macht zum vollen Genuß fähig, freudiges Entbehrenwollen
zu ſeiner Zeit.
Alltagswahrheiten! Natürlih. Nur ſind ſie veshalb
nicht falſ<. Aber damit wird die Welt nicht erlöſt, meint ihr ?
Nun ich weiß nicht, ob die Erlöſung der Menjc<heit
vom Schlechien nicht ein gut Stü> vorwärts gekommen wäre,
wenn ein paar Hunderte oder Tauſende mehr ihr törichtes-
blindes GlüXwünſchen in ein beſtimmtes Wollen eines exr-
reichbaren Üeinen Ziels verwandelten.
Aber allerdings: Der Menſch lebt nicht vom Brot
allein. Ohne eine Jdee, ein fernes Jdeal möchte ich kein
Leben preiſen.
Menſc<<hengeſchlechts brauchen wir.
Nun ſind Wünſche keine Jdeale. Wünſche ſind ohn-
mächtige Phraſen -- und wehe, wenn die Jdee zur Phraſe
wird! Es gibt ein untrügliches Mittel, um zu prüfen, ob
ein Jdeal nur eine angelernte, gläubig nachgebetete Phraſe
iſt, oder ni<t. Nämlich, ob ein Wollen daraus hervorgeht,
ein feſtes, unerſchütterliches, eine Entſchlußkraft, die das
Leben umgeſtaltet, die zum Märtyrer macht und dem kleiner
Einzeldaſein Würde und Weihe gibt.
Eure Väter ſtrebten ſo nach dem Jödeal der Einheit
des deutſchen Vaterlandes, und bluteten dafür. Eure Groß=-
väter für die politiſche Freiheit. Heute ſcheint neben dieſen,
die ja noc< lange nicht volle Erfüllung gefunden haben,
die Jdee der Gleichheit vor dem Geſetz, der Gleichheit
der Rechte und der Bedingungen für ein edles Menſc<en-
tum und nac< Brüderlichkeit, nah Beſeitigung der
trennenden Klaſſen=, Reichtums- und Bildungs8gegenſäße im
Herzen der tüchtigen Jugend zu leben. Möge auch ſie nicht
bloß ein Neujahrswunſc< beiben, ſondern die ſtoßende ge-
waltige Willenskraft werden, die einzig und allein die Welt
beſſern und erlöſen kann. Wir ſtimmen Robert Seidel,
dem Züricher Führer der Sozialiſten und Ethiker, bei, wenn -
er in dem anfangs zitierten ſchönen Gedichte fortfährt:
„Wer ſieglo3 für das Recht geſtritten
Und für de3 Volke38 Wohl und Heil,
Wor für die Wahrheit hat gelitten
De- Lüge und Verleumdung Pfeil,
Dem wünſchen Stärke wir und Glauben
An der Jdeen Sieg und Macht!
. Kein Mißerfolg ſoll je uns rauben,
Wa3 uns das Leben zweckvoll macht!“
Meujahrsmärchen.
Einſam und ſtill war's draußen im Walde. Kein Wind-
hauch fuhr durc. die alten Fichten und Kiefern. Kein Knacken
in den Zweigen.
bededct,
Schneeſternhen vom Himmel und verhüllten jeden Weg und
jeden Steg. Kein Rabe flog krächzend dure den Wald.
Kein Eichhörnchen huſchte geſchäftig hin und her. Kein
Rehlein trat aus dem Gebüſch heraus. Das Wäſſerchen
lag erſtarrt in ſeinem Bett. und ruhte ſic) aus von ſeiner
Wanderſchaft.
Und mitten im tiefen Walde, verborgen hinter dichtem
Geſträuch, lag eine Höhle. Noch niemals hatte ſie ein
Menſch betreten.
guten Ende geführt.
Im Winter nun ſchlief der Quell in 'der Höhle, und | 1 |
Schule gefehlt; als ſie endlich wiederkam, war ſie noch ſtiller
Rugold, der Zwerg, mußte bei ihm bleiben, daß nicht ein
wärmerer Sonnenſtrahl ihn wecke. =- Wehe, wenn der er-
wachte
tränfen.
„nicht verlaſſen.
Nicht bloß das Dämmerlicht über dem |
Tagewerk, auch einen Strahl Fernlicht aus der Zukunft des -
Alles war dicht und weich mit Schnee | ſtrahlte, daß der Schnee glißerte.
und unaufhörlich fielen lautlos unzählige weiße -
al riefen ſie ſich zu:
Dort hauſte ein alter Zwerg und hütete
einen koſtbaren Quell. Wer aus dem Quell trank,“ wurde
froh und jung, und alles, was er begann, würde zu einem
Quell hinausgeeilt wäre, Bäume und Sträucher zu -
Die wären .zu. neuem. Leben. erwacht und hätten
dann in der grimmigen Winterkälte elend. erfrieren müſſen.
Aber Rugold, der ſtarke Zwerg, verſah ſein Wächter.
amt mißmutig. Er hatte Sehnſucht nach der Sonne und
nac< dem grünenden Walde, nach dem Geſang der Vögel
und nach der friſchen freien Luft. Doch er durfte die Höhle
Doch hor<h!
„Rugold --- Rugold!“
„Wer kommt? A<h du biſt's, Werduna! Sei mir
willkommen! Was führt dich zu mir?“
„Laß mich ausruhen in deiner Heimſtatt,“ ſagte Wer=-
duna, die Hüterin des Jahreslauf8, „ich bin ſo müde und
habe feine Kraft mehr zum Wandern! Rugold -- Rugold,
es ſteht ſchlimm! Von den Menſc<henkindern verzagen ſo
viele, ach ſo viele, und ich kann ihnen keine Hoffnung geben.
Hilf mir, Rugold, und hilf den Menſchen!“
„Wie kann ich -- ich bin ſelber unfroh!“
„So laß mich bei dir bleiben: ſo kraftlos kann und
mag 1ich nicht weiter wandern!"
„Gut, es ſei, Werduna, bleibe bei mir; doch ſag, ſahſt
du die Sonne?“
„Die kämpft mit der Nacht.
ihr ab.“
„Was macht der Wald?“
„Gr ſchläft. Der mitleidige Schnee hüllt ihn warm
und weich in eine weiße Schneedecke,“
„Und die Vöglein?“
„Die ſchweigen.“
„Und meine treuen Freunde, die Rehe?“
„Die zittern und frieren und hungern.“
Da ſc<hrie Rugolv laut auf und warf ſich an die Erde.
Davon erwachte der Quell, jprudelte hoch empor und ſtrebte
nac< dem Ausgange. Doh mit ſtarker Hand wehrte ihm
der Zwerg. „Noch nicht, mein Ouell, noch iſt unſere Zeit
nicht gefommen. O, daß wir hier untätig bleiben müſſen!“
Da richtete ſich Werduna auf und ihre Augen leuchteten.
„Rugold, Rugold,“ bat ſie, „gib mir einen einzigen Schluc>
von dem Quell! I< will von neuem beginnen und meine
Wanderſchaft wieder antreten. Rugold, es muß mir ge-
lingen: die Menſchen und Tiere dürfen nicht verzagen. I<
will ihnen neue Freude und Hoffnung bringen.“
Rugold trat vom Quell zurük, und Werduna neigte
ſich nieder und trank. -- Langjam erhob ſie ſich dann und
reckte ihre Glieder. Da ſpürte ſie mit einem Male nichts
mehr von Müdigkeit. Froh nahm ſie Rugolds Hand, drüdie
ſie und ſprach: „Hab Dank, Rugold!“
Dann trat ſie aus der Höhle hinaus in den Winter-
wald, und von ihr ging eine Kraft aus, die alles ring3-
Nur Lurze Zeit ringt ſie
umher mit neuem Leben erfüllte.
Und die Sonne ſtieg höher am Himmel hinauf und
Da recten ſich die Bäume
und Sträucher, und es knackte in ihren Zweigen. Die Rehe
kamen freudig herangeſprungen und ſchmiegten ſich vertrau-
lich an Werduna.
Und Werduna ſchritt weiter.
brachie ſie neue Kraft und neue Hoffnung. Die Menſc<hen
aber, die wurden wieder froh und ſagten: „Laßt uns von
neuem beginnen und wieder Vertrauen haben!" Und üÜber=
„Glü& auf zum neuen Jahr!“
Grete Oberreich.
Ueberall, wo ſie hinkam,
Seiden.
Skizzen von Ingeborg Berg.
Die kleine Marie hatte ſchon einige Tage aus. der
und blaſſer als ſonſt und ſetzte ſich ſcheu und mit verſchloſſener
Miene auf ihren Plaßz.: I<h behielt ſie im Auge, denn das