Full text: Arbeiter-Jugend - 22.1930 (22)

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Düsseldorf 
 
ARBEITER-ZUGEND NR. 12 NNEN IINIIANIIIIIIIE 
SYGENDIN NOT u 
 
Ein Lehrling zu 1 Tode geprügelt 
Ueber eine Lehrlingstragödie in Erfurt- Nord, die den 
Verlust eines jungen Menschenlebens zur Folge hatte, be- 
richtet die Erfurter „Tribüne“: Der in der Salinenstraße 91 
wohnhafte Bäckermeister John beschäftigt in Seinem 
Bäckereibetrieb zwei Lehrlinge, von denen der im zweiten 
Lehrjahr Stehende eines Abends gegen. 16.30 Uhr nach Hauze 
kam und, da ihm der Meister keinen Hausschlügsgel gab, 
durchs Fenster einstieg. Dieses Späte Nachhausekommen 
war dem Meister Grund genug, „Seinen Lehrling am an» 
deren Morgen auf die brutalste Art und Weise zu miß- 
handeln, indem er den wehrlosen Lehrling mit «dem Kappel 
bearbeitete, noch“bevor dieser aus dem Bett gestiegen war. 
Trotzdem der So mißhandelte Lehrling kamm noch Seine 
Arbeit verrichten konnte, mußte er noch Brötchen aus- 
tragen, und das bei 39 Grad Fieber! 
noch Schleppen konnte, wagte er Sich zum Arzt. Sein Zu 
Stand war Jedoch bereits So Schlimm, daß der Arzt ihn ins 
Krankenhaus überwies, wo er dann verstarb. 
Der Lehrling, der durch die andauernden Tätlichkeiten 
Seines Meisters eingeSchüchtert war, hatte Seiner Mutter 
nichts von Seinem Leid gesagt. Erst durch die Aeußer ungen 
des anderen bei John beschäftigten Lehrlings wurde man 
aufmerksam und leitete eine Untersuchung ein, die nun vor 
aller Oeffentlichkeit das Martyrium jenes jungen Menschen 
aufzeigen wird. 
jeder neunte jugendliche iSt erwerbslos 
Von der Arbeitslosigkeit, die immer noch Steigt und deren 
Ende nicht abzusehen iSt, wird in hohem Maße auch die 
Jugend direkt betroffen. 'Nach den Viertelſahresberichten 
der Reichksanstalt für Arbeitsvermittlung und 'Arbeitslosen 
versicherung wurden am 15. Juli 1930 gezählt: 
Hauptunterstützungsempfänger männlich weiblich 
bis 18 Jahre , . «+... 32 973 14 483 
H. der GeSsamtzahl der U.-E.. . 29 4,5 
"über 18--21 Jahre . . . . 142 635 41394 
-, H. der Gesamtzahl der U. E.. . 124 12,2 
über 21--25 Jahre . . . 197278 64011 
H. der Gesamtzahl der WB. 17,2 20,1 
Nach dem Bericht beträgt der Anteil der Jugendlichen 
unter 21 Jahren an der Gesamtzahl der Hauptunterstützungs- 
empfänger: männlich 15,3 v. H., weiblich 17,3 v. H. Auf diese 
Weise wurden rund 231 500 erwerbslose Jugendliche als 
Hauptunterstützungsempfänger festgestellt. Nun gibt es 
aber durch die Binschränkungen, die in der Unter- 
Stützung für die erwerbslose Jugend bestehen (nach den 
'Bestimmung en der Notver ordnungen vom. 26... Juli 1930 
wurde der Paragraph 87 des Gesetzes über Arbeitsvermitt-» 
Jung und Ärbeitslosenversicherung [AVAVG.], der die Vor- 
aussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslogenunterstützung 
umreißt, dahingehend geändert, daß Arbeitslose, die das 
i7. Lebensjahr "noch nicht vollendet haben, nur dann An- 
Spruch auf Unterstützung haben, wenn ihnen kein familien- 
rechtlicher Unterhaltungsanspruch zusteht, und das ist nach 
der geltenden. RechtsauffasSgung die große Mehrheit; bereits 
durch die Novelle vom 12. Dezember 1929 wurden die unter 
21 Jahre alten Erwerbslosen aus der KriSsenfürsorge aus- 
geschloSSen), viel mehr jugendliche Arbeitslose, als Sie von 
der ReichSsanstalt gezählt werden, Ihre tatSächliche Zahl 
läßt Sich nur an Stichproben Schätzungsweise ſeststellen. - 
Eine Solche Probe ist vom Landesarbeitsamt der Rhein- 
provinz gemacht worden. Am 15. Juli 1930 wurden arbeit- 
Suchende Jugendliche IM Alter von 14 bis 21 Jahren fezt- 
gestellt: 
Erwerbslose Jugendliche im Alter von 
' 14--21 Jahren 
Regierungsbezirke 
männlich weiblich zuSammen 
 
23 211 10875 34086 
Köin . . 5 883 2344 8 227 
"Aachen - . 3 068 2654 5122 
Koblenz 2136 449 2585 
Trier . 2433 1466 3 899 
insgesamt 36 731 17188 53 919 
Erst als er Sich kaum 
Das Landesarbeitsamt der Rheinprovinz rechnet nach 
diesen Erhebungen in Seinem Bezirk mit einer Gesamtzanl 
von 60 000 arbeitslosgen Jugendlichen. Für den Regierungs- 
bezirk Düsseldorf wurde das Zählergebnis in einen Vergleich 
zur Zahl der Jugendlichen überhaupt geSetzt. Man rechnet 
nach diesen gewisSenhaften Feststellungen damit, daß in 
DüssSeldorf 8 v. H. der Jugendlichen überhaupt -- also nicht 
allein der erwerbstätigen Jugendlichen --- erwerbslos Sind. 
Das deckt Sich mit einer Angabe auf einer Aussprache des 
LandesSausschusses Sachsen der Jugendverbände, wonach in 
Sachsen jeder zehnte Jugendliche erwerbslos ist. Man kann 
also 8 bis 10 v. H. als Meßzahl für das Allgemeinbild der 
Arbeitslosigkeit der Jugendlichen annehmen. Die Zahl der 
erwerbsfähigen Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren 
in Deutschland beträgt etwa 8,5 Millionen. Die Meßzahi 
8 v. H. zugrunde gelegt, ergäbe eine runde Zahl von 
680 0600 erwerbslosen Jugendlichen. Wenn man ferner 
annimmt, daß etwa 75 v. H. der Jugendlichen (einschließ- 
lich der Lehrlinge und in Beachtung einer höheren Zahl der 
männlichen vor den weiblichen Jugendlichen) normalerweise 
erwerbstätig Sind, So ergeben diese Berechnungen die Wahr- 
Scheinlichkeit, daß 11 v. H. der erwerbstätig en 
Jugend, also jeder neunte Arbeiterjugend- 
liche ohne BesSchäftigung und Einkommen €(ist. 
Diese Angaben, die wir einem Artikel von Erwin Niffka 
in der „Germania“ entnehmen, Sind ein Warnungssignal. 
Wenn irgendwo die Erwerbslosigkeit nicht nur materiell, 
Sondern auch geistig und moralisch verheerend wirkt, dann 
vnter der Jug end. Alle verantwortungsbewußten Kräfte 
Sollten darum zusammenarbeiten an den Möglichkeiten der 
Arbeitsbeschaffung gerade für die Jugend. Die Arbeits- 
dienstpflicht, wie Sie von der Wirtschaftspartei, den Deutsch- 
nationalen und Nationalsozialisten propagiert- wird, rechnet 
unserer AuffasSung nach nicht dazu. Das Sei ausdrück- 
lich festgestellt. Das Warum iSt auf diesen Seiten aus 
tührlich Behandelt worden. 
 
 
Nette | Früchtchen. am Hitlerstamm 
In Frankfurt a. M. wurde der Vorzitzende unsere 
Ortsgruppe, der Genosse Ernst Langendorf, am 10. Novem- 
ber von zehn Nazirowdys überfallen. Der Genosse L. wurd2 
von hinten zu Boden gerissen und So heftig ins 
GesSicht getreten, daß er das Bewußtsein verlor. 
Dem wehrlos am Boden Liegenden versetzten die Hitler- - 
bestien nech mehrere Fußtritte, von denen einer dem Ge- 
RGSSen L. das Nagenbein brach. Genosse Langendorf mußte 
im Krankenhaus operiert werden. Glücklicherweise gelang 
es, die beiden Hauptschuldigen, den 20jährigen Schlosser 
Max Hahn und den gleichaltrigen Helmut Enrnst, fest- 
zunehmen. Hahn ist derjenige, der den Genossen L. ins 
Gesicht trat. Er war in Nazikleidung. Der andere „Held“ 
ist den Gerichten nicht uribekannt: Ernst iSt wegen Dieb- 
Stahls mit einer Woche Gefängnis vor dem Jugendgericht 
im Jahre 1927 bestraft worden. Weil er ein Mädchen 
geschlagen war er wegen Mißhandlungen angeklagt. 
-MNlit Rücksicht auf Seine Jugend erhielt er Kierbei nur eine 
richterliche Verwarnung. 
Auf der Reise zu einem Funktionärkursgus der Pfälzer in 
- Neustadt a. d. H. hat der Genosse Fritz List im Auftrag des 
Hauptvorstandes den Genossen Langendorf im Kr ankenhaus 
besucht. Fritz List berichtet darüber folgendes: Der 
Pförtner vom Städtischen Krankenhaus. in Frankfurt braucht 
nicht erst in dicken Büchern nachzuschlagen, er weiß es 
S0: Abteiling 63. Aber Ernst Langendorf liegt allein in 
einem Zimmer! Das. ist in Krankenanstalten meist kein 
gutes Z eichen. Ernst Sieht Schlecht aus, aber er lächelt 
und freut Sich: „Ei jo, Sogar Besuch aus Berlin. Freund- 
Schaft!“ --- „Freundschaft, Ernst! Ja, und zwar ganz 
offiziell für den Hauptvorstand. -- Weißt Ernst, ich freue 
mich, daß ich nach Berlin Schreiben kann, daß es dir Schon 
wieder besser geht!“ Sein von den Stiefelabsätzen der 
Nazi eingetretenes Nasenbein ist wieder gerade gerichtet, 
und auch die anderen Verletzungen am Kopf und Körper 
Sind Schnell geheilt. Aber an der Gehirnerschütterung hat 
Ernst noch zu leiden.
	        
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