nur nicht immer hindern wollten,
das Beſte in: ſich auszuleben, wenn wir die zarten Schultern nicht ſtet8 mit der Bürde unſerer eigenen Fehler und Sünden
belaſtet hätten, wenn wir nur etwas beſcheidener wären mit unſeren Wegleitungen und unfehlbaren Erziehungswinken! Wohl