Die DiskuSSIONSredner
Wir Silzen in einer Versammlung. Schon ist eine Stunde
vergangen. Langsam tickt die Uhr. Nodh langsamer
fließen die Worte des. Redners dem „Gehege Seiner
Zähne“. Hin und wieder hebt ein Zuhörer die Hand zum
Mund. gähnt und denkt: will denn der Kerl noch nicht
aufhören? -
Oede Langeweile liegt über dem Raum. Nichts bewegt
Sim. Geistesabiwesend belſrachlet der Willy die Gretel.
Seine Gedanken kreisen um dieses Mädel. Schöne und
traurige Erlebnisse Sdhlüpfen über die Schwelle Seines
Bewuſßtseins. Da hebt der Redner Seine Stimme, er kommt
zum Sdluß. Die Zuhörer aimen auf, Leben kommt in
ihre Gesichter. Willy, aus Seiner Träumerei auf gesdqnreckt,
freuſf Sich über das Ende der Rede und denkt: auch diese
Qual ist vorüber,
Reicher Beifall belohnt den Redner. 1sts die Aner-
kennung der Leistung? 1st's die Freude über das Ende
der Rede? Jedenfalls Freuen Sim nun Mädel und Burschen
auf das Spiel, die Unterhaltung, die nun kommen wird.
Dodh adh. ihr Freunde, wir
freuten uns zu früh. Der Rede-
fluß ist noh nicht vorbei. Nun
kommt der zweite Akt. Im
Namen der V ersammelten dankt
der Vorsilzende dem Referen-
ten für Seine „feine, klar auf-
gebaute“ Rede. Nun Stehen die
Ausführungen zur Diskussion.
Niemand will beginnen. Nach
einigen ermunlernden Worten
„opfert“ Sich ein Genosse. Er
iSt offensimmtlich erbost. NXie-
mand weiß zu Sagen warum.
Seine Stimme übersdqhlägt Sich.
Der Referent, 50 legt er los,
hätte nicht verstanden, worum
es geht. Natürlich könne man
nun nicht erwärten, daß er Sich
Seiner Aufgabe g gewadsen zei ge.
Dodh davon abgesehen, SCi alles
falsch. was er "Sesagt Rabe.
Da geht dem Kritiker der
Alem aus, und er Sdinappt
näch Luft. Wie dicke Perlen
rollen ilm die Schweißtropfen
pon der Stirn. Dodh das be-
flügelt nur Seine Kritik. Er will
nun beweisen, daß Seine Be-
hauptungen richtig Seien. Aber alle Kritik ziell auf Yeben-
Sächlichkeiten, auf Randbemerkungen des Redners und trifft
leider nicht den Kern. Man hat den Eindruck: der gute
Diskussionsredner haf während des Vortrags zu wenig die
Ohren gespitzt.
So ging eine halbe Stunde hin. Immer wurden un-
wesentliche Dinge als Shlagende Argumente ins Feld ge-
führt. Die Aufmerksamkeit der Versammlung wurde
immer geringer, der Diskussionsredner verstärkt sgeine
Stimme, "Sucht Gehör zu finden, Spricht, schreit bis er
voll Ershöpfung auf den Stuhl Sinkt.
Nun ist die Diskussion im Fluß. Der zweite Redner
Spricht. Er lobt den Referenten, findet Seine Ausführungen
ausgezeimnet. Ja, er meint, nie habe er ein 30 klares
Referat gehört. Nun beginnt er in wenig klarer Weise
die Gedanken des Referenten zu wiederholen. Seine Stete
Wendung ist: wie uns der Referent Schon gesagt hat, oder
wie unser Redner bereits bemerkte usw. Bei all dieser
Wiederholung und Lobhudelei drängt Sich die Empfindung
auf: der gute Genosse hört Sich gern reden. Er will nicht
das Thema, Sondern Seine Person in den Mittelpunkt des
Interesses Stellen.
Der dritte und der vierle Diskussionsredner fauchen
auf. Sie üben Sich alle in der einen Tugend: IVYieder-
holung. Die Gedanken des Referentlen wie des ersten
Diskussionsredners werden wieder gekaut. Geduldig läßt
die Zuhörersqhaft diese Redeflui über Sich ergehen.
iInzwischen haben Simm die „WF“ erantwortlichen“ von ihrein
Schreck erholt, Nun werden Sie's dem erstlen Diskussions-
Winkel in einer Danziger Jugendherberge
ZH ARBEITER-JUGEND NR.16
Der eine übt Kritik an dem Verlauf der
Diskussion. Man habe gesäagt, der Referent habe zich
Seiner Aufgabe - nicht gewadhsen gezeigl. Dod kein
Kritiker habe nun die Frage richtig gestellt und Sein Teil
zu ihrer Beantworlung beigetragen. Da ersdalit ein
Zwoishenruf: „Na, nun bist Du an der Reihe, du wirst
die Sache machen.“ Allgemeine Heiterkeit bei der Ver-
Sammlung. Nur der Bewitzelte bleibt ernst, er überhört
den Zwishenruf. Aus den Ausführungen der vorher-
gehenden Redner zieht er den Sdhluß, daß Sold geistig
minderbemittelte Diskussionsredner nicht befugt geien, an
dem glänzenden Referat Kritik zu üben. Sie "Sollten Sich
zuersf auf den Hosenboden Setzen, was lernen und dann
reden. Befriedigt über diesen Hieb Schaut er Sich voll
Stolz um und Selzt Sich.
Dem Vorszitzenden Sdliien diese Abfuhr niqt Kräftig
genus. Er wollte diesen Kerlen, die immer ur zu
meckern hatfen, einmal dig Leviten lesen. Er rückte die
Kritiker ins recite Licht, stellte ihre Taten urd ihre
IWorte einander gegenüber und
erging Sim in wenig maß-
pollen Angriffen. Die Spannung
in der Versammlung wurde
immer größer. Bald entlud Sich
die Erregung. JLwismenrufe
wurden laut. Die Unruhe
nahm immer mehr zu. Schon
madcſten einige Zuhörer den
Tersudh, Sid: zu entfernen. die
erseten Sdhimpfworte wurden
laut . . . Da griff der Referent
ein. Yur unter Jufbietung
aller Ueberredun gskunst Konnte
er die Wl ogen glätten. die Ge-
mütter besänftigen. Die J er-
Sammlung nähm wohl ein ar-
dentliches Ende, doch die JI er-
SQ immung blieb.
". NS
2: ><
Toll Unbehagen derke im
nod heute an diese ZuSammen-
Kunft. JWWohl isf Sie eine 4uS-
natume. Solche Fälle Sind Selten.
Dodhn finden wir nicht in vielen
Diskussionen ähnlime Dinge?
Gibt es nicht viele DiSkuSSionS-
| redner. die einem Referenten
enigegentreien, ohne Sachliche 4rgumente in die Debaite
verſen zu können? Gibt es nicht Yorsitzende wund Funk-
tionäre, die einige GenosSsen nicht mit der notwendigen
Kameradsdqiaftlichkeit behandeln, nur weil Sie hin und
wieder Kritik üben?
Wie aber lassen Sim Solene Mängel abstiellen? Yun,
indem jeder Diskussionsredner folgende TI inke beadnhtet.
Wer zu einem Vortrag Sprechen will, muß genau zuhören.
Nur dann kann er der Gefahr entgehen, CGreSagtes zu
miederholen oder den Referenten mißzuverstehen und
ilm dann un geredhterweise anzugreifen. Man kann über-
haupt nur aus: zwei Gründen zur Diskussion Spredien.
Entweder man ist anderer Meinung als der Referent,
oder man ist grundsätzlim mit ihm einverstanden,
wünsdht aber in dieser oder jener Hinsicht eine wesSent-
liche Ergänzung zu madien, neue Gefichtspunkte aufzu-
zeigen. In beiden Fällen geht man ohne Umsdqiwveife auf
Sein Ziel los. Ist man anderer Meinung als der Referent,
SO Stellt man Seine AuffasSung der des Referenten gegen-
über und zeigt die Gründe, warum man ihm nicht Zu-
Stimmen kann. Je klarer und Sachlimier man dies tut,
desto eher wird man die Zuhörer für Seine 3Jfeinung ge-
winnen. Wer aber in beiden Fällen nichts zu 8agen hat,
der Stelle Fragen. Nur wer Fragen Stellt, zeigt, daß er
dem Vortrag gefolgt ist. Vor allem vergesse man nicht:
auch der Diskussionsredner bedarf einer geistigen Dis-
ziplin. Audh er ist für die Gestaltung einer I erszammlung
verantwortlich. Artur Schweitzer, Berlin.
reiner geben.
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