Die drei Bäume..
In jedem Jahre wird es Frühling, Sommer, Herbſt
„und Winter.
- kommen feſte, braune Knoſpen, aus denen die Sonnen=-
ſtrahlen langſam die ſchönen grünen Blätter hervorlocen.
Die ſind erſt klein und hell und zart; ſpäter werden. ſie
groß, dunfel und derb, und dann färben die heißen Strahlen
der Auguſtſonne ſie blutig-rot oder goldgelb oder brontebraun.
' Und dann fommt der Wind und bläſt ſeine wilde
Muſik durch die Zweige, bläſt und bläſt, bis alle Blätter
herabgefallen ſind und die Erde decken, ein bunter, raſchelnder
Teppich. Und dann kommt Nebel und Schnee und Eis,
und Erde und Bäume und alles wird weiß. So geht es
alle Jahre,
Schönheiten, die das Jahr in gewohnter Folge bringt.
Herrlich wie am erxſien Tag iſt die Welt immer wieder;
und durch Eure lieben Fenſterlein, die Augen, kann immer
neue Herrlichkeit in Euch hineinziehn, wenn Ihr nämlich
verſteht, richtig herauszugucken. Je öfter Ihr das beobachtet,
dejio mehr Schönes und Intereſſantes werdet ihr entdecken.
Bald werdet Jhr garnicht mehr begreifen, wie man ſich
langweilen kann. Doch nicht nur die Natur zieht durch
Gure klaren Fenſterlein in Guch ein; noch mandy anderes
könnt Jhr betrachten lernen und Euch dadurch Freude ver=
ſchaffen. IJ<4 will heut nicht von den verſchiedenen Be=
ſhäftigungen der Menſchen ſprechen; ich glaube, die verſteht
ihr zu beobachten. Wenn ein Schloſier, Tiſchler oder anderer
Handwerker ins Haus kommt, fo ſeid ihr wohl ſtets ſein
treues Gefolge; auch in der Küche finden es die meiſten
intereſſant, und nicht blos des „Koſten8“ wegen. (Findet
Ihr nicht, daß 1ich ſehr höflich bin?) -- Dagegen möchte ich
wetten, es gibt eine ganze Menge Kinder, die wiſſen nicht,
was an den Wänden 1ihrer Wohnung hängt, obgleich ſie es
doch alle Tage jehn. Nämlich es ſpiegelt ſich in den Fenſter-
lein; es guat aber: niemand heraus und paßt auf. Dabei
Ut es mit den Bildern ebenſo wie mit der Natur. Wenn
man ſie aufmerkſam betrachtet, ſo entde>t man immer Neues
in ihnen und hat immer neue Freuden. Mancherlei Ge-
danken und Gefühle kommen einem bei Betrachtung eines
Bildes, das ein guter Künſtler gemacht hat. Ein guter
Künſtler iſt immer ein Menſch, der ſehr viel gefühlt und
gedacht hat. Er will ein ſchönes Bild malen, nicht etwa
Gefühle und Gedanken; aber ganz von ſelbſt kommt etwas
von dem, was er denkt und fühlt, mit hinein in das Bild.
Jedes Kunſtwerk iſt eben ein Stückchen von dem Menſchen,
der es gemacht hat, wie das Blatt ein Stückchen Baum iſt.
(Das müßt Jhr mir ſchon glauben, wenn Ihr es auch
noh nicht ganz verſteht. Jhr könnt mir. wirklich glauben;
denn das 1ſt gerade bei mir die Hauptſache, daß ich Kindern
nichts vorreden will.) -- Daher kommt es nun, daß :man
beim aufmerkſamen und häufigen Betrachten eines Kunſt-
Ih will
werfs mancherlet Gedanken. und Gefühle Hat,
Cuch nun erzählen, was ich bei einem Bilde denke und
fühle, das bei uns- hängt.
| (E35 iſt ein. kleines Bild, nicht in bunten Farben, nur
ſchwarz und weiß. ES iſt auch nur eine Nachbildung, aber
die eines ſehr berühmten Bildes. von einem der größten
Künſiler aller Zeiten und Länder. Jhr werdet den Namen
Rembrandt wohl ſchon gehört haben. Das Bild heißt „Die
drei Bäume.“ E5 ſind drei Bäume darauf abgebildet, die
Jo eng zuſammenſtehn, daß die Kronen in einander Über=
gehn; man fann nicht erkennen, wo eine aufhört und die
andere anfängt.
land; ſie allein recken ſich gegen den hellen Himmel empor,
der mir fahl und unheunlich erſcheint, wie vor einem Sturm.
Da ſchwebt auch jchon aus der Ecke ein dunſtiges Wolfken-
aebilde heran, und hinter den Bäumen iſt es ſchwarz und
Das Gras ſproßt hervor, die Bäume be=-
das wiſſen die Großen und die Kleinen; und
doch freut ſich Groß und Klein immer aufs Neue über alle
Die Stämme der Bäume erheben ſich auf
einer klemen Erhöhung; ring5um ſcheint jumpfiges Flach- -
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unheimlich. Wenn ic<h lange hinjehe, jo meine ich, ich ſehe,
wie die Bäume ſich beugen, um den Anprall des Sturmes8
abzuſchwächen; feſt verkettet bleiben ſie dabei. Stände dort
ſtatt der drei ein einzelner Baum, e8 wäre mir bange um
ihn, und wäre er der ſtärkſte. Der Sturm würde ihn doch
paken und brechen oder entwurzeln. Aber drei, jeder
einzeln fejtgewurzelt und mit feſtem, geradem Stamm, daber
treu zuſammenhaltend, ich glaube, denen kann fein Sturm
etwas anhaben.
Und ſo wird das Gefühl des Unheimlichen verdrängt
von einem Gefühl hoher Freude. Die drei Bäume werden
mir ein Bild der Tapferkeit und Treue. J<h meine nicht
die Tapferkeit, die ſich darin zeigt, recht viele Menſchen tot
zu ſchlagen, an der habe ich keine Freude. Nein, die
Tapferkeit, die in Sturm und Unglü> ausharrt, um ſich
ſelbſt zu erhalten für die andern. Wenn einer des Kampfes
müde wird und vor lauter Müdigkeit ſich nicht mehr jo
eiſern feſtlammern möchte mit ſeinen Wurzeln, jo denkt er
daran, daß mit ihm auch die andern fallen müßten. So
denken alle drei, und ſo widerſtehn ſie dem Sturm.
Aber ſind denn das Bäume? -- Das klingt ja wie
von Menſchen. -- Ihr habt recht, meine lieben Kinder.
E83 ſind. Bäume auf dem Bilde; nnd ich ſpree wohl zu
menſchlich von ihnen. Und faſt bilde ich mir ein, mir jei
das ſo gegangen, weil es dem großen Rembrandt umgekehrt
ging und ihm Menſchen zu Bäumen wurden. Doh das
branc<ht Jhr mir nicht zu glauben. J4 wollte Euch nur
erzählen, was man alles beim Anblick eines Bildes empfinden
kann; und das iſt wohl bei jedem Menſchen anders.
Wenn der Sturm vorüber gebrauſt iſt, und die drei
Bäume ſich wieder der Sonne freuen, zerzauſt, es Ut wahr,
aber ganz und ungebrochen -- glaubt ihr nicht, daß ſie
dann gern an den Sturm zurückdenken werden, durch den
ſie erſt erkennen konnten, daß ſie alle drei tapfere, ſtarke,
treue Geſellen ſind? Ich glaube, dieſe Erinnerung iſt auch
eine Freude, die immer herrlich bleibt, wie am erſten Tag.
BFrometbeus,.*)
Von Franz Staudinger.
Warum doch die Prometheustage immer und immer
wieder die Menſchen ergreift? In alter Zeit den Heſiod,
und den Aeschylus, die das Problem des Kampfes Zweier
Weltmächte ſchon aufs tiefſte empfinden. In neuer Zeit
die Shelley, die Goethe und andere, auch ſolche, welche zwar
nicht den Namen Prometheus gebraucht, aber unter anderem
Namen dieſelbe Sache beleuchtet haben.
In Byrons Kain ſteckt, wie Jodl mit Recht betont“*),
dasſelbe Problem, in Schillers „Kampf mit dem Drachen“
iſt es nur in anderer Weiſe zum Austrag gekommen, und
in Siegfried Lipiner8 ſchönem Gedichte „Lucifer“ iſt das-
ſelbe Grundelement des Kampfes eines ſich höher erachtenden
Rechtsbewußtſeins gegen mächtigeren Herrenwillen der Grund-
ton. Iſt nicht im Grunde in dem bibliſchen: „Du jollſt
Gott mehr gehorchen, als den Menſchen“ derſelbe Gedanke ?
Spricht ihn nicht ſchon der Antigone Wort von den „ewigen,
- ehernen, großen Geſetzen," die über gegebenen Geſetzen ſtehen,
vernehmlich aus?
In der Tat, hier liegt ein Weltkonflikt vor. Ein Kon-
ſitt, der freilich nicht immer ſo große Folgen nach ſich zieht,
wie in der alten Sage. Doch keiner von uns allen bleibt
von ihm gänzlich ver)<ont.
Immer und immer wieder triti uns im Kleineren wie
im Größeren die Frage entgegen, ob wir der Forderung
eines gegebenen Gebotes nachzukommen, oder einer Stimme
in uns, die ein anderes für beſſer erklärt, Folge zu leiſten
) FÜL unſere „Großen.“
**) Vergl. Ethüſyche Kultur 1896, Nr. 9