Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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„Gottfried-Keller-Medaille“, die dem Dichter zum ſiebzigſten Ge- 
burt3tag geſchenkt wurde. Auc< die Züricher Zeit war für 
Bölin reich. Seine unerſ<Höpfliche Phantaſie und die ungebrochene 
Tatkraft, denen auc das herannahende Alter und mancherlei 
Krankheits8beſchwerden nic<t3 anhaben konnten, förderten immer 
wieder neue Werke an3 Licht, darunter wahre Perlen Bölinſcher 
Kunſt, wie die Darſtellung der vier LebenSalter („Vita 80muium 
breve“, da3 Leben iſt ein kurzer Traum). 
Im Jahr 1895 zog Bödlin in ſeine ſchöne Villa zu San Dome- 
mco bei Fieſole, in der Nähe von Florenz, wo er ſeinen LebenZ- 
abend verbrachte, bi3 faſt in ſeine lezten Tage hinein ſc<haffend und 
ſeiner Kunſt lebend, nicht ſ<wächer, ſondern immer ſtärker wer- 
dend. Sein leßte38 Bild, die „Peſt“, übertrifft an Kühnheit und 
Farbigkeit viele der früheren Werke. Im Januar 1901 - ſtarb 
Arnold Bödlin, beklagt von allen Freunden der Kunſt, 
- Ein reiches und inhalt5volles Leben lag hinter ihm, aber auch 
eine3 voller Mühe und voll heißen Ringens. Böcklin hat bei ſeinen 
Bildern über dem „Wa8“ nie das „Wie“ vergeſſen. Sein ſtete3 
- koſtbaren Zeit. 
Streben war e8, die Technik bis zur Vollendung zu pflegen, und 
dem Studium der Farben widmete er einen großen Teil ſeiner 
Alte Bilder unterſuchte er auf die Zufjammen- 
ſezung ihrer Farben und probierte ſelbſt unermüdlich neue 
Methoden, ſeme reinen Farben anzurühren. Präparierte Far- 
ben verſ<hmähend, rieb er ſich die ſeinen ſelbſt an, wobei er immer 
wieder neue Bindemittel verſuchte (Bindemittel ſind Oel, Eiweiß, 
Leim, Harz uſw., womit der zu Pulver geriebene Farbſtoff ver- 
- rührt wird). Fand Bödlin in alten Aufzeichnungen ſolche Rezepte, 
- Die faſt alle von einer auffallenden, üppigen Schönheit ſind. 
den ſie ſehr früh alt.) Aber was ſind das troß ihrer Häßlichfeit für 
ſo probierte er ſie ſogleich eifrig. Sein Beſtreben war es, die Tech- 
nik ſeiner Bilder gediegen, dauerhaft und die Farben in reinſter 
Leuchtkraft zu geſtalten. So verwendete er auch auf den Unter- 
grund, die Leinwand, die größte Sorgfalt, imdem er ſie auf mehr- 
fach zuſammengeſeßte Holztafeln aus Mahagoni befeſtigte und 
dann mit Kreide und Gips überſtrich, worauf die Fläche mit Bims- 
ſtein geſchliffen wurde. Sein Freund Guſtav Floerke ſagt bezeich- 
nend: „Es ſte>t no ein Stü> alter Künſtlerſchaft in ihm, die noh 
etwas gelernt und erfahren haben mußte und den goldenen Boden 
jelbſterworbener Technik ho<achtete.“ - 
Zu Böklins beſonderen Eigenſchaften gehörte eine ausge- 
ſprochene Beobachtung8gabe und ein ſcharfer. Bli, dem ſo leicht 
nicht8 in der Natur entging. Stundenlang konnte der Maler ſo 
im Freien an einer Stelle ſien und die Natur förmlich in ſich auf- 
ſaugen. Den Vogelflug 3. B. ſtudierte er mit der größten Gründ- 
lichkeit, und feine ſich hierauf ſtüßenden Verſuche im Luftſchiff- 
fahrt3problem, mit dem er ſich eine Zeitlang eifrig beſchäftigte, 
fanden die Zuſtimmung der Fachleute. Ehe Bödlin ein. Bild zu 
malen begann, hatte er es im Kopf ſchon ausgearbeitet; die gedank- 
liche Arbeit. ging immer der techniſchen voraus. So hat er wenig 
ifizziert und nicht nac< der Natur direkt gemalt. Er nahm eben 
die Natur in ſich auf und ſchuf dann aus ſich) heraus, Sein fabel- 
haftes Gedächtnis, welches Dinge, .die e3 einmal aufgenommen 
hatte, nicht wieder verlor, toar ihm dabei von großem Wert. Zu 
diefen natürlichen Gaben kam ſeine ſtrenge Selbſtzuc<t. Die Art 
3. B., wie er mit „Gegenſätzen“ arbeitete, wie er hell neben dunkel 
jeßte, wie er, Miſchtöne vermeidend, ſeine reinen Farben neben- 
einander fügte, all dieſes iſt das Ergebnis eindringlichen und un- 
ermüdlihen Studiums. So iſt Bödlins gewiſſenhafte Arbeits- 
weiſe geradezu vorbildlich geworden, ebenſo wie ſeine Art, ſein 
Künſtlertum hochzuhalten und, unbeirrt durc< das Geſchrei der 
Gegner, dem als richtig erkannten Weg zu folgen. 
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In der Ukraina. 
ID weiß ſelbſt nicht mehr, wie es fam: auf cinmal ſaß ich mit den 
Dreien am Tiſch und mußte erzählen. Von Deutſchland. Wie faſt 
alle Juden im Oſten, ſprachen ſie gut Deutſch. Und ihre Fragen 
nach den Zuſtänden bei un3 wollten kein Ende nehmen. Ganz beſonder38 
intereſſierten ſie natürlich die Verhältniſſe ihrer Glaubens8genoſſen. Und. 
e3 war ergößlich, daß ſie ſic<. nicht die geringſten Vorſtellungen machen 
konnten, wie weit die Juden ſich bei uns aſſimiliert, d.h. ſich den deut- 
EN oder vielmehr weſteuropäiſchen Sitten und Bräuchen angepaßt 
aben. - 
Daß bei uns der Jude wie andere Europäer „kurz“, d. h. nicht in 
langem Kaftan geht, daß er einen Hut trägt, daß er keine „Paijes“ -- 
die bekannten Lo>en an den Schläfen -- mehr kennt, all das erſchien 
ihnen gleicß wunderfam, Aber al3 ich ihnen ſagte, daß ſelbſt die 
Rabbiner davon keine Auanahme macen, da kamen ſie aus dem Kopfs 
ſchütteln gar nicht mehr heraus. Nn 
Dabei hatte ich Muße, mir die Männer zu betrachten. Sie ſind 
hager und häßlich. Im Gegenſaß zu ihren kleineren, molligen Frauen, 
(Nur wer- 
prächtige Köpfe! Jeden einzelnen möhte man malen. Soviel ſprechen- 
des Leben liegt in ihren Geſichtern. Da iſt nichts von geiſtiger Träg- 
beit zu entde&en, wie auf den Puppengeſichtern ihrer Frauen. 
Nur in einem ähneln ſic< die Geſchlechter: in ihrer grenzenloſen 
Unreinlichfeit. . 
Wieviel ſauberer und anziehender wirken dagegen die Ukrainer! 
Männer und Frauen meiſt groß und ſtattlich, blondhaarig, blauäugig. 
Man glaubt die Kerngeſtalten der norddeutſchen Tiefebene vor ſich zu 
haben. 
Gin. kleines Erlebnis ſteht mir vor Augen. 
Wie überall hinter unſerer Front in Feinde38land- haben unſere 
Aerzte und Sanität3zmannſchaften auch in der Ukraina die kranken 
Ziviliſten mit in Behandlung. 
Eine3 Abends werde ich zu einem kleinen Mädelchen gerufen. Es 
iſt ein ſchwöchliches Ding. Etwa eif Jahre alt. Darmkrank. Ueber 
40 Grad Fieber. Obgleich die Verſtändigung ſchwierig iſt -- die Leute 
ſprechen kein Wort Deutſch und nur wenig Polniſch, ich dagegen kein 
Wort Rutheniſch, und meine polniſchen Kenatniſſe laſſen ſehr zu 
wünſchen übrig --, werde ich gut mit ihnen fertig. 
Am nächſten Tag geht es dem Mädel bereits ein wenig beſſer. Aber 
nun fommt die Schwierigkeit: I< muß etwas wiſſen, wovon man ſonſt 
in guter Geſellſchaft nicht redet. Worüber höchſtens bei Kindern und 
jungen Hunden, die n9<h nicht ganz ſtubenrein ſind, geſprochen werden 
darf. Etwas, das aber gerade bei ſolchen Krankheiten unendlich wichtig 
iſt. Meine polniſchen Kenntniſſe verſagen. Mein „Soldaten-Wörter- 
buch“ läßt mich ebenfalls im Stich. (Soldaten pflegen nach dergleichen 
Dingen nicht erſt lang zu fragen.) Wa3 tun? Hilflos ſehe ich mich um. 
Da kommt mir ein Gedanke! 
Ic<h winke den vier hoffnung3volſen Sprößlingen = zehn- bis fünf- 
zehnjährigen Burſchen -- und im Gänfſemarſc<h geht es auf den Hof 
hinaus. Natürlich: von einer Latrine oder etwas Aehnlichem iſt nichts 
zu entdeden! . . 
Die Jungens umſtehen mich im Krei3 und harren der kommenden 
Dinge mit offenem Munde, Und ich? -- I< knöpfe mir langſam meine 
-=- Unausſprechlichen auf . . . . 
Endlich begreifen ſie, was ich will. Und triumphierend führen ſie - 
mich an den gewünſchten Plaß. Es dauert aber noch eine ganze Weile, 
bis ich ihnen begreiflich machen kann, daß nicht ich dorthin will! Endlich, 
wie ich mit der einen Hand den Aelteſten bei der Bruſt packe und un- 
zählige Male auf Polniſch „deine Schweſter!“ wiederholte, während ich 
mit der anderen Hand krampfhaft auf den bewußten Ort zeige, ſangen 
ſie an, zu begreifen, daß ihre Schweſter in Verbindung mit jenem Ort 
„gemeint ſei. Das Uebrige war dann nur noch ein Kinderſpiel. 
Nie aber werde ich das Bild vergeſſen, wie ich mitten im Hof ſtehe, 
mit offener Bux, um mich die Jungens mit ihren verwunderten Ge= 
fichtern; über die endlich ein verſtändniSvolles Lächeln zieht. 
* KurtHeilbut. 
7 
Menſc<heitsbücher. 
Das Feuer. 
n Stunden de3 Nachdenkens offenbaren ſich dem Geiſt die tieferen 
Wirkungen, dieſe3 Krieges, Und wir ſtehen erſtaunt, lauſchen dem 
ahnenden Zittern der Seele und vernehmen ein Klingen, in dem 
die Zukunft zu uns ſpricht. Die Zukunft der Welt, der Menſchheit. . . . 
Wir alle, die wir noch jung ſind, ſind reifer geworden in dieſer Krieg3- 
zeit, durch da3 entſekliche, laſtende Schiſal. Aber geſtehen wix e3 uns 
offen: es iſt eine Not-Reife, Unſere Seele vegetiert mühham; der Dru> 
eine3 ehernen, no< unüberwindlichen Schickſals preßt auf unſere ſehn 
ſucht3vollen Herzen, daß wir nicht mehr befreiend-fröhlich lachen können. 
Wire alle ſind ernſter geworden, und mit Wehmut ſehe ich den herben 
Zug um den Mund ſo manches friſchen Mädchens und Jungen. Es iſt 
der Stempel dieſer Zeit, dieſer vier Jahre! Und ich ſehe weiter ſo 
manche ſtumme Frage in den Augen: was nüßt alle3 Kämpfen? Es 
fommt, wie e8 fommen ſoll; wir werden ja do< überrannt! 
Jugendgenoſſen, wißt ihr auch, daß ſolches Denken Frevel iſt? 
. Seit deim Augenblie, da die Entwieklung 3 ur Menſchheit abge- 
ſchloſſen war, datiert die Entwieklung3geſchichte d ex Menſc<heit. Und 
dieſe Entwieklung iſt weitergegangen durc< die Jahrtauſende bis heute, . 
ſie ruhte nie -- weder in den mörderiſchen NeligionSkriegen, noch in der 
anſcheinenden Stillſtand3periode des Mittelalter3, noch in dieſem welt» 
zerwühlenden Morden, -- niemals! | | | 
Wa3 für Menſchen haben in dieſen Zeiten gelebt! Ganz wahllos 
ſeien ein paar Namen genannt: Homer und Plato, Chriſtus, Huß, 
Luther, More, Schiller -und Goethe, Kant, Marz und Engels, Tolſtoi =- 
Angehörige aller Nationen und Länder. Kulturträger, Kulturbringer 
der eine iwie der andere, mochte auch ihre Sprache, ihre „Weltanſchauung“ 
verſchieden fein. Denn ſie ſtimmten in dem einen, dem weſentlichſten 
Punkt überein: die Menſchen zu Menſchen zu machen, .
	        
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