Full text: Kinderland (Januar 1904) (1904)

ememmmnntee 
znit deim Drachen“ bietet ein Beiſpiel hierfür. Der Jüngling 
hat das Gebot des Meiſters mit vollem Bewußtſein Über- 
treten; aber da er wußte, der Meiſter habe den Kampf mit 
dem Drachen nicht etwa verboten, um den Drachen zu 
ſchützen, ſondern um die Ritter vor Geſahr zu behüten, fo 
ſagte er ſich: Wenn ich mich [9 wahre und wehre, daß nach 
menſchlichem Ermeſſen der Sieg mix verbürgt iſt, jo habe 
ich des Geſees Sinn und Willen getreulich erfüllt. Den 
Beweis für dieſe Geſinnung konnte er nur dadurch liefern, 
daß er das ſeine Tat verwerfende Urteil des Meiſters in 
Demut über ſich ergehen ließ. Und als er die Probe ab- 
gelegt, mußte von ſeiten des gerechten, nieht willkürlich ur- 
teilenden Richters die Belohnung notwendig erfolgen. 
Das Gegenſtück zu dem Beſieger des Drachen, des 
draußen und des in eigener Bruſt wohnenden, ii feine35- 
wegs Prometheus. Ein Karl Moor oder ein Michael Kohl 
haas iſt ſolch ein Gegenſtück; nicht ein Held, der den Menſchen 
Gutes bringt und dafür leiden muß, nein, ein Mann, der, 
Unrecht zu fühnen, größeres Unrecht begeht. Prometheus 
aber bleibt der von übermächtiger Herrenwillkür an den 
Jelſen geſchmiedete Wohltäter der Menſchen. --- 
Esgx. 
Jox war ein niedlicher weißhaariger Seidenſpiß. Aber wer 
fich -- verlo>t durch jein hübſches Aeußeres -- etwa verleiten 
ließ ihn zu ſtreicheln, wurde bitter beſtraft, denn Fox ſchnappte 
nach jeder Hand, die ihn ſtreicheln wollte. Er hatte von den 
redlichen Abſichten der Menſchen nur eine fehr geringe Meinung! 
Da3 kam daher: Er war in ſeiner Jugend von den Nachbars8- 
kindern viel gequält worden. Sie hatten ihn an den Löä<<hen 
gezauſt, ihn am Schwanz gezogen, ihn mit allerlei Le>erbifſen 
angeführt und dieſelben dann zum allgemeinen Gaudium ſelber 
verzehrt u. j]. w. Dieſe traurigen Jugenderfahrungen hatten das 
gute freundliche Weſen, das Fox mit zur Welt gebracht Hatte 
verdorben. Nur zu ſeiner Herrſchaft hatte er wirkliches Bertrauen; 
der ganzen übrigen Menſc<heit ſtand er feindſelig und mißtrauijd) 
gegenüber. Dieſe Feindſeligkeit nahm mit den Jahren eber zu 
als ab und Fox hätte ſie jedenfalls mit ins Grab genommen, 
wenn nicht ein unerwartetes Ereignis ihn davon erlöſt hätte. 
Eines Tages bekam Fox eine Spielgefährtin in Geſtalt einer 
jungen perſiſchen Kaze. Zuerſt betrachtete er jie ſehr feindfelig 
und wollte von Kameradſchaft nichts wiſſen; denn Miezi jtammte 
aus einem ihm ganz unbefannten Lande und war außerdem nol 
ein ganz junges Ding ohne jede Lebenserfahrung. Auch hatte 
ſie gar keine Manieren, ſprang auf alle Schränke, Tiſche und 
Stühle, richtete ſich ihren Stammplaß ganz unaufgefordert auf 
dem Schreibtiſch des Haus8herrn ein und wagte es ſogar auf 
friſch geſchriebenen Briefen ſpazieren zu gehen! Auch war Miegt 
nur von ganz gewöhnlicher grauer Farbe! Solche und ähnliche 
Betrachtungen gaben Fox viel zu denken, und er war lange im 
Zweifel, ob eine ſolche Kameradſc<aft mit einer Kage nicht unter 
ſeiner Würde ſei. Miezi hatte von all den ſiandesgemäßen Exr= 
wägungen natürlich keine Uhnung und war gegen Fox genau [ov 
(iebenswürdig wie gegen alle anderen Hausbewohner. Baid war 
ſie auch die Freundin aller Beſucher. Das gab Fox ſehr zu 
denfen und ſtimmte ihn grämlich: Woher mochte es wohl kommen, 
daß alle Menſ<en die Kaze ſo lieb hatten? Als er eines Tages 
wieder ganz nachdenklich und befümmert in einer E>e ſaß. kam 
Miezi herangeſprungen und fragte ihn teilnahm3vol nad) feinem 
Kummer. Da erzählte er ihr von ſeinen böſen Jugenderfahrungen 
und geſtand ihr, daß er ſeit jener Zeit einen tiefen Groll gegen 
die Menſchheit im Herzen trage und daß er auf der ganzen Welt 
außer ſeiner Herrſchaft niemanden lieb habe. Miezi fab ihn 
darob ganz entſezt an; ſie konnte ſo etwas gar nicht begreifen, 
wußte fie do; kaum, was Groll war. Sie verſuchte es nun 
nac< Kazgenart Jox zu tröſten, machte Sammetpfötchen und 
ſtreichelte ihn und erzählte ihm von den vielen guten UND freund- 
lichen Menſ<en, denen ſie ſchon begegnet war. Nachdem fie ihm 
lange zugeredet, verſprac< ihr Fox es no< einmal mit den 
Menſchen verſuchen zu wollen und ebenſo freundlich mit ihnen 
zu ſein wie Miezi. Zuerſt wurde es ihm ſehr ſchwer UND er 
mußte fich furchtbar zuſammennehmen, um nicht nach alter Ge- 
wohnheit zu zuſchnappen, wenn jemand ihn anrühren wollte. 
Aber naß und nach gelang es ihm doch ſich zu überwinden, Und 
je freundlicher er war, deſto freundlicher kamen die Menſchen ihm 
entgegen. Man ſprach und ſchäferte mit ihm genau wie mit 
Ptiezt. Nach einigen Monaten geſtand er denn auch feiner kleinen 
vierbeinigen Freundin, daß ihm jezt viel fröhlicher ums Herz ſei 
UND daß das bittere Gefühl, das ihm früher alle Lebensfretde 
vergällt hatte, immer ſeltener über ihn komme. Je mehr er fic? 
48 
 
| mit den Menſchen befaßte, deſto mehr kam er zu der Ueber- 
zeugung, daß ſie im Grunde gar nicht jo bo3Shaft ſind, wie e2s 
oft den Anſchein hat, und daß ihre guten Seiten weit beſſer zum 
Vorſchein kommen, wenn man es verſucht in Frieden UND Freund= 
Tchkeit mit ihnen zu leben, als wenn man ſich verbiſſen in eine 
Ee ſezt und kritiſiert. 
So wurde Fox auf? ſeine alten Tage durch ein unerfahreneS-. 
Käzchen von ſeinem Menſchenhaß erlöſt! L. JT. 
Zwiſchen den Dornen und am Wege, 
MutterbBeiſpiel.*?) Was den Erwachſenen zuträgliher 
ſei, ob ein wirklich mäßiger Bier: und Weingenuß oder das 
gänzliße Meiden aller Alkoholgetränke, darüber haben fich hier 
die Anſihten immer no< nicht genügend geklärt. Daß aber 
für Kinder jeder Genuß von Wein, Bier oder Shnäps<en 
verderblich iſt, darüber ſind jeht zum Glüd die ärztlichen 
Autoritäten vollkommen einig. Sie haben feſtgeſtellt, daß 
ſhon dem Säugling das Bier ſchädlich iſt, das die Mutter 
genießt; daß kleine und größere Kinder dur< Bier- und Wein=- 
genuß nervös, dumm, ſ«laff und energielos werden; daß Bier- 
und Weingenuß das Wachstum der Kinder hemmt und das 
leichte Lernen in der Schule verhindert; daß es Schlafloſigkeit, 
Kopfſ<merzen verurſa<t und- „naſeweiſe, frühreife, abgelebte 
junae Greiſe aus ihnen macht" wie Prof. Paulſen ſagt. Nach 
Profeſſor Kräpelin vergiften ſo Hunderte von Müttern in regel= 
rechter Weiſe ihre Lieblinge dur< ein Mittel, welches ſie nah 
Umſtänden zu körperlihen und zu geiſtigen Krüppeln macht. 
I<h bin überzeugt: jede verſtändige, liebende Mutter wird 
ihren Kindern dieſe Vergiftung fern halten, ſobald ſie nur ge- 
nügend über die ſchlimmen Folgen dieſer Getränke orientiert iſt. 
Aber es gibt verſchiedene Arten von Müttern. Die einen. 
werden ihren Kindern zwar keinerlei Alkohol geben, aber ſie 
wollen für ſich ſelbſt nicht auf das Trinken von Bier und Wein. 
verzihten. Erween dieſe Mütter nicht bei jeder MWiahlzeit 
Qualen des Verlangens in den Kindern? Wenn Du groß biſi: 
heißt es. Bei dem ſtarken Nachahmungstrieb der Kinder ſehnen 
dieſe die Zeit herbei, wenn ſie groß ſein werden, um auch ſo 
Schönes trinken zu dürfen. So kommen ſie ungeſtählt gerade 
in den gefährlichen Jahren zu dieſem Gift, dem zahlloſe Opfer 
auf ſittlihem Gebiete dann erliegen; denn nicht ohne Grund 
wünſchte ſhon Plato ein Geſe, daß bis zum 158, Jahre den 
Wein verböte, da es gefährlich ſei, das Iugendfeuer mit feurigem 
Trank no<h zu verſtärken. | 
Die anderen Mütter werden ihren Kindern auch kein Bier 
und feinen Wein geben. Aber ſie werden mehr tun. Sie 
werden ſie über die ſchädlichen Folgen des Alkohols aufklären 
und ihre Lehre dur<h ihr eigenes Beiſpiel bekräftigen. Sollten 
dieſe nicht tauſendmal mehr erreichen ? | 
An Selbſtzuht gewöhnt, dur< das Beiſpiel derjenigen er=- 
mutigt, die ſie am höchſten verehren, der ſie gern recht ähnli? 
werden mödten, wie anders werden ſolche Kinder allen ſpäteren 
Verſuchungen des Lebens tapfer entgegentreten! Es iſt ja 
auch den Mitgliedern dieſes Mäßiakeitsvereins gern geſtatiet, 
ganz auf Bier und Wein zu verzichten, -=- als Liebesdienſt für 
die ſ<wäheren Mitmenſ<en. Wer ſollte zu dieſem Liebesdienſt 
ſchneller bereit ſein als die Mütter, die bekanntlich ſelbſt ihr 
Herzblut gern für ihre Kinder hergeben würden ? 
Glülic<h diejenigen Frauen, deren Gatten ihnen dann niht 
entgegenarbeiten, ſondern zum Wohl ihrer Lieblinge im ſelben 
Sinne zur Seite ſtehen! | 
Mas wir außer dem Hauſe im Kampf gegen den Alkohol 
helfen können, das zeigen uns unſere Schweſtern in der Shweiz, 
in den nordiſchen Ländern und beſonders in Amerika. Schon 
vor 10 Jahren habe ich dort ſtaunend ihr ſegensreiches Wirken 
bewundert. 
In Chikago ragt ein 16 Sto> hohes Geſhäftshaus gen 
Himmel, das die vereinigten Frauen der Temperenzbewegung 
auf Aktien gebaut hatten, um dur< die Mieten DeSſelben Die 
Mittel für ihren Feldzug gegen den Alkohol zu gewinnen. Im 
oberſten Sto>werk hatten ſie ihr Hauptquartier, von wo aus 
ſie dieſe großartige Organiſation leiten. Was wir noch ex= 
hoffen, haben ſie zum großen Teil ſhon erreicht. Es gelang 
ihnen, den Unterri<t über die Alkoholſhädigungen in die 
Schule einzuführen, die Gaſthausreform und die Reform Der 
Trinkſitten einzubürgern und die Geſeße weſentlich zu beein=- 
fluſſen. Das konnte ihnen natürlich nicht dadur<h gelingen, daß 
jede für ſi; behaglich im eigenen Häus<hen ſien blieb, ſondern 
dadurhH, daß ſi< die Frauen ſc<hweſterlich die Hände reichten. 
So wurden ſie zu ſtarken Helferinnen für das Wohl des 
Vaterlandes. | 
Deutſhe Frauen! Auf, an die Arbeit! 
*) Aus einer Anſprache an die Frauen auf der XX. Jahres 
verſammlung des deutſc<. Vereins geg. den Mißbrauch geiſtiger 
Getränfe am 21. Oktober 1903, von Frau Hanna Bieber-Böhms=- 
Berlin, Vorſigenden des Vereins „Iugendſc<uß“, Berlin. 
mwmeemmnmnnenn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.