Full text: Allgemeine Schulzeitung - 21.1844 (21)

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S. 346 = freilich geben Sie ihm eine andere Richtung =- 
empfehlen. Und reducirt ſich denn nicht beinahe alle An- 
ſchaunng auf Anſchauung der Natur? = Somit könnte 
ich unmöglich einen gewichtigen Grund finden, den neueren 
Sprachlehren, reſp. der von Wurſt und Meiſter, ſo feind- 
lic< gegenüberzutreten, da dieſelben do< ganz deutlich die 
Anſchauung =- in Beiſpielen -- als das Erſte beim ſprach- 
limen Unterrichte hinſtellen. Das Prädicat „gemüthlich“ 
kann man natürlich dieſer Anſchauung nicht beilegen z was 
thut dieß aber auch zur Sache? iſt ſie doch faſt dur<gän- 
gig eine geiſtige und bildet auf jeden Fall geiſtig. Ber- 
fährt nur der Lehrer na< angeführten Sprachlehren; bietet 
er genügende Anſchauung dar, aus welcher dann die allge- 
meinen Säße und Regeln abgeleitet werden; üben ferner 
ſeine Schüler das ſo Gewonnene nach den entſprechenden 
Aufgaben tüchtig ein: wahrlich, dann müßte man ja aller 
Geiſteskraft die Exiſtenz abſprechen, wenn ein ſol<er Sprach- 
unterricht nicht die heilſamſten Folgen haben und zur har- 
moniſchen Geiſtesbildung tüchtig beitragen ſollte. Es gibt 
auc<h genug Schulen, in denen er herrliche Früchte bringt. 
Sie wenden mir vielleicht ein: man könnte ja in der Zeit, 
die zu ſol<hem Unterrichte verwenvet wird, etwas Anderes 
in der Schule vornehmen, das weit mehr praktiſchen Nußen 
hat, könnte ſeine Kräfte mehr einem Gegenſtande widmen, 
welc<her der Jrreligioſität und der „zunehmenden Entſittli- 
hung des menſchlichen Geſchlechts“ einen tüchtigen Damm 
entgegenſeßt. J< antworte Jhnen: das könnte man wohl. 
Der Sprachunterricht nach der in den meiſten unſerer Schu- 
len eingeführten Methode hat allerdings an und für ſich 
weder einen moraliſchen, no< einen religiöſen Zwe, er iſt 
reiner Sprachunterricht; allein iſt er denn nicht dadurch ein 
treffliches Mittel zur Humanitätsbildung, indem er die 
Denkkraft des Schülers ſtärkt (ſteht ja die Sprache in der 
engſten Verbindung mit der Logik) und demſelben in ma- 
ierteller Hinſicht das Nöthige zum richtigen und deutlichen 
Verſtändniß des Religion8uvterrichtes ertheilt, es ihm auch 
möglich macht, künftig außer ſeinen Schulbüchern andere, 
die höheren Zwecke des Lebens fördernde Schriften mit 
Nutzen zu gebrauchen? Und mehr als Mittel zur Humani- 
tätsbildung ſoll auch der Sprachunterricht nicht ſein -- man 
ziehe überhaupt in die Sphäre eines Unterrichtgegenſtandes - 
nicht hinein, was der eines anderen gehört, laſſe alſo das 
„Gemüthliche“ eine Stelle finden, wo ihm eine gebührt. *) 
Do< ganz dieſen Gegenſtand zu erſchöpfen, iſt nicht hier 
der Ort. Auf keinen Fall aber iſt der Sprachunterricht, wie 
er in der neueſten Zeit von ſo vielen Lehrern betrieben wird, 
mit „Siſyphusanſtrengungen“, mit dem „Waſſerſchöpfen in 
das Faß der Danaiden“ zu vergleichen. -- S,. 345 ſagen 
Sie, in beſonderem Bezug auf die Meiſter'ſ<e Sprachlehre: 
„Dann waltet auch wieder darin das allgemein beliebte Zer- 
ſeen des Sprachbaues, der dom nun Gott ſet Dank ſchon 
längſt befieht, ſo daß ſich bürgerlich gemächlich ganz bequem 
darin wohnen läßt. Warum die gebaute Wohnung, die ſo- 
gleich bezogen werden kann, oder beſſer, in ver man ſchon 
Poſto gefaßt hat, wieder abreißen, um zu jehen, woraus 
ſie gebaut iſt, und wie die Bauſioffe gefügt worden ſind. 
Das iſt bei Neubauten Sache der Baumeiſter, aber ein 
 
*) Auf ähnliche Weiſe ſpricht ſich auch Dieſterweg über dieſen 
Punkt aus, 
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Mann aus dem Volke, dem eine fertige, geräumige und 
geſunde Wohnung frei und frank überliefert wird, wie dem 
Kinde ſeine Sprache durch Tradition, wäre ein Thor, würde 
er ſie zerſtören,“ =- Darauf bemerke i< Ihnen Folgendes: 
dieſes Zerſezen des Sprachbaues wäre wohl überflüſſig, 
der ganze Sprachunterricht wäre es, ſese ich hinzu ---“ wenn 
unſere Kinder ſhon das Ganze der Sprache, in Beziehung 
auf den mündlichen und ſchriftlihen Ausdruck, aufgefaßt 
und zwar richtig aufgefaßt hätten; bedenken Ste aber ein- 
mal, geehrter Herr Beer, wie viel das Kind von dem 
Sprachganzen ſich zugeeignet hat, und von welcher Art die- 
ſes (geiſtige) Eigenthum iſtz bedenken Sie ferner, in wel- 
<hem Grade der Menſch der Sprache wächtig ſein muß, ſoll 
er ſeine Stellung in der Welt mit Würde behaupten, und 
daß es Sache der Schule iſt, ihm zu dieſem Zwecke die 
geeigneten Mittel darzubieten z bedenken Sie zuleßt, daß 
zur richtigen Auffaſſung des Ganzen nothwendig eine deut- 
liche Kenntniß des Einzelen erforderlich iſt =- und Sie 
werden mit mir einſehen, wie zweckmäßig das „allgemein 
beliebte Zerſeßen des Sprachbaues“ iſt, und wie wohl die 
Sprachlehrer thun, wenn ſie demſelben thätlich das Wort 
reden. Natürlich darf dieſes Zerſeßen des Sprachbaues 
nicht zu einem Spiel mit leeren Formen, mit Wortjc<ällen 
ohne Inhalt ausarten, Der Lehrer gehe immer von einem 
ſelbſtändigen Ganzen aus. Sie bemerkten? „das Kind er- 
hält ſeine Sprache durc<h Tradition,“ Ja wohl; aber -- ich 
deutete es ſchon vorhin an = was für eine Sprache ? 
Man gehe nur zur Anſchauung in eine Dorfſchule und gebe 
acht auf das Bauerndeutſch, mit deſſen Unterdrüfung der 
Lehrer nicht geringe Mühe hat, und unmöglich wird man, 
ihrer Armuth gar nicht zu gedenken, großen Reſpect vor 
einer ſolchen Traditionsſprache bekommen. -- S. 346 geben 
Sie den Inhalt der Meiſter'ſhen Grammatik an und bre- 
<en nachher in den Ausruf aus: „die Hand auf's Herz 
und ehrlich geſtanden, wo iſt der Lehrer, der, will er auch 
in anderer Beziehung ſeine Pflicht erfüllen, den Anforde- 
rungen dieſes Buches genügen könnte, vorausgeſeßt, der 
darin gezeigte Weg ſei der richtige.“ =- JH glaube gern, 
wertheſter Hr. Becker, daß es hier und da Vorgeſeßte gibt, 
die dem Lehrer zumuthen oder zumuthen möchten, ganze 
Folianten ſprachlichen Junhalts mit ſeinen Schülern durch- 
zuarbeiten; allein wenn Sie ſagen, „den Anforderungen des 
Buches“ könne man unmöglich genügen, ſo ſind Sie irre 
und thun deſſen Verfaſſer ſehr Unre<ht. Herr Meiſter iſt 
keineswegs einer von „den Autoren, die ſich vorſtellen, man 
habe nur für ihren Gegenſtand zu arbeiten.“ Leſen Sie 
nur zu dem Ende, was er S, VI4 der Vorrede zum 1. Theil 
ſeiner Sprachlehre ſagt: ....„ Damit ſoll aber nicht geſagt 
ſein, daß in Bezug auf die Schule weder eine Wegnahme, 
noc< ein Zuſaß ſtatthaben könne, J< bin weit entfernt, 
das freie Wirken und Forſchen des Lehrers ſo weit ein- 
ſchränken zu wollen; nur ſeinem Ermeſſen muß es anheim- 
geſtellt bleiben, den Umfang des Stoffes nac< den Verhält- 
niſſen und Bedürfniſſen ſeiner Schüler zu beſtimmen“ 2e. 
Abgeſehen davon, daß ein bedeutender Theil ver Meiſter'- 
ſchen Sprachlehre für das Studium des Lehrers beſtimmt 
iſt, erinnere ic< Sie auch noch an das nach derſelben bear- 
beitete „Uebungsbuch zum deutſchen Sprachunterrichte für 
Elementarſchüler“, deſſen Inhalt, in drei Heftchen, vorzugs- 
weiſe für die Volksſchule beſtimmt iſt -- eine gewiß nicht
	        
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