Full text: Allgemeine Schulzeitung - 21.1844 (21)

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und haben würden , wenn ſie zuerſt na< dem Reiche Got- 
tes trachteten (Matth. 6, 33), und in der Kir<e An- 
weiſung und Kraft ſuchten, fleißiger, mäßiger und zufrie- 
dener zu werden. 
Andere ſagen : Sonn- und Feiertage wollten als Ruhe- 
und Erholungsſtunden auc<g ihr Rec<ht haben, genug, daß 
an den übrigen Tagen die Geiſtes - und Leibeskräfte ans- 
geftrengt werden müßten. Gibt es aber irgendwo Etwas 
zu ſehen oder zu hören, ſo eilen ſie dahin and denken 
wenig oder gar nicht an Ruhe und Zeitverluſt. . 
Mancher dürfte hier fragen, ob nict Menſc<en, die 
ſich ſo äußern , nur ausnahmsweiſe und ſelten vorkommen. 
Die Erfahrung lehrt leider, daß dem nicht fo ſei, Nur 
zu oft findet man Gelegenheit, dieſe Sprache bei Jung 
und Alt ohne Unterſchied des Geſchlec<ts zu hören. 
Gehen wir nun zu den höheren Ständen über, um 
zu vernehmen, wie dieſe ihren ſchlehten Kirc<henbejuch: zu 
entſ<huldigen ſuchen ! 
Dem Einen wollen die gottesdienſtli<ßen Handlungen 
und Ceremonieen nicht mehr zuſagen; bald iſt es die Bet- 
behaltung alter Gebräuche , bald die Einführung einer neuen 
Agende oder Liturgie, die ihm den Beſuch der öffentlichen 
Gottesverehrungen mehr oder minder verleiden. 
Da nun ſol<he Sprecher für ihren geiſtigen Hunger in 
der Kir<e keine Nahrung ſuchen und zu finden wähnen, 
ſo pflegen ſie ſich immer tiefer in die matertellen Juter- 
eſſen des Lebens zu verſenken und in deren Gemeinheit die 
Erinnerung an ihre hohe ſittliche Beſtimmung nach und 
nach ganz zu vergeſſen. 
Unvollkommen, wie Alles auf Erven, iſt auch das, was 
an der Kirche vorgeht. Veraltetes in der Fpyrm, was weder 
ver heil, Schrift, no< der Vernunft gemäß iſt, no< der 
heutigen Bildung entſpri<t, muß weiſe geduldet werden, 
bis Beſſeres und Vollkommeneres an deſſen Stelle treten 
kann. Man würde ſih und Andern ſchaden, wenn man 
Gegenſtände, die Tauſenden heilig und ehrwürdig ſind, 
dur< Spöttereien entweihen oder die Stätte <riſilicher 
Erbauung vermeiden wollte. Die frivole Gegenwart hat 
ſchon Vieles, was Jahrhunderte für heilig galt, nicht bloß 
der zweifelnden und mäkelnden Beurtheilung überwieſen, 
ſondern auch Gegenſtände , die vormals in einer unantaſt» 
baren ehrwürdigen Entfernung gehalten wurden, auf eine 
leichtſinnige Weiſe der profanen Unterſuchung und mitunter 
gar dem Spotte und der Verhöhnung preisgegeben. Welche 
nachtheiligen Folgen daraus für die kir<lihen Gottes- 
verehrungen bereits hervorgegangen ſind und no< her- 
vorgehen werden , liegt jedem tiefer blienden Auge am 
Tage. Spott und leichtſinnige Wiße über die heil, Ur- 
kunden , über die öffentlichen Gottesverehrungen und deren 
Formen pflegen ſelbſt bei beſſeren Gemüthern früher oder 
ſpäter nachtheilige Folgen zu haben. Darum NA<tung dem 
Heiligen und weg mit ſchnöden Spöttereien über das, 
was unſerem Geſchlec<hte heilig und ehrwürdig bleiben muß, 
wenn häusliches und bürgerliches GlüF ſicher und reli- 
gefer Sinn und <hrifiliches Leben. dauerhaſt gegründet wer- 
den foll?! 
Einem Anderen will der Geſang und die Muſik beim 
Gottesdienſie nicht gefallen , der <riſtlihe Sinn, meint er, 
werde dardurc<; aus der Kirche verdrängt und die Erbauung 
dadurch geſtört, So wie die Pracht und das Ceremonieen- 
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weſen in der Kir<e zugenommen, habe die edle Einfalt 
und der fromme Sinn ſi< vermindert, Wer nmux einige 
pſyHologiſ<e Kenntniſſe beſiße, der wiſſe, daß unſere Seele 
zu gleicher Zeit mehr als eine Vorſtellung von Dingen 
haben könne , wovon aber nur eine einzige eine klare und 
deutli<e ſei, während alle übrigen unklare und dunkele 
blieben, Der Sänger richte ſeine Aufmerkſamkeit auf die 
Töne (Noten) und müſſe es, um zu treffen, die Vorſiel- 
lung von dem Texte bliebe demnach eine dunkele. Au: 
bei dem Zuhörer werde während des Geſanges die Boxr- 
ſtellung von den Tönen die klare ſein , weil die Sinnlich- 
feit den lieblihen Melodieen unwillkürlih folge, die Vor- 
ftellung von dem Texte pflege demna<ß eine dunkele zu 
bleiben. Ein einfa<mer melodiſher Wechſelgeſang zwiſchen 
der Gemeinde und der Schuljugend verdiene daher in jeder 
Hinſicht den Vorzug. Jedoch dürfte leßterer nicht ſchreiend 
jein , weil dieß die religibſe Andacht ſtöre und herabſtimme, 
Auch dürfe er weder zu eilig, noc< zu langſam gehen, 
weil erſteres das Anſehen habe, als ſehne man ſich nach 
Hauſe, ſowie bei leßterem die Andacht Gefahr laufe, ein- 
geſchläfert zu werden. Leider höre man aber jeßt in vielen 
Kirc<en den reinen Choralgeſang nicht, ſowie auch reine 
Kinderſtimmen , die ſim mit dem Klange der Orgel zu 
vermählen und in den Herzen der Kir<enbeſucher die lieb- 
lihen Bilder der Unſchuld zu erwe>en pflegten, daſelbſt 
zur Zeit vermißt würden. 
In Bezug auf Anwendung der JInſtrumentalmuſif in 
den Kirc<en ſind die Anſichten getheilt. Einige behaupten, 
daß die Aufmerkſamkeit der in der Kirche Anweſenden durch 
die Muſik vom eigentlichen Kirc<hendienſte abgelenkt werde, 
Andere dagegen ſind der Meinung, daß das Gemüth durc< 
die Muſik no? mehr zur Andacht geſtimmt und überhaupt 
gehoben werde. 
Die Stimmen , welche ſich dagegen erhoben haben, ſind 
wohl zu hören und zu beachten. 
Die Kirchenzeitung (Jahrg. 1843, Nr, 91) ſpricht ſic 
darüber folgendermaßen aus: 
„Die Orgel iſt das einzige Inſtrument, das würdig 
iſt, im Tempel des Höchſten zu ertönen, Kir<enmuſik iſt 
Concert und darum des Gottesdienſtes unwürdig. Geſang, 
von der ganzen Gemeinde ausgehend und mit dem Geſange 
des ganzen Chores abwechſelnd unter Begleitung der Orgel, 
welche alle übrigen Juſirumente mehr als erſeßt, iſt der 
allein würdige Dienſt, welchen die Muſik dem öffentlichen 
Gottesdienſte leiſten kann, Künſtliche Solopartieen und 
Fugen ſind mit Recht davon auszuſchließenz; weil durc 
erſtere die Aufmerkſamkeit der Kirchenbeſucher auf die Kunſt 
der Sänger geleitet wird und durch leßtere der größte Theil 
der Verſammlung an dem ſi< Durchetnanderkreuzen und 
gleichſam Widerſtreben der einzelen Stimmen irre geleitet 
wird, und ſo viele den Zwe ihres Erſcheinens in der 
Kirche vergeſſen“. 
„Künſtliher Kir<engeſang = heißt es in der Sion 
(Jahrg, 1843, Nr. 59, S. 105) = bildet zwar den mu- 
ſikaliſchen Geſchmack, reißt aber auch das Gefühl hinz; er 
iſt zugleich ein ſinnliches Vergnügen, das beſſer im Theater 
genoſſen wird: daher auch das römiſche Vicariat die Zn- 
ſtrumentalmuſik beim Gottesdienſte verboten, ſo daß die- 
ſelbe künftig nur ausnahmsweiſe auf Anſuchen in den Kirchen 
beim Gottesdienſte geſtattet werden darf, Jedo< ſollen
	        
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