Erſcheint alle 14 Tage
Preis der ee 0 Pfennig
Abonnement vierteljährlich 1, Mark
Eingetragen in die Poſt- iO itangolfte
In die Gewerkſchaft!
ix wollen un3 organiſieren. Wie machen wir das?“ Mit
I) dieſer Frage traten jüngſt zwei junge Abgeſandte der
weiblichen Angeſtellten einer Schreibſtube in mein Arbeits-
zimmer. Dieſe Schreibgehilfinnen waren mit ihrer Entlohnung
unzufrieden, mit Necht unzufrieden, denn ſie war weit hinter dem
Stande der Teuerung zurücgeblieben; ſie beklagten ſich auch mit
Recht über die Länge ihrer Arbeit3zeit und über die Behandlung
durch einige Vorgeſekßte. Irgendeine der Angeſtellten hatte ſchon
einmal gehört, daß e3 eine große Vereinigung, eine Organiſation,
eine Gewerkſchaft gebe, die dafür eintrete, daß die Entlohnung auch
der Schreiberinnen ſich beſſere. Dieſer gewerkſc<aftlichen Organi-
ſation wollten ſie beitreten, und ich wies ihnen den Weg.
Die beiden Mädchen hatten den Grundgedanken der Gewerk-
Tchaft3Sbewegung begriffen, der für alle Arbeiter und Angeſtellten,
die ihre Arbeit3kraft gegen Lohn an einen Unternehmer verkaufen,
der gleiche iſt: Vereintſindauc<h die Schwachen mäch-
tig! In der Tat: Wenn ſic< die Vielen, die als einzelne dem
durch ſeinen Kapitalbeſig übermächtigen Unternehmer faſt willen-
103 ausgeliefert ſind, zuſammenſchließen, ſo ſtellen ſie eine Macht
„dar, mit der auch der gewaltigſte Induſtrieherrſcher, Handelsherr
oder Bergwerksbeſißer rehnen muß. Was der einzelne Arbeiter
oder Angeſtellte nur noh ſelten aus eigener Kraft erreichen kann,
wird zur Aufgabe ihrer Vereinigung, der Gewerkſchaften: die Be-
einfluſſung de8 Arbeits8verhältniſſes und deſſen Umgeſtaltung zu
gunjten der Arbeiterſchaft.
Ie größer eiae Gewerkſchaft iſt, je mehr von den Berufs-
genoſſen ſie in ſich vereinigt, deſto erfolgreicher wird ie arbeiten
können. In Deutſchland iſt der weitaus größte Teil der gewerk-
ſchaftlich überhaupt erfaßten Arbeiter in den freien Gewerkſchaften
zuſammengeſchloſſen. Im letzten Friedensjahr zählten ſie
2548 768 Mitglieder; die <riſtlichen Gewerkſchaften hatten
342 785, die Hirſch-Dun>erſchen Gewerkvereine gar nur 106 618
Mitglieder. Daneben gibt e8 noch einige unbedeutende Berufs3-
vereine auf katholiſcher oder nationaliſtiſcher (zum Beiſpiel pol-
- niſcher) Grundlage und die ſogenannten „gelben“ Vereine, die
von der Geldunterſtüßung und dem Wohlwollen der Unternehmer
leben, mithin nie einen Kampf gegen die Kapitaliſten wagen
können. Während de3 Krieg3 haben alle Gewerkſchaften durch
die Einberufung vieler Mitglieder zunächſt ſ<wer gelitten. Jett
ſind zahlreiche Organiſationen der Freien Gewerkſchaften wieder
in ſtarkem Aufſtieg begriffen. Unter Einrehnung der im Feld
ſtehenden hat. der Deutſche Metallarbeiterverband ſogar noc< mehr
Mitglieder als je, nämlich an 700 000; er iſt damit die größte
Gewerkſchaft der Welt.
Seit etwa einem Jahrzehnt richtet ſich die Werbearbeit der
Gewerkſchaften aller: Richtungen beſonder3 auch auf die jugend-
lichen Arbeiter und Arbeiterinnen. Das iſt kein Zufall, ſondern
erklärt ſi aus der wachſenden Betriebswichtigteit der jungen
Arbeitskräfte,.
Werken, die an Zahl immer wachſenden und vollkommener geſtal-
teten Maſchinen ermöglichen mehr und mehr die Beſchäftigung
von Jugendlichen an Arbeitsſtellen, die ſonſt nur von Erwachſenen
ausgefüllt wurden. Wo der Unternehmer einen voll entlohnten
Arbeiter durch einen 'geringer bezahlten Jugendlichen, zumal dur
ein Mädchen, erſeßen kann, tut er es, um am Lohn zu ſparen,
Der Krieg hat dieſe Entwicklung beſchleunigt. In vielen Betrieben
- ſind die jugendlichen Arbeiter von entſcheidender Bedeutung, und
niemand weiß, wann | der Friede ſie wieder ein! igermaßen zurüd-
= drängt.
Berlin, 13. Juli
Die Arbeitsteilung in den Fabriken und großen .
Expedition: Buchhandlung Vorwärts, Paul
Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften für die Redaktion ſind zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Verlin SW. 63
Die Gewerkſc<aften ſind nun beſtrebt, dieſe Maſſen von jun-
gen, ungelernten Arbeitern aufzunehmen und gewerkſhaftlich zu
ſcHulen, weil ſonſt bei der ſtarken Wichtigkeit der jungen Arbeit3-
kräfte im Betriebe jeder nachhaltige Druck auf den Unternehmer
unmöglich iſt. Anderſeits ſind die Jugendlichen gerade jekt ſtark
auf die Gewerkſchaften angewieſen, weil ſie ſonſt infolge der Außer-
kraftſezung der Jugendſchußgeſe<ße den Unternehmern vollſtändig
widerſtand8lo3 ausgeliefert ſind. Auch ſind bei der ungewiſſen
Beſchäftigung3möglichkeit wieler Betriebe, die nur auf Krieg8-
lieferungen eingeſtellt ſind, die Arbeitsverhältniſſe und die Löhne
fo unſicher, daß die jungen Arbeiter und Arbeiterinnen unbedingt
die Stüße einer großen Gewerkſchaft brauchen. Waffenſtillſtand
und Frieden können gerade für die jugendlichen Arbeiter und
Arbeiterinnen beträchtliche Lohnkürzungen und Arbeitsloſigkeit im
Gefolge haben. Die Gewerkſ<haften werden dann mit ihren Ab-
wehrmaßregeln und mit ihren Kaſſen einſpringen.
Aber auch da3 Verhältnis der Lehrlinge zu den Gewer»
ſchaften wird immer enger und wichtiger. Von Ausnahmen adb-
geſehen, haben die bedeutendſten freien Gewerkſchaften auch den
Lehrlingen den Beitritt ermöglicht, und zwar zu beſonders gün-
ſtigen Bedingungen. Mehrere Gewerkſchaften haben für ſie be-
ſondere bildende Einrichtungen geſchaffen. In dieſer Kriegszeit,
wo zahlloſe, durc< Vertrag an einen beſtimmten Unternehmer ge-
feſſelte Lehrlinge bei gänzlich ungenügender Entlohnung mit der
Serſtellung von Maſſenartikeln beſchäftigt werden, anſtatt zu ler-
nen, muß auch jeder Lehrling den Schuß ſeiner Gewerfkichaft ſucher.
Zwiſchen unſerer Arbeiterjugend und den Freien Gewerk-
ſhaften war immer ein gutes Zuſammenarbeiten. E5 kann und
muß aber no< inniger werden. Das zu erſtrebende Ziel iſi:
Jeder Bezieher der „Arbeiter-Jugend“ nruß zugleich Gewerkichafts-
mitglied und jeder jugendliche Gewerkſchafter zugleich Bezieher der
„Arbeiter-Fugend“ ſein. Allgemeinbildung, ſozialiſtiſche Schu-
lung, berufliche und gewerkſhaftlihe Erziehung müſſen zujammen-
wirkend Geiſt und Willen des jungen Arbeiters für den Beo-
freiung3kampf ſeiner Klaſſe tüchtig machen,
Wie ſehnen ſich doch unſere gewerkichaftlichen Gegner, vor
allem die <riſtlichen Gewerkſ<haften, nach einem zahlreichen %ach-
wuchs! Sie wollen die Jugend nicht nur wegen ihrer Bedeutung
in den Betrieben haben, ſondern ſie rufen nach den jungen Stür-
mern und Drängern, damit ihre Bewegung nicht erlahme. „Ohne
das jugendliche Element würden ' die Gewerkſchaften bald ver-
knöchern und nicht mehr den Drang nac< vorwärts entfalten, der
notwendig iſt.“ Mit dieſen Rufen finden ſie bei den <hriſtlichen
Jugendvereinen viel Verſtändnis, Sogar die evangeliſchen
Jünglings8vereine, die no& vor einem Jahrzehnt zwiſchen Po-
ſaunenblaſen und Bibelkränz<hen nichts anderes taten, als „das
Reich ihres Meiſter8 unter den Jünglingen auszubreiten“, haben
ſi nach einigem Schwanken entſ<loſſen, ihre Mitglieder den <riſt-
lichen Gewerkſchaften zuzuweiſen. Nicht aus beſonderer Liebe zu
den <riſtlichen Gewerkſc<haften, ſondern weil ſie die evangeliſchen
Jünglinge in den <riſtlihen Gewerkſchaften immer noh lieber
ſehen als in den freien.
Mit weſentlich. größerem Nachdru> fördern die fatholi-
ichen Züngling3vereine die <riſtlichen Gewerkſchaften, in denen
ja der Geiſt der katholiſchen Kirche mit überwiegender Stärke lebt.
Die katholiſ<en Jugendführer erklären, daß die religiöſen und ſitt-
lichen, die bildenden und unterhaltenden Aufgaben einer Ergänzung
durch die gewerkſihaftliche Arbeit bedürfen. DeShalb halten Ge-
werkſchaft3beamte Vorträge in den katholiſchen Jünglingsvereinen,
darum werden die tüchtigſten und begabteſten Bereinzm: tglieder in