die Erfahrungen in Moralunterricht eine neue Beſtätigung
erhält: „Wenn 1i9r nicht werdet wie die Kindlein, ſo könnet
Jhr nicht in das Himmelreich kommen.“ UAuch das Himmel=
reich der jittlihen Erkenntnis ſteht dem Gemüt des Kindes
offen, wenn es nur eine ſanfte und liebevolle Hand !ndet,
die es nach oben leitet.
Ic< möchte im Folgenden einige authentiſche Kinder-
antworten aus dem Moralunterricht, wie er in Zürich von
Dr. Foerſier erteilt wird, anführen, ohne am Sprechſtil
und der Ausdrucksweiſe des Kindes etwas zu verändern.
Die angeführten Antworten werden das Vorhergeſagte be=
ſtätigen, und es iſt nur bedauerlich, daß durch wenige
Kinderausſprüche -- Ausſprüche, die aus dem Zuſammens=-
hang von längeren, uinmer durch Gleichniſſe, Bilder und
Creianiſjfe aus dem Kinderleben vorwärtsgeführten Be-
jprechungen herausgegriffen worden ſind die Tatſache
faum zu belegen iſt, daz die Kinder wirklich fähig ſind, ein
fittliches Problem von allen Seiten zu beleuchten, daß ſie
inumer erſtaunlich gründliche Löſungen und viele Beweiſe
dafür finden, warum ein Handeln qut iſt und warum nicht.
Die Geſchichke von öden elf Städten.
Don Emma I. Arnold.
Llius dem Engliſchen überſe3t von Helene von Wallner.
(Sine archävlogiſc<e Studie für die Jugend.)
Wem macht es nicht Vergnügen in der Erde herum
zugraben ? Und wer von Guch hat nicht ſchon einmal eine
Feſtung aus Lehm für ſeine Bleiſoldaten und Kanonen gebaut?
Nehmen wir an, Ihr hättet ein Loch in die Erde ge-
graben, auf deſſen Grund Ihr plöglich einen Gegenſtand
findet; mit welchem Intereſſe würdet Ihr da weiter graben,
um noch mehr zu finden! Deshalb- iſt das Graben an
jolchen Stellen, wo man etwa38 zu zinden hofft, jo ſchön
und intereſſant.
Seht Jhr, ſo gibt es auch erwachſene Leute, welche
beinaße 1hr ganzes Leben damit verbracht haben, die un
auſzugraben, oder Andere 321 beauffichtigen, welche für
dieſe Arbeit ausgeführt haben. Nun graben dieſe Ceute
nicht nach Gold oder Silber, ſie forſchen nicht nach Kohle,
auch machen ſie feine Gräben für Gasröhren, Waſſerleitungen,
Kanäle 26. Was glaubt Jhr alſo, daß ſie tun? Sie graben
die = Weltgeſchichte aus! Das klingt freilich etwas
wunderlich und Ihr werdet es mir vielleicht gar nicht glauben
wollen, doc kann ich es Guch beweiſen !
Wißt Ihr, was die Weltgeſchichte iſt? Das iſt die
Geſchichte von den Menſchen, welche, ſeit es auf der Erde
Menjc<hen gibt,
Jahre lebten, was ſie getan und gelitten haben.
Ein Teil dieſer Weltgeſchichte wurde in Büchern nieder-
geſcyrieben und wir können ſie in vielen Sprachen leſen.
Die Franzoſen haben ihre Geſchichte und wir Deutſche haben
die unſere. Die Engländer, die Amerikaner, die Schweden,
die Jtaliener, kurz alle zwiliſierten Nationen beſigen ganze
Bibliotheken, welche davon erzählen, was ihre Vorfahren
und jene aiderer Völker in all den vergangenen Zeiten er-
lebten. Auch die Griechen und Römer ſchrieben eine Welt-
geſchichte und die Bücher des alten Teſtamentes enthalten
dic Geſchichte des jüdiſchen Volkes.
Je weiter wir nun in die V zergangenheit zurückgreifen,
je weniger Geſchichtsbücher finden wir vor. Aus vielen
Gründen. Einer davon 1iſt, daß die Völker, welche in dieſen
alten Zeiten lebten, ihre meiſte Zeit mit Kämpfen verbrachten
und nur wenig zum Schreiben kamen. Auch glaube ich
kaum, daß es ihnen in den Sinn gekommen wäre, daß
außer ſic) zu bekriegen, es noh etwas gäbe, was zu tun
oder zu beſchreiben ſich verlohnte. Sie hatten keine Ahnung,
daß cs jemals Jemanden intereſſieren könnte, wie ſie an-
durch alle die vielen hundert und tauſend
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gezogen waren. ob ie leſen und ſchreiben konnten, ob fie
einen Gott oder mehrere Götter anbeteten, auf welche Art
ſie ihre Toten begruben und ob ſie in den Krieg mit
metallenen Schwertern und Schilden zogen, oder mit Stein-
Aexten und Pfeilen, deren Spitzen mit Feuerſtein verſchen
waren.
Die Wiſſenſchaft, welche von allen dieſen und nod)
vielen anderen Dingen in Bezug auf die Völker des Alter-
tums handelt, nennt man die Archäologie und mit Hilfe der
Archäologie ſind wir im Stande, Vieles von der Geſchichte
jener vergangenen Zeiten, wo die Menſchen | noch nicht an
Geſchichtsſchreibung dachten, herauszufinden. Die Archäologen
bilden Geſellſhaften untereinander und bringen das Geld
auf, um Leute auszuſenden, welche die Ruinen von Städten
und Friedhöfen jener alten Bölker ausgraben und nach all
dem ſuchen, was ſie darin zu finden hoffen. Auf dieſe Art,
ein Stücfchen hier, ein Stückchen dort, können ſie die Ge-
ſchichte der fernen Vergangenheit zuſammenfügeu. Es iſt
eine ſehr intereſſante Arbeit, und jezt wollen wir zujammen
einen ſolchen Schaßzgräber begleiten. Wir werden nun elf
alte Städte ausgraben, jede betrachten und ſehen, wie viel
vergrabene Weltgeſchichte wir finden können. Dieſe elf
Städte ſtehen aber nicht an 11 verſchiedenen Orten; nein,
alle befinden ſich auf einer und derſelben Stelle!
Wie glaubt Jhr nun, daß das möglich iſt? Habt Jhr
je daran gedacht, daß ſich der Boden aller Städte, in denen
die Menſchen leben, allmählich erhöht? ES mag jährlich nur
ein Stückchen ſein, das aber genügt, daß der Boden ſietig
höher wird. In ſolchen Städten, deren Häuſer aus Stein,
oder gebrannten Ziegeln erbaut ſind, geht dieſe Zunahme
nur langſam vor fich -- in Hunderten von Jahren vielleicht
nicht mehr, als ein, zwei Fuß. Aber es gibt Gegenden,
hauptſächlich in Aſien, wo die Leute, wenn ſie ein Haus
bauen wollen, einfach den Lehm zu ihren Füßen aufnehmen,
ihn mit etwa8 gehacktem Stroh vermengen und zu Ziegeln
formen, welche ſie in der Sonne trocknen. Won diejen
Ziegeln bauen ſie ihre Wohnungen.
Nun könnt Ihr Guch denken, daß ſolche Häuſer keine
lange Dauer haben. Bei trockenem Wetter zerbröckeln ſie,
und in Gegenden, 1vo es regnet, wird allmählich 18 viel Lehm
weggewaſchen, daß die Familie gezwungen iſt, auszuziehen.
Was tut nun der Beſitzer eines ſolchen Haujes? Glaubt
Ihr, daß er es auszubeſſern verſucht? O nein! Er ununmt
einfach einen Spaten, reißt das Haus nieder, macht es dem
Boden gleich, fängt von vorne an und baut fein neues
Haus gerade auf dem alten wieder auf!
So macht es ſein Sohn und deſſen Sohn wieder und
ſo fort und fort. Jeder baute auf den Ruinen des vorher
ſtehenden Hauſes weiter, Auf dieſe Art waren Städte aus
Lehmziegeln allmählich höher und höher gewachſen, bis fich
die lezte Stadt endlich auf einem Hügel erhob, viele Fuß
über der Ebene, auf welcher die erſte Stadt erbaut
worden war.
Jetzt werdet Ihr es verſtehen, wie es möglich iſt, daß
elf Städte auf einer und derſelben Stelle ſtehen können.
Jede ruht auf den Ueberreſten der vorherigen.
| Der Hügel, welchen wir jezt aufgraben werden, trug
ſchon mehr als 400 Jahre vor Chriſti Geburt keine Stadt
mehr. Das mag vor 2300 Jahren geweſen ſein. Er war
verödet, und durch die vielen Jahre hindurch zerbröcelten
langſam die lehmigen Ziegel der lezten Stadt und vermengten
ſich mit dem Erdreich, aus dem ſie gebildet waren; Regen
und Wind glätteten den Gipfel des Hügels und die Menſchen
hatten vergeſſen, daß jemals eine Stadt darauf geſtanden
iſt und Niemand ließ es ſich mehr träumen, daß tief unter
den Erdboden dic verfailenen Häuſer von Generationen von
Menſchen lägen, welche vor vielen Jahren daſelbſt gelebt
hatten und geſtorben ſind. Der Hügel wurde zu einem
Felde gemacht und mit Korn angebaut.