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Eingetragen in die Poſt- „Zeitungsliſte
Worauf es ankommt.
üngſt kam es in einem Berliner Arbeiterjugendheim zu einer
J lebhaften Debatte, deren Anlaß der in einer der lekten
Nummern der „Arbeiter-Jugend“ erſchienene Artikel des
Genoſſen Heinrich Schulz: „Gibt e8 gemeinſame Wege?“ war.
Die Meinungen waren ſehr geteilt. Als Arbeiter und als
Sozialiſten, führte einer der jungen Genoſſen dem Sinne nach
aus, ſtehen wir dem Bürgertum und beſonder3 der bürgerlichen
Jugendbewegung feindlich gegenüber. Die Gemeinſamkeit wenn
auch nur .eine8 Teile38 unſerer und der bürgerlichen Beſtrebungen
wäre dazu angetan, die natürlichen und notwendigen Gegenſäße
zu verwiſchen und die proletariſche Jugendbewegung ihres Eigen-
werts zu berauben. Wenn wir mit dem Sohn des Krämers. und
des Schußmanns auf der gleichen Schulbank geſeſſen haben = nun,
ſo waren wir Kinder; heute aber ſtehen wir im Leben, und da gilt
nur der Kampf!
Soweit unſer junger Kamerad. Was er ſagte, mag manchem
einleuchtend krſcheinen, aber es traf nicht den Kern der Frage, die
Genoſſe Schulz in ſeinem Artikel aufgeworfen hatte. Ihm wurde
denn auc< von anderer Seite lebhaft entgegengetreten. Jm Nach-
ſtehenden ſei verſucht, die Anſichten, die da entwiekelt wurden, zu-
ſammenzufaſſen und -- es handelt fich ja nicht um einen proto-
kollariſc<en Verſammlungsberi<t = in dem einen oder anderen
Kunkt zu ergänzen.
Dor Genoſſe hat ſicher recht, wenn er die unüberbrückbare Gegen-
ſäßlichkeit der proletariſchen und der bürgerlichen Jugendbewegung
betont.
flüſſig aufgeber;. Worin aber beſtehen dieſe Gegenſäge? Doch nicht in
Aoußerlichkeiten, ſondern in den Zielen und in der Weltanſchau-
ung! Die proletariſche Jugendbewegung erfüllt die Aufgabe, die
Söhne und Töchter der Arbeiterſchaft in die ſozialiſtiſche Gedanken-
welt einzuführen, ſie zu bewußten Kämpfern für die Ziele ihrer
Klaſſe zu erziehen. Auch die bürgerlichen Organiſationen ſind in
- ihrer Weſenheit auf politiſche und ſittliche Meinungs- und Willens
bildung eingeſtellt, und zwar nach einer der unſeren entgegen-
ſtehenden Auffaſſung. Auf dieſem Gebiet, das betont auch Genoſſe
Schulz mit Nachdrue>, iſt jede Gemeinſamkeit ausgeſchloſſen.
Was8 aber der Jugendgenoſſe, deſſen Meinung wiedergegeben
wurde, überſicht, iſt folgendes. Außer der Erziehung zum ſozialiſti«
ſchen Denken und Empfinden, ſind an der Arbeiterjugend noch eine
ganze Reihe von Aufgaben zu erfüllen, die über den Rahmen unſerer
Eigenbeſtrebungen hinausgehen und denen die Arbeiterſchaft bei der
Beſchränktheit ihrer Mittel unmöglich ſtattgeben kann. Wird darunt |
aber beiſpiel8weiſe der fozialdemokratiſche Vertreter in einer öffent-
- Jichen Körperſchaft die Fortbildungsſ<ule ablehnen, weil
ſie keine | ozialiſtiſche Erziehungsarbeit leiſtet? Kein Genoſſe
denkt daran, ſich derart zum Narren zu machen, aber jeder unſerer
Vortreter wird mit größter Entſchiedenheit darauf dringen, daß in
allen Unterricht8fächern, die über das rein Berufliche und Techniſche
hinausgehen, ſtrengſte Neutralität geübt wird. =- Nehmen wir
weiter an, in einer Gemeinde wird aus öffentlichen Mitteln ein
Jugendheim eröffnet und mit Bildungsmitteln ausgerüſtet, wie
ſie zu beſchaffen Über die Kräfte einer privaten Drganiſation weit
hinaus8geht. Sollen wir die Nußnießung dieſer Bildung8gelegen-
beit ablehnen, zumal ſie zu einem großen Teil aus den Taſchen
ſozialdemokratiſc<her Steuerzahler unterhalten wird? Nein, wir
werden nur neben der Forderung der Gleichberehtigung
wieder die der Neutralität erheben, und es iſt auch gar nicht
einzuſehen, warum wir nicht neben dem Sohn des- Krämers und
der Tochter de3s- Schußmanns ſitzen ſollen, um etwa über die Schäd-
/ | -/
Berlin, 10. Auguſt
Wäre ſie nicht da, ſo könnten wir unſere Arbeit als. über-
Expedition: Buchhandlung Vorwärts, Paul
Singer G. m. b. H, Lindenſtraße 3. Alle Zu-
ſchriften ür die Redaktion find zu richten
an Karl Korn, Lindenſtraße 3, Bertin SW, 68
lichfeit des Nikotin8s, des Alkohols aufgeklärt, über Bau und
Leiſtung des Nervenſyſtems, über die Welt der Fixſterne, über
tauſend Fragen der exakten und biologiſchen Naturwiſſenſchaften
und anderer jenſeit3 des Klaſſenkampfs ſtehender Gebiete unter-
richtet zu werden oder an einem Deutſchkurſus teilzunehmen. Und
ſelbſt wenn es zwiſchen einzelnen Beſuchern de3 Jugendheims ein-
mal zu einer Debatte über gegenſätßliche Fragen kommen ſollte:
mißtraut jener Jugendgenoſſe ſeiner geiſtigen Uebeorlogenheit und
ſeinem Wiſſen, oder muß er ſich nicht vielmehr freuen, die Hiebſicher-
beit ſeiner Ueberzeugung erproben zu können?
Eine andere Frage zn unſeren Reihen herrſcht in nicht
minderem Grade als in den ausſc<ließlich dazu gegründeten bürger-
lichen Organiſationen eine geſunde Wanderfreude. Sie
findet eine ihrer ſ<werſten Hemmungen in den mangelhaften
Unterfunft3- und Bewirtungsgelegenheiten. Ja, die arbeitende
Jugend mit ihren paar Groſchen leidet am meiſten darunter, bei
ihren Wanderungen auf die gewinnfüchtige „Fremdenimduſtrie“
angewieſen zu fein. Die Wandervögel haben ſich durch Gründung
von Wanderneſtern, Wanderherbergſtätten uiw. zu helfen verſucht,
aber auc< hier fann nur durc< Zuſammenſchluß Befriedigendes
geſchaffen werden, und wenn ſich die Arbeiterjugend beteiligt,
kann ſie nur Nußen davon haben.
Das ſind etliche Gründe von vielen, die für die Selbſtverſtänd-
lichkeit der Ausführungen des Genoſſen Schulz ſprechßen, und mi-
verſtehen kann ihn eigentlich nur, wer ihn mißverſteben will oder wer
dieſe Fragen noch nicht gründlich dur<gedacht hat.
Tatſächlich werden denn auch dieſe Selbſtverſtändlichfoi von
zahlreichen unſerer Jugendausſchüſſe in Stadt und Land als fol
anerkannt, und manches iſt bereits ſeit kürzerer oder landoror Zott
in der Praxis unſerer Bewegung verwirklicht. Und haben wir donn
nicht auch grundſäßlic von jeher gefordert, daß wir von I2m
Organen de38 Gegenwartsſtaats als gleichberechtigt mit dor bürJ2r-
lichen Jugendbewegung anerkannt werden? Unjere Rolemif gezen
die ſtaatlichen Jugendfonds, jene großen Summen, dio die Bund25-
ſtaaten alljährlich für Zweeke der Jugendpflege in ihren Etat 2in-
ſtellen, richtet ſich doch keine8weg3 gegen die Tatjache, daß für ſolche
eminent wichtige Zwecke öffentliche Mittel flüſſig gemacht werden,
ſondern gegen die Art der Verteilung dieſer Mittel, dagegen, daß ie
(von wenigen neuerlichen AuSnahmen abgeſehen) vloß bürgorlichen,
Jugendvereinen zugute kommen und nicht auch der Kuiturarbeoit, die
von der Arbeiterklaſſe in ihrer Jugendbewegung gelotſtet wird. Auch
die Vergünſtigungen bei Eiſenbahnfahrten der wandernden Jugeond
haben wir nur deshalb bekämpft, weil ſie nicht auch unſeren Wand2or-
ſcharen zugebilligt wurden. Und daß die Gemeinden ihre Turnjäle
auch unſeren Turn- und Jugendgenoſſen öffnen, daß ſie uns Schul
räume für unſere Veranſtaltungen oder als Jugendhenmns zur Ver-.
fügung ſtellen, iſt eine alte Forderung unſerer Foimmunalen Bor-
treter, we3halb es denn auch mit Recht als eines der wenigen guten
Zeichen dieſer Ausnahmezeit begrüßt wird, daß unſeren Forderungen
neuerding8 an ſo manchen Orten endlich „ütfprochen worden iſt.
Sogar Barunterſtüß ungen aus öffentlichen Geldern haben wir hier
und dort in Anſpruch genommen, genau wie die bürgerlichen Jugend-
vereine, wieder ohne irgendwelches prinzipielle Herzklopfen, denn
dieſes Geld ſtinkt wirklich nicht; es ſind ja unſere, der Arbeiter,
-Steuergroſchen, iſt der von der Arbeiterklaſſe produzierte Mehrwert,
der ihr ſolchermaßen, zum Teil wenigſtens, für ihre Kulturziweode
zurücflicßt. So gut wir aber Geld nehmen, ſo gut können wir die
aus denſelben Mitteln hergeſtellten ſachlichen Apparate der ZUJend-
bewegung mitnüßen. Daß ſich ein „Vonds.“. teilen läßt und jeder
ſeinen. Teil mit nach Hauſe tragen kann, cin öffentliches Jugendheim
ſich aber nicht in ſolche Stücke zerſchlagen läßt, und beiſpicelsweiſe ein