19. 3. Jahrg, / Beit 2 Berlin,
1. Februar 1927
Preis 0 0, 25 5 RM.
Eine Bilanz der Not.
Don G2rxd Bothur-Berlin.
7 roß Aufbau- und Arbeitsbeſ<affungsprogramm im ver-
4) ganvenen Jahr haf das neue Jahr mit einer traurigen
T=“ Bilanz begonnen. Arbeitsloſigkeit, Lohndru> und Woh-
nungsnot haben aanze Dolksſhihten an ten Rand der Der-
zweiflung. getrieben. Auch die Arbeiterjugend iſt von dieſer
Derelendung erfaßt worden. Wollen wir uns ein einigermaßen
zutreffendos Bild von dem Einfluß der Wirtſc<aftskriſe auf
die Tage der jungen Krbeiterſ<aſt maden, jo müſſen wir
unterſu<ßen, welche Rolle die Iugend in der Wirtſchaft ſpielt.
Erſt ſeit Beginn des Kapitalismus haben junges Arbeitskräfte
eine größere Bedeutung im kapitaliſtiſchen Produktionsprozeß.
Die Entſtehung dieſer neuen Arbeiterkategorie Jungarbeiter-
ſchaft hat ihre Urſache in den ſeit einem halben Iahrhundert
ſtark veränderten Lebens- und KArbeitsbedingungen der Ge-
ſamtarbeiterſc<aft.
„Die Anwendung der Maſchine hat den Arbeitsprozeß voll-
ſtändig umgeſtellt. Sie machte in weitem Maße MusSkelkraft
Überflüſſig. Die Kräfte der Iugendlic<en reichten häufig zur
Bodienung der Maſchine aus, und da die jugendliche Arbeits-
kraft billig war, wurden die IugendliGen in Ulaſſen in die
entſtehenden Fabriken gezogen. So entſtand die Iungarboiter-
ſhaft, die von Iahr zu Ighr zunahm, ſo wie ds Maſchinen
vermehrt und verbeſſert wurden. Auf der anderen Seite wurden
die kleinen Handwerksbetriebs dur< die billiger erzeugenden
Fabriken bedroht, und nur geſteigerte Ausbeutung von GEe-
ſellen und Tehrlingen konnte den Handworksmeiſter vor dem
Untergang bewahren. Dieſe AKuSnußung der jucendliden Ar-
boitskräfte in den Kleinbetrieben und au< in d?n Fabriken
hat den Gedanken der Selbſthilfe, der Grganiſation in die
jugendlichen Köpfe gehämmert. Seit jener Seit, da die junge
Arbeiterſchaft ſelbſt geſellſ<maftlic<e Wirklichkeit wurde und ſim
ihrer geſellſchaftlic<en- Macht bewußt wurde, ſind mehr als
zwei Iahrzehnte vergangen. Wie ſtark das Beor dor arbeoiten-
den Jugend von Jahrzehnt zu Iahrzehnt wu<hs, das zeigem d72
le3ten Berufs- und Gewerbezählungen der Jahre 1895 und 1807.
Aus der umſtehenden Statiſtik iſt erſi<tlih, wie ſtark
der Geſamtzuwa<hs in den Jahren 1895 bis 1907 war, und
wie er fi; auf die einzelnen Wirtſ<aftsSzweige verteilt.
Entſprecgend dem induſtriellen Luſſ<wung iſt in den
Spalten „Induſtrie und Bergbau“, „Bandel und Derkehr“ und
„jugendliche Angeſtellte“ eins gowaltige Zunahme der jugend-
lien Arbeitskräfte feſtzuſtellen. Leider ſind die endgültigen
Ergebniſſes der neueſten Zählung von 1925 no< niht vor-
öſffentlie<t. Es iſt jedom ſiGer anzunehmen, daß troß des
Krieges eine Zunahme zu verzeichnen iſt. Iedenſalls ſpre<eon
die Berichte dor Gewerbeauſſi<tsboamten dafür. Dana ſind
die Sahlen der 14- bis 18jährigen weiblichen und männlichen
Jugendlichen in den cewerbeaufſic<htspfli<tigen Betrieben,
Organiſationen der KRonzentrationSbowegüng.
das ſind Betriebe mit mehr als zehn beſchäftigten Arbeitern
wie folgt geſtiegen:
im Jahre: 1892 1900 1908 1922
Jugendliche: 208 8355 334847 440255 574693
Son dieſer kurze Ueberblick zeigt ni<t nur das gewaltige
Anwadyfen der jugendlic<en Arbeitskräfte, jondern au< die
Bedoutung der Jugend im heutigen Wirtſ<aſtsleben.
Die Goſhi<te der proletariſchen Iugendorganiſationen zeigt
deutlich, wie ſ<wierig ſ<on in ſogenannten „normalen Zeiten“
der Wirtſ<aft die Stellung des jugendlic<en Arbeiters iſt. Wie-
viel ſ<wierigor geſtaltet ſich die Tage aber in den Seiten dor
Kriſe. Wir ſtehen in einer ſol<en Wirtſ<aſtskriſe, die genauer
betrachtet, ihren Ausgangspunkt in der Zereißung der wirk-
ſ<aftlichen Zuſammenhänge dur< den Krieg hat. Gegenwärtig
ſtehen wir in einem Kriſenabſchnitt, der die Yerkmale Korn-
zentration, Rationaliſierung und Stabiliſierung irägt.
Konzentration, d. h. SZuſammenſ<luß von Wirtſ<aſts-
unternehmungen mit dem Beſtreben, teils dur< Derein-
barungen über Preiſs und Gewinn, durc< Spezialiſierung und
Kombination der Erzeugung, dur< Zentraliſation des Der-
triebs von Produkten oder dur< Riſikoverteilung den Ertrag
zu erhöhen. Konzerne, Syndikate, Kartelle und Truſte ſind die
Dur die
Rationaliſierung ſoll die größtmögli<hſte Leiſtungs-
. fähigkeit der Unternehmungen erreicht werden. Tedniſ< un-
vollkommens Betriebe werden ſtillgelegt, leiſtungsfähigere
Maſc<inen und rentablers Arbeitsmethoden werden eingeführt.
Durd) dieſe Maßnahmen werden einmal Arbeitskräfte goſpart
und freigeſezt und andererſeits wird eine ſ<nellere und höhere
Produktion erreicht.
Ein KuSgleich könnte geſ<affen werden durch Steigerung
des Derbrauds, Steigerung der Bedürfniſie und Derbilligung
dvr Produktion. BiSher betreibt jedo< die Unternehmerſ<aft
dic Rationaliſierung und Konzentrierung faſt ausſ<ließli<
unter dem Geſictspunkt der Si<erung eines hohen Gewinns
dur< Beibehaltung der bisberigen hoben Preiſe. Die breite
Maſſe der Konſumenten kann dieſe Dreiſe nimt zahlen, da ſie
durc< Inflation und Stabiliſierung verarmt iſt. Dieſe Um-
ſtände führen zu einer Erſ<Qwerung des Abſatzes. Die Qbſaß-
hemmung führt zur ProduktionSeinſ<ränkung und hat Rurz3-
arbeit und erhöhte ErwerbSloſigkeit zur Folge. am
31. Dezember 1926 wurden 1745 000 Hauptunterſtüßungs-
empfänger gezählt. Dazu Kommen 1963000 ZSuſd<lags-
empfänger. Unberückſichtigt ſind boi dieſen Zahlen etwa 2ine
Million Kurzarbeiter und die AusSgeſteuerten, die nam vorſichtt-
aer Berehnung der Gewerkſchaften mehrere Hunderttauſend
zählen. Wir kennen den genauen Anteil der I u gendan dieſen
Zahlen niht. Man hat verſucht, die Geſamtziſfer der jugend-
lichen Erwerbsloſen zu ſ<häßen. Die Schäßzungen ſ<wanken