Full text: Arbeiter-Jugend - 10.1918 (10)

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- Arbeiter-Jugend 
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Wir Tänderen verdanken dieſen Großen 5Ics Geiſtes Lebenswerte2 
und -- indem wir uns die Werte zu eigen machen -- erſt die Fähigfeit, 
wirklich zu „leben“. Jſt e3 denn da nicht ein? Selbſtvorſtändlichkfeit, die 
uns ſ<on unſer eigenes, innere38 Geführ diftieren müßte, daß wir uns 
des Lebens würdig zeigen? Auch wir müſſen Träger einer höheren 
Kultur ſein, und wir können es ſein. 
Ja, wir können 233; der emiachſte Menſc< kann es. DaZ iſt eine 
Tatſache, die uns vollkommen klar erſt dieſer Krieg gezeigt hat: jeder 
Soldat, der da draußen ſteht, iſt um höchſten und beſten Sinn Kultur=- 
träger; er kämpft nicht gegen den „Feind“, nicht für Deutſchland, Bri«e 
tannien, Frankreich, ſondern für eimen Zuſtand dex Menſchheit, der die 
Barbarei der Kriege nicht mehr kennen wird und nicht mehr kennen 
darf. Und wie e3 un3 geht: daß wir den Krieg verdammen, ohn? ihn 
reſtlo8 zu begreifen, ſo erfaßt auch der Soldat nur in jenen Augen- 
bli>ken die hiſtoriſche, die weltbewegende Größe ſeiner Aufgabe, 5a durc) 
ein Wort, ein flüchtiges Geſchehen, durch den Anbli> des Sternen= 
himmel3 ſeinem geiſtigen Auge für flüchtige Sekunden 512 Zufunft der 
Welt erſchloſſen wird. 
Aus dieſer Erfenntnis ringt ſich dann diz Sehnſacht . . . 
„E23 ſind Menſchen; es ſind ganz gewöhnliche MenſHen, die man 
"dem Leben plößlich entriſſen hat; wie beliebig aus der Majſje heraus- 
genommene Menſchen ſind ſie unwiſſend, wenig begeiſtert, mit engem 
Horizont begabt und voll geſunden Menſchenveritandes, der zwar zeit- 
weiſe entgleiſt; ſie laſſen ſic) führen und geben ſich her, das zu tun, 
. was ihnen befohlen wird, ohne merklichen Widerſtand, und ſind fäßb1g, 
lange zu leiden. | 
E3 ſind einfache Menſchen, die man noch vereinfacht hat und bei 
denen notgedrungen die Urinſtinkte in den Vordergrund treten: der 
Selbſterhaltungstrieb, dex 'Egoi8mus8, die hartnädige Hoffnung, immer 
wieder davonzufommen, und dazu die Freude am Eſſen, am Trinfen und 
am Schlafen. 
Mitunter aber bricht au3 dem dunklen Schweigen 
ihrer großen menſ<lichen Scelen ein tiefer Schrei 
der Menſ<lichkeit.“" 
Der das ſchrieb, iſt ein Franzoſe, Henri Barbuſſe, und ſein Buch, 
„Das Feuer“*), iſt ebenſowenig „Kriegs8buch“, wie e3 das „Tagebuch 
einer Korporalſchaft iſt. E38 iſt Kulturwerk, und es iſt das Tagebuch 
aller Armeen an allen Fronten, Es iſt kein „Buch für die Jugend“, und 
doch ſollte e3 jeder leſen, der ſich zu Menſchheitszielen bekennt, Kapitel 
wie das fünfzehnte: „Das Ei“, und da3 zwanzigſte! „Das Feuer“, ſollten 
in ſämtliche Schulleſebücher der Welt aufgenommen, ſie ſollten geolejen 
und gepredigt werden. Das ganze Buch iſt eine Predigt, aber wo iſt 
die Kirche, in der ſie gehalten wird? Und welcher Geiſtliche wagt es, 
dicſe erdgeborene Wahrheit zu verfünden ? - 
Auf knappem Raum eine erſchöpfende Würdigung von Barbuſſes 
Buch zu geben, iſt unmöglich. Aber es iſt zu wünſchen, daß dieſes 
„Tagebuch“, das zu den wertvollſten literariſchen Erzeugniſſen des 
Krieges zählt, ſeine Verbreitung am erſten dort findet, wo die inter- 
nationale Armee der Zukunft5kämpfer in ihren Kerntruppen ſteht: in der 
Arbeiterſchaft. Und wenn in ihr die Gedanken de3 Vuches lebendig 
werden und ſich durc<ſeßen, dann =- ja dann . . . wird e3 dann wohi 
einmal heißen: „Scinen Krieg mehr . + . Nein, nie wieder!“? 
Denn da 3 iſt doc; wahr -- und dieſc Wahrheit iſt erſchütternd in 
ihrer Ginfachheit und Herbheit: 
- „Zwei Armeen, die ſich befämpfen, ſind cine große Armce, die 
Selbſtmord an ſich übt!“ 
Beethoven. | 
Und noh ein anderes Buch ſei hier erwähnt, auch von einem 
Franzoſen geſchrieben: „Beethoven“.**) Gine Biographie, und doch weit 
mehr als eine folche. 
Gute Biographien ſind wie verwachſene Pfade, betreten von Men- 
ſven mit ſuchender Seele, die ſich Unbekanntem, Geheimnisvollem, 
Großem nahen, Scritt für Schritt weicht das Dickicht zurük, immer 
beller geſtaltet ſich da3 Bild, immer klarer, lebendiger. Vermittler im 
beſten Sinne ſind ſol<he Leben3beſchreibungen, Vermittler zwiſchen zwei 
Herzen, von denen da3 eine, ſehnender Wünſche voll, das Cdle ſucht, das 
aus dem anderen ihm entgegenſtrömt. . 
Und ſo iſt dieſe Beethoven-Biographie troß all ihrer Unſcheinbarkeit 
" ein Menſchheitsbuch. Ein gewaltiges Buc<h de3 Glaubens und der 
Kraft, der edelſten Freiheit und der allumfaſſenden Liebe. Und (da 
man bei Büchern oft weit mehr als bei ven Menſchen vom Vorhandens- 
*) Da32 Feuer. Tagebuch einer Korporalſ<haft. Von Henri 
Barbuſſe. Verlag Maz Raſcher, Zürich. 408 S. Geb. 8,50 Mk. 
**) Beethoven. Von Romain Rolland. Verlag Max Raſcher, 
Zürich, Preis geb, 4,50 Mk, - | 
ſein einer „Seele“ ſprechen kann) das Buch RollandS5 wie das Barbuſſe3 
verbindet eine tiefe Harmonie: in ihrem Kern und in ihrem Ziel ſind 
- beide Bücher ein3. -- 
„SO Beethoven! Andere haben vor mir die Größe deineS5 Küntitler- 
tums geprieſen, du aber biſt mehr als der erſte unter allen Muſikern, 
du biſt die Verkörperung des Heldentum3 in der ganzen modernen 
Kunſt, du biſt der größte und beſte Freund der Leidenden, der Kämpfein- 
den. Wenn das Elend der ganzen Welt un3 überwältigt, dann nahſt 
du dich un3, wie du dich einer trauernden Mutter nahteſt, dich wortlo3 
ans Klavier ſetzteſt und der Weinenden Troſt reichteſt in dem GejanzJ 
deiner ergebenen Klage. Und wenn uns Ermattung droht im ewigen 
nußloſen Kampf gegen die Mittelmäßigkeit dex Tugenden und der 
Laſter, biſt du der Ozean de3 Willen8, de8 Glauben3, in dem wir unler=- 
iauchen, der unſere müden Glieder ſtärkt. Du gibſt un3 deine Tapfer- 
keit, deinen Glauben daran, daß dex Kampf Glück iſt, dein Bewußtſein 
der Gottähnlichfeit.“ 
Und aus den Werken dieſes Broßen ſtrahlt ſein innerſtes8 Leben, 
„Beethoven iſt die ſchöpferiſche Kraft der Natur ſelbjt. Der Kampf, 
den ſeine Elementarkraft gegen die ganze Umwelt zu führen hatte, iſt 
von antifer, homeriſcher Größe.“ 
Man leſe bei Rolland die wundervolle, ergreifende Stelle, in der er 
Ecethovens unſterbliche Weorfe verkörpert in. ihrem Schöpfer, kraftvoll- 
genmaliſch anſteigend biz zum Schluß: „Durch Leiden zur Freude.“ 
Staunend ſtehen die anderen, die Kleineren, vor der Majeſtät der 
leidgeborenen Kraft, und ſcheu verkriccht ſich der eigene Kummer und 
das eigene Dulden. Tragiſches Mitorleben zwingt härteſte Herzen zur 
Nührung, aber: 
Heldengröße will nicht beweint, ſondern geglaubt werden. 
Herzen glauben, bevor ſie hoffen. -- 
Franzoſen haben dieſe beiden Bücher geſchrieben, „Feinde“. Nein, 
nein! Jn Menſc<heit3dingen brechen die Grenzen der Nationen, der 
„Vaterländer“ zuſammen, in Fragen der wahrhaften Kultur ſind die 
Herzen der. Welt einig. Von Menſchen wurden die Bücher ge- 
ſchrieben, für Menſchen, Karl Dieſel, Jena, 
[SZ] Aus der Jugendbewegun 
Die Münchener Arbeiterjugend im Jahr 1917. 
Au3 Münden wird uns geſchrieben: Im vorjährigen Bericht 
wurde auf die Aufgaben hingewieſen, die die Jugendfommijjion zu er- 
füllen hat, und es wurden die Schwierigkeiten geſchildert, die in den 
erſten Krieg3jahren von Zentralleitung und Jugendieitern zu Über- 
winden waren, um dieſen Aufgaben einigermavten gerecht zu werdegu« 
Trotzdem die Schwierigkeiten in diejom Verichtsjahr nicht geringer 
waren, fann doc mitgeteilt werden, daß die Zabi der Iugendgenonen, 
die an unſercn Veranſtaltungen teilnahmen, nicyt weſentlich zurüc= 
gegangen iſt, obwohl die Gumberufungen der Zugendlichen bedeutend . 
böher waren als im Vorjahr. 
Die beruflichen Verhältnijje der jugendlichen Arbeiter, wie Ueber- 
anitrengung durch lange Acbeit8zeit, Nachtarbeit uſw., haben dieje zeit- 
weiſe abgehalten, unſere Veranſtaltungen zu beſuchen und ſomit ihr 
Wiſſen zu bereichern, ſich zu unterhalten und in dein Abteilungen der 
Arbeiterturnvereine Körperpflege zu treiben. Das Turnen wm den 
Abteilungen wurde ungünſtig auch durch die zeitweilige Belegung der 
Turnhallen mit Militär beeinflußt; Schulturnhallen konnten wir leider 
nicht befommen. 
Dem Wandex-, Spiel- und Raſenſport wurde, wie im Vorjahr, von 
der Leitung große Aufmerkſamkeit zugewandt. Wenn die Wanderungen 
nicht mehr ſo viele Teilnehmer aufweiſen konnten wie im Vorjahr, ſo 
ſpielte hierbei die Proviant= und Bekleidungs8frage eine große Rolle; be- 
ſonders an Schuhen mangelt es bei der Jugend. Außerdem mütßien viele 
unſerex Jungen an Stelle des Vaters, der im Felde iſt, Sonntags den 
Heiingarten bebauen und ſonſt Ordnung halten. | 
Zentrale Veranſtaltungen (Bildung, Unterricht) 
| Siarfe 
 
 
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: wurden. abgehalten: Am 13. Januar: Lichtbildervortrag „Ein Ausflug 
in3 Weltall"; 21. Januar: Lichtbildervortrag „Das bayeriſche Hochland 
von Berchtez5gaden bi3 Oberaudorf“; 11. Februar: Führung dur< den 
Konſumverein Sendling-München; 10. März: Lichtbiidervortrag „Die 
Feuergewalten der Erde“; 18. März: Vortrag „Köcperpflege und LeibeZ3- 
übungen“; 7. April: Lichtbildervortrag „Vom Uriier zum Menſc<en“; 
21, April: Lichtbildervortrag „Die Vogeſen“; 12. Mai: Autoren-Abend 
(Jungnickel, Muſik, Geſang) ; 7. Oktober: Muſifabend; 14. November: 
Lichtbildervortrag „Die freie Reichsſtadt Nürnberg“; 25. November: 
Rezitation8abend; 16. Dezember: Rezitation8abend „Alte und neue 
deutſche Schwänke“. Die durchſhnittliche Teilnehmerzahl beirug für 
jede Veranſtaltung 300, Beſonder3 hervorzuheben iſt dex von der Zen- 
- trale eingeführte Rede-, Leſe= und Disfuſſion8-Lehrkurjus, Lehrer Vogels 
mann-Vollrath, deſſen: Teilnehmer auch das Programm de8 am 25. No»=- 
vember abgehaltenen Rezitation3abend3 völlig und mit gutem Grfolg 
beſtritten. Auch in den Abteilungen betätigen ſich eine. Anzahl von den 
Kurſusteilnehmern beim Vorleſen und Rezgitieren, wodurch auch dieſe 
Veranſtaltungen der Bezirke an bildendem Wert gewinnen. 
Zentrale Wanderungen mit Spielen. 17. Juni: 
Wanderung nach dem J3maninger Weiher; 22, Juli: Turnfahrt nach
	        
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