2 “ ..- Arbeiter-IJTJugend
verfaſſung jind Regierungen und Regierungsparteien gegen
eine für alle deutſchen VYiädchen und Jungen gemeinſame
religiös-neutrale deutſ<e Dolksſhule. Die Trennung in
Katholiken und Evangeliſche und Diſſidenten und Juden ſoll
ſhon im frühen KindeSalter nod ſtrenger als bisher durch-
geführt werden. Daher wird die KonfeſſionsSſ<ule in dem
neuen Entwurf in den Dordergrund gerü>kt. Die in einigen
Cändern no<h beſtehenden K&onfeſſionell gemiſchten, aber
immerhin <HDriſtlichen jogenannten Simultanſ<hulen jollen ab-
geſ<hafft werden, damit die Konfeſſionsſ<ule triumphiert.
Die freien Schulen, die ider Sozialdemokratie und den Kont-
muniſten naheſtehen, Jollen möglichſt eingeengt und zu
Schulen der Gottloſen geſtempelt werden, während wir ſie für
möglichſt alle Kinder offen Halten wollen. Beauſtragte der
Kirche, alſo Pfarrer, ſollen den ReligionSunterri<t in den
Konfeſſionsſ<ulen überwachen, wogegen ſich beinahe all?
Cehrer, aum? wenn ſie gläubig <riſtlic< ſind, zur Wehr ſegen.
Ueber einzelne Beſtimmungen 'des ReichSſ<hulgeſeßes Herr-
ſchen noh große Meinungsverſ<iedenheiten zwiſchen den R2-
gierungsparteien. Werden ſie ſi? einigen? Wir gläuben:
Ia! Deutſhnationale und Zentrum wollen das Rei<sſchul-
geſes Zzuſtandebringen und die Partei Streſemanns, die
Deutſ<e Dolkspartei, wird nac<goben. In Fragen des Geld-
ſj<ranks iſt die Partei des Hodkapitalismus ſeſter als in
der Sorge um die Erziehung der DolkSſ<uljugend.
Die reichſten und mächtigſten Herren der Wirtſ<aft ſind
die Shwerinduſtriellen im Rheinland und Weſtfalen. Während
die Pfarrer aller Rir<en ihre Weihna<htspredigt von Frieden
umd Liebe und Derſöhnung vorbereiten, drohen die Führer
der Schwerinduſtrie, einige hunderttauſend Mann zum 1. Ta-
nuar 1928 auf die Straße zu werfen. Warum? Im Jahre
unferes Niedergangs, 1923, haben fte mit Unterſtüßung
bürgerlicher Reichsminiſter Iden Shwerarbeitern in Hütten
und Walzwerßken,
Adctſtundentag geraubt. Uun, da die Arbeiter längſt
wicder vorandrängen, hat der Reihsarbeitsminiſter an-
geordnet, daß am 1.
wicder der Ahtſtundentag eingeführt werden ſoll. Die Schwer-
induſtriellen rebellieren gegen Regierung und Geſes. Ihre
Drohung iſt: Lieber ſezen wir die Betriebe ſtill, als daß wir
den Ahtſtundentag hinnehmen. Sie behaupten, ihre Geſchäfte
vertrügen die Belaſtung nicht. Die Krbeiter, au die <riſt-
liGen, und die Mehrheit aller Sac<kenner beſtreitet das. --
Wenn dieſe Zeilen gedruckt werden, iſt dieſer Kampf wohl
ſ<on entſchieden. Er iſt von größter Bedeutung, denn er iſt
im Grunde nichts anderes als ein Kufſtand einer kapitaliſti-
ſchen Shi<ht gegen die Staatsgewalt.
Don dieſer JahreSwende gilt das Wort Freiligraths:
„Denn nichts als Kampf und wieder Kampf entringt ſich
dicſen Tagen“. Die Entwicklung drängt auf Entſc<eidungen
hin. Die größte davon wird das Ringen um den neuen
Reihstag ſein. Wieder werden Vlillionen Iugendliche zum
erſten Male zur Wahl aufgerufen werden. Und wer von
eu< im kommenden Jahre no< nicht das Wahlrecht erlangt,
der iſt dom beſtimmt vier JIahre ſpäter an der Reihe. Be-
reitet eue) vor auf Wahlkampf und Wahlre<t. Wer nod
nicht wählen kann, mag werben. Im Streit der Uleinungen
ſGulen ſic) Derſtand und Wiſſen, wächſt ider politiſche Wille,
formt ſich das Wort zur Rede. Wir Sozialdemokraten
rufendie Jugend. Mit uns ſollſieeine neue
Welt geſtalten. Wilhelm Sollmann.
Eine LeidensSc<hronik der Arbeiterjugend.
Kurzer Auszug aus dem Bericht der preußiſchen Gewerbeaufſichtsbehörden.
Don Emil Steinke-Berlin.
«IE ürzlim? haben die preußiſchen Gewerbeauſſichtsbehörden
? "2 ihren Tätigkeitsbericht für das Jahr 1926 vorgelegt.
Ww PD In dem Bericht wird zunächſt feſtgeſtellt, daß der
Beamtenapparat nicht auSreicht, um alle Betriebe aum? nur
einmal im Jahre zu beſuchen. Schon vor dem Kriege
konnte mur nahezu die Hälfte aller vorhandenen Betriebe
regelmäßig kontrolliert werden, jett aber iſt es infolge der
vermehrten Zahl der Betriebe ledigli? bei etwa einem
Drittel möglih. Die ſozialdemokratiſche Tandtagsfraktion
hat gegen dieſe Derſchlehterung mit aller Kraft angekämpft,
und es gelang ihr, bei den vorjährigen Beratungen des
Etats ider Handel- und Gewerbeverwaltung die Zahl der Auf-
ſichtsSbeamten weſentli< zu erhöhen. Weitere Stellen ſollen
im nächſten Iahr geſchaffen werden.
Obwohl unter dieſen Umſtänden 'die Berichte der Gewerbe-
aufſichtsbeamten nur ein ſehr unvollſtändiges Bild über die
tatſächlichen Arbeitsverhältniſſe bieten können, entrollen ſie
dod) ein düſteres Bild von [M werenHebertretungen
geſeßliher Beſtimmungen zum Sdhuße der Jugendlichen. So
mehrten jim im Berichtsjahr die Fälle, in denen die für die
einzelnen Gewerbezweige von den geſezlimen Berufs-
vertretungen und dem Miniſterium für Handel und Gewerbe
vorgeſ<riebenen Höchſtzahlen in der Lehrlings-
ſkala überſ<ritten wurden. |
Uoh immer Lehrlingszüdterei.
Die in der letzten Zeit dur<geführte Rationaliſierung hat -
zuerſt zur Derringerung der erwachſenen Krbeitskräufte ge-
führt, während die dur< Lehrvertrag gebundenen Lehrlinge
in derſelben Anzahl im Betriebe behalten wurden. Die JFolge
iſt, daß oft die älteren Lehrlinge die jüngeren anleiten
müſſen. Don einer geordneten Ausbildung kann dann ſelbſt-
verſtändlim keine Red2 jein. In anderen Fällen müſſen die
Lehrlinge Geſellenarbeit verrichten. So wurde - in viner
größeren Gießerei na< Entlaſſung
der meiſten Geſellen die
ſ<wierige Arbeit des Abgießens von den älteren Lehrlingen
beſorgt. Wenn die gerade anweſenden älteren Gießerlehr-
linge zu dieſer Krbeit nicht auSreichten, wurden die älteren
ShHloſſerlehrlinge herangezogen. Uod bedenklicher iſt freilich
die erneut um ſich greifende LehrlingSzü<hterei, So
wurde in Rönigsberg feſtgeſtellt, daß in einer Eiſen-
großhandlung auf 23 kaufmänniſ<e Angeſtellte 22 Lehrlinge,
in einer Textilgroßhandlung auf 60 Angeſtellte 31 Lehrlinge
und in einer Fahrrad- und Autohandlung auf 46 Angeſtellte
20 Cehrlinge kamen. Im Düſſeldorfer Einzelhandel wurden
in einem Fall auf 14 Angeſtellte 12 Lehrlinge, in einem
anderen auf 22 Angeſtellte 18 Lehrlinge und in einem dritten
Fall auf 273 AKngeſtellte 132 Lehrlinge gezuhlt.
Das ſind aber noh „günſtige“ Zahlen! KnderS ſieht es
ſhon im Regierungsbezirk DotSdam aus, wo in einem
Betrieb, der früher 180 und heute 30 Erwachſene beſchäftigt,
damals und au<h jezt no<h 38 Lehrlinge gezählt wurden. In
einer Fabrik für Heizungsanlagen in Erfurt werden von
einem Meiſter 12 Lehrlinge „ausgebildet“. UicQt minder
traurig liegen die Dinge im Bezirk Frankfurta.d.O.,
wo neben einem Meiſter und 6 Geſellen 12 Lehrlinge und in
drei anderen Fällen neben dem Meiſter und einem Fach-
arbeiter 4 bis 5 Tchrlinge gehalten werden. Die Beweggründe?
Die Gewerbekontrolle berichtet über einen Fall, in dem ein
Geſhäftsinhaber offen ausſpra<, daß er ſeinen einzigen An-
geſtellten, den er neben vier Lehrlingen beſchäftigte, auh no<H
zu entlaſſen gedenke, um zwei weitere Lehrlinge dafür
einzuſtellen, weil ſie billiger wären.
In den meiſten Fällen mußte davon abgeſehen werden, die
überzähligen LQehrlinge aus den Lehrbrutanſtalten heraus-
zunehmen, da es keine geeigneten Unterbringungsmöglic-
keiten gab. Die Gewerbekontrolleure können in dieſen Fällen
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Ur. 1
die an glühenden Oefen ſchuften, den -
Januar 1928 für dieſe S<werarbeit .