1347
und haben würden , wenn ſie zuerſt na< dem Reiche Got-
tes trachteten (Matth. 6, 33), und in der Kir<e An-
weiſung und Kraft ſuchten, fleißiger, mäßiger und zufrie-
dener zu werden.
Andere ſagen : Sonn- und Feiertage wollten als Ruhe-
und Erholungsſtunden auc<g ihr Rec<ht haben, genug, daß
an den übrigen Tagen die Geiſtes - und Leibeskräfte ans-
geftrengt werden müßten. Gibt es aber irgendwo Etwas
zu ſehen oder zu hören, ſo eilen ſie dahin and denken
wenig oder gar nicht an Ruhe und Zeitverluſt. .
Mancher dürfte hier fragen, ob nict Menſc<en, die
ſich ſo äußern , nur ausnahmsweiſe und ſelten vorkommen.
Die Erfahrung lehrt leider, daß dem nicht fo ſei, Nur
zu oft findet man Gelegenheit, dieſe Sprache bei Jung
und Alt ohne Unterſchied des Geſchlec<ts zu hören.
Gehen wir nun zu den höheren Ständen über, um
zu vernehmen, wie dieſe ihren ſchlehten Kirc<henbejuch: zu
entſ<huldigen ſuchen !
Dem Einen wollen die gottesdienſtli<ßen Handlungen
und Ceremonieen nicht mehr zuſagen; bald iſt es die Bet-
behaltung alter Gebräuche , bald die Einführung einer neuen
Agende oder Liturgie, die ihm den Beſuch der öffentlichen
Gottesverehrungen mehr oder minder verleiden.
Da nun ſol<he Sprecher für ihren geiſtigen Hunger in
der Kir<e keine Nahrung ſuchen und zu finden wähnen,
ſo pflegen ſie ſich immer tiefer in die matertellen Juter-
eſſen des Lebens zu verſenken und in deren Gemeinheit die
Erinnerung an ihre hohe ſittliche Beſtimmung nach und
nach ganz zu vergeſſen.
Unvollkommen, wie Alles auf Erven, iſt auch das, was
an der Kirche vorgeht. Veraltetes in der Fpyrm, was weder
ver heil, Schrift, no< der Vernunft gemäß iſt, no< der
heutigen Bildung entſpri<t, muß weiſe geduldet werden,
bis Beſſeres und Vollkommeneres an deſſen Stelle treten
kann. Man würde ſih und Andern ſchaden, wenn man
Gegenſtände, die Tauſenden heilig und ehrwürdig ſind,
dur< Spöttereien entweihen oder die Stätte <riſilicher
Erbauung vermeiden wollte. Die frivole Gegenwart hat
ſchon Vieles, was Jahrhunderte für heilig galt, nicht bloß
der zweifelnden und mäkelnden Beurtheilung überwieſen,
ſondern auch Gegenſtände , die vormals in einer unantaſt»
baren ehrwürdigen Entfernung gehalten wurden, auf eine
leichtſinnige Weiſe der profanen Unterſuchung und mitunter
gar dem Spotte und der Verhöhnung preisgegeben. Welche
nachtheiligen Folgen daraus für die kir<lihen Gottes-
verehrungen bereits hervorgegangen ſind und no< her-
vorgehen werden , liegt jedem tiefer blienden Auge am
Tage. Spott und leichtſinnige Wiße über die heil, Ur-
kunden , über die öffentlichen Gottesverehrungen und deren
Formen pflegen ſelbſt bei beſſeren Gemüthern früher oder
ſpäter nachtheilige Folgen zu haben. Darum NA<tung dem
Heiligen und weg mit ſchnöden Spöttereien über das,
was unſerem Geſchlec<hte heilig und ehrwürdig bleiben muß,
wenn häusliches und bürgerliches GlüF ſicher und reli-
gefer Sinn und <hrifiliches Leben. dauerhaſt gegründet wer-
den foll?!
Einem Anderen will der Geſang und die Muſik beim
Gottesdienſie nicht gefallen , der <riſtlihe Sinn, meint er,
werde dardurc<; aus der Kirche verdrängt und die Erbauung
dadurch geſtört, So wie die Pracht und das Ceremonieen-
1348
weſen in der Kir<e zugenommen, habe die edle Einfalt
und der fromme Sinn ſi< vermindert, Wer nmux einige
pſyHologiſ<e Kenntniſſe beſiße, der wiſſe, daß unſere Seele
zu gleicher Zeit mehr als eine Vorſtellung von Dingen
haben könne , wovon aber nur eine einzige eine klare und
deutli<e ſei, während alle übrigen unklare und dunkele
blieben, Der Sänger richte ſeine Aufmerkſamkeit auf die
Töne (Noten) und müſſe es, um zu treffen, die Vorſiel-
lung von dem Texte bliebe demnach eine dunkele. Au:
bei dem Zuhörer werde während des Geſanges die Boxr-
ſtellung von den Tönen die klare ſein , weil die Sinnlich-
feit den lieblihen Melodieen unwillkürlih folge, die Vor-
ftellung von dem Texte pflege demna<ß eine dunkele zu
bleiben. Ein einfa<mer melodiſher Wechſelgeſang zwiſchen
der Gemeinde und der Schuljugend verdiene daher in jeder
Hinſicht den Vorzug. Jedoch dürfte leßterer nicht ſchreiend
jein , weil dieß die religibſe Andacht ſtöre und herabſtimme,
Auch dürfe er weder zu eilig, noc< zu langſam gehen,
weil erſteres das Anſehen habe, als ſehne man ſich nach
Hauſe, ſowie bei leßterem die Andacht Gefahr laufe, ein-
geſchläfert zu werden. Leider höre man aber jeßt in vielen
Kirc<en den reinen Choralgeſang nicht, ſowie auch reine
Kinderſtimmen , die ſim mit dem Klange der Orgel zu
vermählen und in den Herzen der Kir<enbeſucher die lieb-
lihen Bilder der Unſchuld zu erwe>en pflegten, daſelbſt
zur Zeit vermißt würden.
In Bezug auf Anwendung der JInſtrumentalmuſif in
den Kirc<en ſind die Anſichten getheilt. Einige behaupten,
daß die Aufmerkſamkeit der in der Kirche Anweſenden durch
die Muſik vom eigentlichen Kirc<hendienſte abgelenkt werde,
Andere dagegen ſind der Meinung, daß das Gemüth durc<
die Muſik no? mehr zur Andacht geſtimmt und überhaupt
gehoben werde.
Die Stimmen , welche ſich dagegen erhoben haben, ſind
wohl zu hören und zu beachten.
Die Kirchenzeitung (Jahrg. 1843, Nr, 91) ſpricht ſic
darüber folgendermaßen aus:
„Die Orgel iſt das einzige Inſtrument, das würdig
iſt, im Tempel des Höchſten zu ertönen, Kir<enmuſik iſt
Concert und darum des Gottesdienſtes unwürdig. Geſang,
von der ganzen Gemeinde ausgehend und mit dem Geſange
des ganzen Chores abwechſelnd unter Begleitung der Orgel,
welche alle übrigen Juſirumente mehr als erſeßt, iſt der
allein würdige Dienſt, welchen die Muſik dem öffentlichen
Gottesdienſte leiſten kann, Künſtliche Solopartieen und
Fugen ſind mit Recht davon auszuſchließenz; weil durc
erſtere die Aufmerkſamkeit der Kirchenbeſucher auf die Kunſt
der Sänger geleitet wird und durch leßtere der größte Theil
der Verſammlung an dem ſi< Durchetnanderkreuzen und
gleichſam Widerſtreben der einzelen Stimmen irre geleitet
wird, und ſo viele den Zwe ihres Erſcheinens in der
Kirche vergeſſen“.
„Künſtliher Kir<engeſang = heißt es in der Sion
(Jahrg, 1843, Nr. 59, S. 105) = bildet zwar den mu-
ſikaliſchen Geſchmack, reißt aber auch das Gefühl hinz; er
iſt zugleich ein ſinnliches Vergnügen, das beſſer im Theater
genoſſen wird: daher auch das römiſche Vicariat die Zn-
ſtrumentalmuſik beim Gottesdienſte verboten, ſo daß die-
ſelbe künftig nur ausnahmsweiſe auf Anſuchen in den Kirchen
beim Gottesdienſte geſtattet werden darf, Jedo< ſollen