Full text: Arbeiter-Jugend - 22.1930 (22)

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Stätte gehabt batte 
 
'ARBEITER-AUGEND NR. 12 keien 
brot. Es war ein Abendbrot mit Musik, aber nicht mit alter 
Volksmusgik, die in diesem Haus Sicher einmal eine Heim 
Sondern das Grammophon Spielte 
„O, Donna Klara“ auf deuisch. 
Sofia Selbst ist eine Stadt mit 220000 Einwohnern und 
bietet im Zentrum das Bild einer europäischen Stadt. Vor 
allem Sind einige neue Bauten in Sehr Schöner, moderner 
Architektur ausgeführt. In den Tagen meines Aufenthalts 
war die Stadt von einem Reinigungsfieber befallen.. Die 
Stadtverwaltung batte allen Hausbesitzern aufgegeben, ihr 
-Straßenpflaster in Ordnung zu bringen, da wenige lage 
Später der feierliche Einzug des bulgariSchen Königs mit 
Seiner Frau, einer italieniSschen PrinzesSin, Stattfinden Sollte. 
Ueberall wurde ausgebessert und gepinselt, Selbst am Sonn 
tag berrschte große Geschäftigkeit. 
begegneten wir Iruppen von Arbeitsdienstpflichtigen -- in 
Bulgarien besteht die Arbeitsdienstpflicht --, die den Auf 
trag hatten, Grün zur Schmückung der Straßen und Häuser 
In die Stadt zu holen. 
Doch ich wollte ja von der Balkankonferenz Pe 
richten. Sie fand Statt unter Teilnahme der Mitglieder des 
Zentralkomitees der bulgarischen Organisation und von 
Vertretern der Parteien in Bulgarien und Rumänien. Bul- 
garien hat den besten Verband auf dem Balkan. Er arbeitet 
Planmäßig. Seine führenden Mitglieder Stehen in einem 
regen geistigen Kontakt mit den Jugendverbänden Mittel- 
europas, und Seine Mitgliederbewegung ist befriedigend. In 
Rumänien ist kürzlich ein Jugendverband gegründet wor 
dzn, und dort wird es nach dieser Konferenz noch besser 
vorwärtsgehen als bisher. Bulgarien und Rumänien werden 
vorläufig die Stützpunkte unserer Arbeit dort unten Sein; 
denn in Griechenland gibt es nur eine Schwache Partei, die 
SeIbsSt noch Schwer zu kämpfen bat, und in Jugoslawien 
berrscht die Diktatur, die alles, was SozialisStiSch ist, unter 
drückt. Das ist zunächst nicht viel, aber die ZuSammen»- 
kunft bat doch eine Starke Hotfnung für die Zukunft ge 
geben. Unter den dort arbeitenden GenossSen lebt der ernste 
Wile, mit der Bewegung in Mitteleuropa Schritt zu halten 
und trotz aller Schwierigkeiten die Ideen des Sozialismus 
unter der Jugend zu verbreiten. Was das im einzelnen 
beißt, können bei uns vielleicht nur jene Funktionäre er» 
mesSSen, die in erzkatholischen Gegenden arbeiten und dort 
erleben, was Terror heißt. Wir anderen reden zwar viel 
Zwei gute Filme 
Dreyfus -- Unter den Dächern von Paris 
Die Bourgeoisie besitzt zurzeit wohl kaum ein vollkommen» 
neres Mittel, das Volk im Banne ihrer Ideologie zu halten, 
818 den Film. Denn einmal vermag er auf die bDreitesten 
Massen zu wirken und zum andern ist Seine Wirkung, heute 
wenigstens, ungleich tiefer als die anderer Künste. 
Das Proletariat hat verschiedene Versuche gemacht, diese 
ungeheuer wirksame Waffe im Klassenkampf zu erobern. 
Am weitesten vorgestoßen Sind die Russen mit den Meister» 
werken des „Potemkin“, der „Mutter“, dem „Sturm über 
AsSien“ und anderen gleich oder fast gleich großartigen 
FilmerzeugnisSsen. Der gute deutsche Film (darüber hinaus 
überhaupt der nichtrussiSche Film), der den proletariSschen 
Wünschen, Forderungen und Kämpfen Ausdruck verleiht, 
der aus der SozialistiSchen Perspektive heraus die Welt Sieht, 
ist trotz „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ und „Cyankali“ 
noch immer Wunsch und Forderung. Vorläufig müssen 
wir leider wohl oder übel mit den wenigen Filmen "zufr jeden 
SCIN, die aus dem Meer der bürgerlichen Kitschproduktion 
herausragen. 
Ein Solcher Film ist Richard Oswalds Tonfilm „Dreys- 
f us“. Zwar, wir wollen uns nichts vormachen: er tut keinem 
Kapitalisten weh; er wagt nicht, dem militärischen System 
oder. der bürgerlichen Justiz zu Leibe zu rücken, obwohl 
Auf -den : Landstraßen. 
von der Demokratie, aber was Sie für uns bedeutet, werden 
wir 'erSt wiSSen, wenn wir Sie einmal verlieren Sollten. 
Das kam mir fast noch deutlicher zum Bewußtsein, als ich 
wenige lage Später unsere ungarisSchen Genossen in 
Budapest besuchte. Dort herrscht Herr Horty, und auch 
hier war Sein Wegbereiter der Bolschewismus. Die unga- 
riSche Räterepublik, ein Werk des Bolschewismus, ging 
unter in Blut und Schrecken, und ihr folgte der weiße Terror, 
der nicht nur die Kommunisten traf, Sondern die ganze 
Arbeiterbewegung in ibren Grundfesten erschütterte. Auch 
dort ein allmähliches Erstarken der Arbeiterbewegung, auch 
dort ein wachsender politiScher Einiluß der SozialistiSchen 
Arbeiterschaft, aber der Weg zur politischen Freiheit in. der 
Demokratie ist noch weit. Die Jugendversammlung, in der 
ich Sprach, durfte öffentlich nicht angekündigt werden, 'SON“ 
dern zu ihr wurde durch besondere Einladungsschreiben an 
die jugendlichen Mitglieder der Gewerkschaften eingeladen 
Die Jugendarbeit ist eigentlich illegal. Sie iSt Bildungs- 
arbeit der Gewerkschaften an ihren jugendlichen Mitglie- 
dern, denn eine SelbsStändige Jug endorganisation würde auch 
heute noch nicht gestattet werden. 
Trotzdem auch bier in Partei und Gewerkschaften ein 
ernstes Ringen um die Stärkung des Einflusses der Arbeiter» 
klasse. Gerade in diesen Tagen rüstet man zu Kommunal 
wahlen. Es wurden Flugblätter und anderes Werbematerial 
gedruckt, obwohl bis heute noch niemand weiß, wann die 
Wahlen Stattfinden, da der Termin erst drei Wochen vor 
der Wahl bekanntgegeben wird. Die Hoffnung der GenosSen 
in allen diesen Ländern ist Mitteleuropa. ., Werdet ihr die 
Demokratie halten Können, oder wird Hitler regieren“ Und 
was werden die Wahlen in Oesterreich bringen? Wenn der 
Faschiemus auch die Demokratie in Oesterreich und 
Deutschland gefährdet, dann werden wir neue Rückschläge 
erleben.“ Immer und immer wieder Kamen die gleichen 
Fragen. - 
Genau eine Woche nach meiner Abreise in Weimar war 
ich wieder in Berlin. Sieben Tage nur währte dieser Aus- 
flug nach dem Südosten, Sieben Tage, ausgeſüllt mit Reisen, 
Sitzungen, Besprechungen, BeSichtigungen und noch einmal 
Reisen. Aber dennoch eine Woche mit einer Fülle von Ein 
drücken und neuen Erfahrungen, die trotz allem den Glauben 
an die Lebenskrafit der SozialistiSchen Jugend-Internationale 
und ihrer angeschlJosSSenen Verbände neu gestärkt haben. 
Erich Ollenhauer 
doch der Gegenstand geradezu zu einer Anklage gegen 
Militarismus und KlassSenjustiz herausforderte. 
Was der Film zeigt, ist die erSchütternde Passion eines 
gemarterten unschuldigen Menschen (Dreyfus) und der 
Späte Sieg der Gerechtigkeit. Was er nicht zeigt, Ist die 
politische Bedeutung des Falles Dreyius. 
Darum Sei an dieser Stelle nachgeholt, was der Film ver» 
Schweigt -- natürlich mit Absicht verschweigt, denn es han» 
delt Sich um Hugenbergsche Produktion. 
Im Jahre 1894 wurde der jüdische GeneralstabSsoffizier 
Dreyfus wegen Verrats militäriScher Geheimnisse zu lebens- 
länglicher Verbannung verurteilt und nach der Teufelsinsel 
mit ihrem mörderischen Klima verschickt. Auf diese Weise 
Sollte eine Schmierige Spionagegeschichte vertuscht werden, 
die mehrere höhere Offiziere verwickelt waren. Damit 
gelang der Kkorrumpierten Offizierskanaille, die Seit län» 
gerem, unterstützt von klerikalen, monarchistiSchen und 
antigemitischen Strömungen, gegen Parlament und Republik 
rebellierte, ein Doppeltes: die „Ehre der Armee“ war ge“ 
rettet und der Vorwand zu einer wüsten Hetze gegen links 
geschaflen. 
Der Frau, dem Bruder und den Freunden Dreyfus gelang 
es, den Sumpf von Gemeinheit, Lügen und Schuftereien all-
	        
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