832 Irbeiter-Jugend
Wir alle kennen die Sehnſucht in das „wver-
gitterte Land.“ Ob wir die Maſchinen be-
dienen oder am Schreibtiſch ho>en --- in uns
allen pulſt derſelbe Freiheitsdrang, der einſt
ven jungen Fabrikarbeiter Max Barthel in
die Welt hinaustrieb. Deshalb ſollten wir
alle das Buch Barthels leſen und unſere
Seelen ſich von ihm berauſchen laſſen wie
von unſerer Jugend ſelber. V. Sch,
€ Cehrlingsweſen ))
Die unſittlihe Entſchädigung der Lehrlinge.
Am 20. Dezember fällte das Gewerbe-
gericht Chemniß-Stadt ein Urteil, das allge-
meine Beachtung verdient. Ein im dritten
Lehrjahr ſtehender Lehrling der eletiro-
tc<hniſchen Fabrik Dskfar Schmidt, Chemnißt,
flagte auf Herausgabe des Arbeitsbuches.
Als Grund der einſeitigen Auflöſung des Lehr-
verhältniſſes wurde die zu niedrige Entloh-
nung des Lehrlings angegeben. Dieſer er-
hielt im dritten Lehrjahr Dezember 1922 die
Woche 120 Mk.! In der Urteilsbegründung
heißt es u. a.: .
„Für den gegenwärtigen Rechtsſtreit ſind
jedenfalls die Barteivereinbarungen maßs>
gebendv, und nach dieſen handelt es fich nach
dem Lehrvertrag um einen Lohnanſpruc) des
Klägers und Widerbeklagten. Dieſer Lohn
iſt in der von dem Beklagten und Wider»
fläger gezahlten Höhe von 120 Mk. unſitt-
lich niedrig. Nach dem Lehrvertrage hat
ſich der Veklagte und Widerkläger verpflich-
tet, gewiſſe Mindeſtlöhne zu zahlen.
dieſer Beſtimmung ergibt ſich auf der ande-
ren Seite noch, daß der Lohn den jeweiligen
Verhältniſſen angepaßt werden ſoll. Anders
iſt wenigſtens in einem Falle der vorliegen-
den Art die Bezeichnung des Lohnes als
Mindeſtlohn nicht aufzufaſſen. „Es bedarf
nun wohl keiner weiteren Ausführung dar?
über, daß ein Wochenlohn von 120 Mk. bei
cinem Lehrling im dritten Lehrjahr unter
Berückſichtigung der derzeitigen Lebens-
bedingungen nicht mehr angemejſen iſt.
Wenn man die Verhältniſſe vom September
1919, unter denen der Lehrvertrag abge-
ſchloſſen wurde, mit den derzeitigen „ver-
gleicht, ſo wird man mindeſtens bei einem
Lehrling auf eine Steigerung um das
200fache kommen müſſen, wenn man eine
angemeſſene Entlohnung zugrunde legen
will. Es würde dies die Hälfte von der
Steigerung der Löhne ſein, die im Durch-
ſchnitt ein gelernter Arbeiter in der erwähn-
ten Zeit erfahren hat. Der Kläger und
Widerbeklagte hätte nac dem Lehrvertrage
8 Mk. monatlich zu erhalten gehabt. Unter
Aus .
den jetzigen Verhältniſſen würden es nach der
obigen Rechnung 1600 Mk. monatlich ſein
müjjen. Dieſe noc<h ſehr gering gegriffenen
Gäße erreichen noch nicht einmal die, die in
der Metallinduſtrie für die Lehrlinge tariſ-
mäßig vorgeſehen ſind. Das erkennende Ge»
richt erbli&t in der unſittlich niedri-
gen Bezahlung eine Uebervor-
teilung des Kluügers und mußte daher
den Lehrvertrag auf Grund der Erklärung
vom 2. Dezember 1922, auf Grund von
8 124, Ziffer 4 der Gewerbeordnung, in Ver»
bindung mit 8 127b der Gewerbeordnung für
ordnungsgemäß gelöſt anſehen. Der
Beklagte und Widerkläger iſt daher auch ver-
pflichtet, dem Kläger und Widerbeklagten
deſjen Arbeitsbuch herauszugeben.“
Soweit das Urteil. Der Fall widerlegt
wieder einmal ſchlagend die Behauptung von
der „hohen Entlohnung der Jugendlichen“
und zeigt zugleich allen, die in gleicher Not
leben, wie ſie ſi unter Umſtänden trotß
Lehrvertrages eine angemeſſene Entſchädigung
ſichern können.
EE .
28 „Sriefktaſten 12344 O
P. N. in Kl.-F., Das Manuſtript war ja nicht
vollſtändig, Es fam nur ein Blatt hier an. Lin
unſere Dichter, Wieder iſt trogß der Portoerhöhung
im Laufe des Monat3 ein ganzer Haufen Gedichte ein-
gegangen, von denen kaum eines bei beſcheivenſten
Anſprüchen druckreif iſt. Da3 iſt ſowohl für die Ein-
ſender wie für die Redaktion höchſt bedauerli<., Jür
die Einſender, weil ſie vergeblich die Mühe und die
Koſten aufgewandt und noc< obendrein ven Yerger
der Enttäuſchung haben, Für die Redaktion, weil
c35 doch wahrhaftig kein Vergnügen iſt, jungen ſtre-
henden Menſchen immer wieder eine Abſage zu er-
teilen. Gewiß mag das eine oder andere Gedicht
einzelne mehr oder minder gelungene Stellen ent-
valten, aber damit iſt e8 noh nicht für den Dru>
gerettet, denn wenn überhaupt ſür ein Kunſtwerk,
jo gilt für ein ſo geſchloſſenes Gebilde wie ein Ge»
dicht die Forderung, daß es als Ganze3 untadelig
ſei. „Verbeſſern“ wie ein Bericht oder ein Aufſatz
laſſen ft& ſolche teilweiſe gelungene dichteriſche
Produkte auch nicht, und überdies zwingt uns die
große Raumnot, die wenigen Gedichte, die wir ab
und zu unterbringen können, um ſo ſorgfältiger
ainSzuwählen. Schließlih, wenn Ihr ſc<on dichten
müßt, weShalb beherzigt Ihr nicht die Mahnung
Cures „Kollegen“ Goethe: „Das Lied, das au3 der
Kehle dringt, iſt Lohn, der reichlich lohnet"? Vom
Gedrucdtwerden iſt da keine Rede, -- Die3 gilt für:
K, Sch. in M. W, K. in Z., H, S. in W, A. H,
in Cb. (ſtellenweiſe vol Ec<hwung, aber das Motiv
au oft ſchon behandelt). W. K. in S. (au freie
Nhythmen müſſen Rhythmus haben, ſonſt ſind ſie
öerha>te Broſa. Aber ſchi> mal Deine Erzäöhlun-
gen!), A. E. in G., H. A. in St. (Für den An»
ſang Deine3 Begleitbrief8: „Die hohe Redaktion
möge mir verzeiben, wenn ich armſeliger Erven-
wurm mir erfühne, Sie mit hohlem Gewäſch zu
langweilen“ ernennen wir Dich zum Kanzleirat),
FT. St. in B, (anuter Aufbau, aber mehrere Ver-
legenheitöreime), A. F. in W. -+ F,. M. in B.
Nicht für die „Arbeiter-Jugend“ paſſend, va deren
Leſer ja dur<weg der ſchulentlaſſenen Jugend an-
hören.
Verantwortlich | d. Reda!ltion: Karl Korn, -- Herausgegeben v. Hauptvorſtand d. Verbandes d. Sozialiſtiſchen Arbeiterjugend
Deutſchlands 1Max Weſtphal), =- Verlag: Vorwärts Buchhandung, -- Dru: Buchdrukerei Vorwärts. =--
ämltlich in Berlin,