einen höchſt wertvollen Beitrag zur Schulgeſchichte über-
aut bietet.
&e Prima des alten Görlißer Pranziskaner-Kloſters
beſaß in den erwähnten Jahren 1809 bis 1837 herzlich
wenig Ähnlichkeit mit einer Gymnaſial-Prima der heutigen
Zeit, ſie umfaßte vielmehr au< die Sekunda. Jnfolgedeſſen
war nicht nur die Zahl der Schüler -- oder „Muſen“,
wie jie ji) jelbſt nannten -- ſehr groß, etwa 80-100,
auc< das LebenSalter dieſer Primaner-Muſen wies eine
bedeutende Differenz von 14---20 Jahren auf. Die wenig
ſtrenge Schulzucht äußerte ſich erklärlicherweiſe in einem
ziemlich ſtarken Selbſtgefühl der Primaner; tätliche Zu-
jammenſtöße mit den „Gnoten und Philiſtern“ gehörten
nicht zu den Seltenheiten. Erſt in den Jahren der Dema-
gogenriecherei wird die Shulzucht ſtraffer angezogen, und
mit der Errichtung einer höheren Bürgerſ<ule zu Görlit
im Jahre 1837 änderten ſich auch die Verhältniſſe auf
dem Görlizer Gymnaſium recht gründlich; die Zahl der
100 „Muſen“ in der Prima ſank auf 20 herab! Und ein-
dringlic)g warnte der väterliche Freund ſeiner Primaner,
der Rektor Anton, die Abiturienten der damaligen
Zeit vor der Ergreifung gelehrter Berufe: für Juriſten
jei nur bei außerordentlichen Fähigkeiten und genügenden
Mitteln, um nac< dem Studium 10 Jahre ſic< erhalten
zu können, Ausſicht auf Anſtellung; die Kandidaten der
Theologie reichten für alle wilden Bölker der Erde und
mit den Philologen könne man alle Stellen 5 bis 6 mal
beſeßen !
Bis zum Jahre 1846 gab es keine Beſtimmung über
das Gehalt eines in Ruheſtand verjezten Gymnaſial-
lehrers; jetzt ſeßte aber eine allerhöchſte Kabinettsorder
feſt, daß als Benſion zu geben ſei: vom 15. bis 20.
Dienſtjahr */,; des Gehalts (der niedrigſte Saß ſollte
60--96 Taler betragen); für je 5 Dienſtjahre ſteigt der
Betrag um */,,, [9 daß ein Gymnaſiallehrer nach 50 Dienſt-
jahren fich 1*/, , erdient hatte.
Aus dieſen Schülerannalen beobachtet deren Heraus-
geber, Prof. Meth, mit treffſicherem Blick: Ungebundenheit
und Zuchtloſfigkeit wandeln ſich allmählich in Ordnung und
Sitte; der nicht ſelten rohe Verkehrs8ton zwiſchen Lehrer
und Schüler wird endlich gebildeter und feiner, jo daß
man heut ſogar nicht ſelten einer franfhaften Über-
empfindlichfeit auf dieſem Gebiete begegnet; der Stand
der Lehrer, vielfae) mißachtet und durch unwürdige ZU=
mutungen von Amts wegen gedrückt, arbeitet ſic< zu einer
der Bedeutung ſeines Berufes geziemenden Stellung empor.
R. Grojſje.
Die alte Klage. Schülerſelbſtmorde und kein Ende!
Soeben iſt die „ape unveränderte Auflage, Berlin und
Leipzig 1910“ erſchienen von dem Werke: „Deutſchland
von heute. Kulturgemälde der deutſchen Gegenwart, von
Dr. Fritz Berolzheimer".
Darin finden fim auf S. 365 u. 366 folgende Aus-
lajſungen:
„In geradezu unheimlicher Weiſe haben ſich in den
lezten Jahren Schülerjelbſtmorde gehäuft. Mag mander
Fall mit der erhöhten nervöſen Reizbarkeit unſerer Zeit
zuſammenhängen, jo lag doc< regelmäßig die Grund-
urjacße in einem pädagogiſ; und pſychologiſch höchſt
ungeſc<hidten Verhalten der Lehrer, von denen relativ
leichte Berjehen und allenfalls au< Ungehörigkeiten
der Schüler zu ſ<weren ſittlichen Defekten aufgebauſcht
wurden. Hierdurch iſt das Ehrgefühl des Schülers in
gröbliher Weije ungehörig verletzt, ja bisweilen mit
Füßen getreten worden“.
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... „Wie mittelalterlich geſtaltet ſich . . . vielfach noh
die Schuljuſtiz! Da wird ein Schüler zu Geſtändniſſen
gepreßt; Mienen oder Gebärden werden willkürlich aus-
gelegt; Stimmungen und Mißſtimmungen wird reichlich
Raum gewährt. Ein harmloſes Verſehen oder ein echter,
rechter Dummerjüngenſtreich wird als ſittlicher Defekt,
als ſc<weres Verbrechen hingeſtellt!"
Auf S. 367 dagegen urteilt Berolzheimer: „Immerhin
bleibt zu berüdſichtigen, daß die Geſamtheit unſerer
Lehrer, namentlic<h jener an Mittelſchulen, an Bildung,
Leiſtungen und Pflichttreue hervorragt und die erſte Stelle
im Bergleich zur Lehrerſchaft anderer Kulturſtaaten ein-
nimmt“.
Wenn Herr Dr. Berolzheimer unter Mittelſchulen,
wie wahrſcheinlich, hier das verſteht, was man in Preußen
höhere Lehranſtalten nennt, jo kann man nur voller
Grauen und Entſetzen auf die Schulen anderer Kultur-
ſtaaten bli>en, deren Lehrerſchaft nach ſeiner Anſicht
hinter der Deutſchlands zurücſteht, und den Tiefſtand
deutſcher Pädagogen hat Berolzheimer ja auf den erſten
beiden Seiten lichtvoll geſchildert. -
Will Herr Dr. Berolzheimer das ſein, was der aus-
führliche Proſpekt ſeines Verlegers von ihm behauptet,
„der univerſale Kulturphiloſoph unſerer Tage“, ſo möchte
ich für eine etwa erforderliche dritte Auflage ihm wünjc<en,
daß ſeine Univerſalität ihm bis dahin genauere Kenntnis
des Mittelſ<ulweſens gewähre, und daß Kultur und
Philoſophie ihm eine minder lebhafte Gaſſung feiner
Urteile ermöglichen
Danzig. Johannes Müller. |
Verſchiedenes.
F- W. Förſter, Sexualethif u. Sexualpädagogik, eine neue Begrün-
dung alter Wahrheiten. Verlag der Joſ. Köſelſhen Buchhandlung
- Kempten u. München 1909. 2. Aufl. Broſch. 2,40 Mk., geb. 3 Mk. -.
Die ſexuelle Frage iſt brennend geworden. Unſer Kulturleben zeigt
bedenkliche Erſcheinungen auf dem Gebiete des ſexuellen Lebens.- Wem
das Wohl unſeres Volkes und der Menſchheit am Herzen liegt, und wer
den Beruf in ſich fühlt, die beſſernde Hand mit anzulegen, der erſcheint
auf dem Plane und zeigt, wie man ſeiner Meinung nach die vorhandenen
Mißſtände beſeitigen kann. Da ſind nun ſolche, die das Heil in der
gänzlichen Änderung unſerer bisherigen ſittlichen Anſchauungen erbliden,
während andere vielmehr der Meinung ſind, daß die Mißſtände erſt
durch die Lo>erung der alten ſittlichen Ordnung möglich geworden ſind,
und ſie rufen demgemäß der Menſchheit ein energiſches „Zurück“ zu.
Der Verfaſſer des oben genannten Buches gehört nun zu den lek-
teren ; das ergibt ſic) ſchon aus dem erweiterten Titel: „Eine neue Be-
gründung alter Wahrheiten“. Das Buch iſt eine Erweiterung eines
Vortrages, den der Verfaſſer 1907 auf dem Kongreſſe der deutſchen Ge-
ſellſchaft zur Bekämpfung der Geſchlechtskrankheiten in Mannheim ge-
halten hat. Er hat dort „die <riſtliche Grundanſhauung vom Geſchlechts-
leben, gereinigt von landläufigen Mißverſtändniſſen, als die allein uni-
verſelle und realiſtiſche Orientierung des Pädagogen verteidigt“. Das
Buch warnt vor der „Überſchäzung der intellektuellen Aufklärung gegen-
über der ungleich wichtigeren Übung der Willenskräfte“. Jn der ſtei-
genden - ſexuellen Verwilderung unſeres Zeitalters ſieht er ein Symptom,
durch das wir in erſchrefendem Maße darauf aufmerkſam gemacht werden,
wohin die menſchliche Geſellſchaft kommt, wenn in Zukunft der bloßen
Wiſſenskultur gegenüber die Kultur des Willens und des Gewiſſens ver-'
nachläſſigt wird. Der Verfaſſer verteidigt nicht nur die <riſtliche, ſon-
dern ſpeziell die <hriſtlich-katholiſ<e Anſchauung. Seine katholiſche Er-
ziehung und Überzeugung läßt es ihm keineswegs zweifelhaft erſcheinen,
daß die Lehre der Kirche erhaben iſt über jedes menſchliche Urteil, weil
ſie „aus tiefſter Kenntnis der menſchlichen Natur geboren und in gewal=
tiger pädagogiſcher Arbeit weitergebildet worden iſt“, und jede Polemik