Full text: Allgemeine Schulzeitung - 21.1844 (21)

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find , darf keine bloß oberflähliche Darſtellung von einzelen 
Wiſſenſchaften gegeben werden , wenn dieſe nicht halb ver- 
ſtanden oder unbenußt in Kurzem vergeſſen werden ſollen, 
Für das Studium der höheren Gewerbswiſſenſchaften müſ- 
ſen die ſie gebrauchenden Jndividuen ſowohl gründliche, 
als hinreichende Vorkenntniſſe erhalten , um dieſelben ſelb- 
ſtändiz bewältigen zu können und ihrem Geiſte ſelbft die- 
jenige Richtung zu geben, welche zu einer umfaſſenden und 
lebendigen Anſhauung des künftigen Geſchäfftslebens und 
zu einer fruchtbringenden Benutzung der verſchiedenartigen 
Bildungsmittel der Zeit führt. 
Dieſen Forderungen kann die Volksſc<hule durc<aus nicht 
entſprechen, daher müſſen über ihr für Erziehung und Un- 
terricht ſol<e Schulen beſtehen, welche dem durc< die Ver- 
hältniſſe ſelbſt gebotenen Lebensgange genau ſich anſchießen, 
dem künftigen Landwirthe und Handwerker , dem Kaufmanne 
und Fabrikanten , dem Gewerbtreibenden und Techniker über- 
haupt eine zwe - und zeitgemäße Ausbildung verſchaffen 
können und zur Auffaſſung der Berufslehren befähigen. 
Die in dieſen Schulen , welche man bald höhere Bür- 
gerſchulen , bald niedere und höhere Gewerbſchulen, bald 
niedere und höhere Realſchulen , bald niedere und höhere 
techniſche Anſtalten, polytechniſche Inſtitute, aum Realgym- 
naſien im Gegenſaße zu den Lingualgymnaſien nennt *), 
befolgte Unterrichtsmethode muß zur fruchtbringenden Ueber- 
tragung der wiſſenſchaftlihen Ergebniſſe auf das praktiſche 
Leben hinführen , d. h. der Entwickelung der geiſtigen An- 
lagen der Gewerbtreibenden eine Grundlage für ſolc<e 
Studien verſchaffen, die der Denkkraft und Handlungs- 
weiſe derſelben diejenigen Dienſte leiſten , welche die alten 
Sprachen den der reinen Geiſtesarbeit ſich zuwendenden 
Individuen gewähren, 
Mittels dieſer Methode müſſen die auf elementare Kennt- 
niſſe, auf verſtändigen Sinn und ſittlich - religiöſes Gemüth 
gebauten Lehren eine vollkommene Ausſtattung von frucht- 
barem Wiſſen und eine dem Geiſte zur Veredlung des Ge- 
werbsbetriebes erforderliche Richtung vererben helfen. Sie 
muß eine dieſes Ziel bedingende und auf es vorzugsweiſe 
hinwirkende Hauptlehre , ein den geſammten Unterricht be- 
herrſchendes Bildungsprincip zur Grundlage haben und 
mittels desſelben diejenigen Seiten des menſchlichen Geiſtes 
harmoniſch ausbilden, welche für den Techniker überhaupt 
nothwendig ſind, zugleich aber auch zu den techniſchen Wiſ- 
ſenſchaften und zum techniſchen Leben in naher oder gar 
nächſter Beztehung ſtehen. 
In dieſen techniſchen Anſtalten müſſen Erziehung und 
Unterricht auf eine den künftigen Berufsarten angemeſſene 
Grundlage bauenz dieſe können weder die allgemeinen Elxe- 
mentarſchulen, no< die Erweiterung ihres Unterrichtsfreiſes 
haben (wobei von der religibſen Baſis abſtrahirt wird) 
und die Mittel der Staaten nicht beabſihtigen, weil leß- 
tere bei der großen Ueberfüllung der Volksſchulen, worin 
eine Haupturſache ihrer unvollkommenen Reſultate liegt, 
zur Errichtung beſonderer Anſtalten neben den Volksichulen 
unzureichend ſind. Selbſt der Lebensgang und die Mittei 
 
+) Ueber bieſe Benennungen ſtritt man ſich ſchon vielfach und ſtrei: 
tet ſich nom in Programmen und Schriften. Der Name „nie- 
dere und höhere techniſche Anſtalten“ maa das Meiſte für ſich 
haben , weil er die meiſten weſentlichen Merkmale vereinigt. 
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der meiſten Individuen machen in dieſen die Verwirklichung 
der Forderung eines angemeſſenen und herrſchenden Bil- 
dungsprincipes nicht möglich. 
(Fortſetzung folgt.) 
Grundzüge der Kunſt, eine Schule zu leiten. Von 
Dr. W. Sauſe. 
(Fortſeßung.) 
Im zweiten Abſchnitte ſpricht der Verf. über „die Lei- 
tung der Schulen nach einer Jdee,“ Hier geht er 
einleitend den Weg der geſchichtlichen Entwickelung. Die 
Schule, Gelehrten = wie Volksſ<ule, ſtand viele Jahrhun- 
derte lang im Dienſie der Kir<e, Als Dienerin derſelben 
kannte ſie niht die Schwierigkeit der Jnhaltsbeſitiimmung 
des Sculunterrichtes vom Gegenſtande aus. Zu „ihrer 
nächſten Beftimmung (S. 18) war ſchon die Einheit des 
Inhaltes und im dogmatiſchen Lehrbegriffe der Neligions- 
partei der Mittelpunkt'der Bewegung des geſammten Un- 
terrichtes gegeben.“ Dieſe Cinheit ging verloren, ſeit die 
Zeit neue Forderungen an die Schule fiellte. Berwirrung 
der Grundſäße, falſc<e Anſichten vom Nüßlichen und Noth- 
wendigen , Vermehrung der Unterricht8gegenſtände , Kampf 
für Unabhängigkeit der Schule, Streit zwiſchen Humani- 
ſten und Realiſten, Einſeitigkeit und Uurec<ht auf beiden 
Seiten, am meiſten auf der Seite der leßteren , traten zu 
Tage. Der Realismus, welchen der Verf. S. 19 ſc<il- 
dert, iſt nach unferer Anſicht jekt völlig überwunden , wenn 
no< nicht in der Praxis, [ſo do< m der Theorie. Be=- 
hauptet der Verf. weiter, daß keive der ſtreitenden Parteten 
„ſich weder auf den philoſophiſchen , noh auf den politiſchen 
Standpunkt, von welchen beiden aus ein ſicheres Urtheil 
erſt möglich werde, erhoben habe“, ſo mag man ihm bei- 
ſtimmen , weil diejenigen Pädagogen, welche die verlangten 
Standpunkte einnahmen, weder zu den einſeitigen Huma- 
niſten , no<€ Realiſten zu rechnen ſind, ſondern über beiden 
ſtehen. 
Die lebendige Auffaſſung einer Jdee ſoll nun der Schule 
wiedergeben , was ſie verloren hat: Cinheit der Beſtrebun- 
gen. Die Jdee einer Schule iſt dem Verf. (S. 20) „die 
allgemeine, dem Wirken der bildenden Kräfte Einheit ge- 
bende Vorſtellung von der richtigen Wahl und der geſc<hic>- 
ten Anwendung der Mittel zur Erreichung des Zweckes 
einer beſtimmten Art der Bildung.“ In der nun foigen- 
den Auseinanderſeßung wird das in der Definition Zuſam- 
mengedrängte in einer mehr concreten Geſtalt gezeigt und 
deßhalb zu größerer Klarheit erhoben. Wenn Hr. S. alle 
Bildung, die er hier nicht als Werden, als Entwickelung, 
ſondern als Sein, als Gewordenes nimmt, als Product 
von Erziehung und Unterricht auffaßt, dteſe zwar trennt, 
aber immer in ihrer Zuſammengehörigkeit, in ihrer Wech- 
ſekwirkung betrachtet, namentlich auch die öffentliche Erzie- 
' hung (S. 29) für die Schule und von der Schule fordert, 
ſo muß man ſich denen gegenüber freuen, welche die Schule 
gern zur bloßen Unterrichtsanſtakt herabwürdigen , den Un- 
terricht ſelbſt zu einer matten Mittheilung von allerlei nüß- 
lichen Kenntniſſen abſ<hwächen und ſo ſeines beßten Wer- 
thes , welcher in dem ſtrengen Lernen liegt, berauben möh- 
ten. Jeder Unterricht , wenn er überhaupt dieſen Namen
	        
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