Full text: Arbeiter-Jugend - 22.1930 (22)

Een ARBEITER-JUG:ND NR. 2 
 
Kein Aufruf, keine Rede kann die Forderung nach 
Staltet. 
kürzerer Arbeiiszeit wirkSamer 
als dieses Gedicht: 
„Nur Zeit! Wir wittern Gewitterwind 
Wir Volk 
Nur eine kleine Ewigkeit. 
Uns fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind, 
Als all das, was durch uns gedeiht, 
Um So kühn zu Sein, wie die Vögel Sind, 
Nur Zeit!“ 
Schlicht, kunstlos ist Wort an Wort gesetzt: mit AbsSicht! 
Aber durch das Gefüge der Worte dröhnt das unterirdische 
Schüttern und Grollen der revolutionären Massen: „Wir 
wittern Gewitterwind. Wir Volk...“ 
Das gleiche Thema mit der gleichen Meisterschaft und Ein- 
dringlichkeit hat Dehmel in Seinem „Maifeierlied“ behandelt 
und hat damit der deutschen Arbeiterklasse vielleicht das 
Schönste Maigedicht geschaffen. 
Den Gipfelpunkt der Sozialen Lyrik Dehmels aber bildet 
die großartige Vision des „Ernteliedes“ , des PSalms der So- 
zialen Revolution: 
und wuchtiger formulieren 
Es Steht ein goldnes Garbenfeld, 
Das geht bis an den Rand der Welt. 
Mahle, Mühle, mahle! 
Es Stockt der Wind im weiten Land, 
Viel Mühlen stehn am Himmelsrand. 
Mahle, Mühle, mahle! 
Es kommt ein dunkles Abendrot, 
Viel arme Leute Schrein nach Brot. 
Mahle, Mühle, mahle! 
Es hält die Nacht den Sturm im Schoß, 
Und morgen geht die Arbeit los. 
Mahle, Mühle, mahlel 
Es fegt der Sturm die Felder rein, 
Es wird kein Mensch mehr Hunger Schrein. 
Mahle, Mühle, mahlel!l 
Mit der Unabänderlichkeit des Naturgeschehens wachsen 
die Sozialen Spannungen: der Gewittersturm zieht herauf, 
düster-drohend. Mit unwiderstehlicher Gewalt werden die 
Rhythmen vorwärtsgetrieben. Bis der Sturm der Revolution 
loSbricht und eine Zeit einleitet, in der für alle Menschen 
Brot wächst. 
Noch einmal Sollte in Dehmel die Leidenschaft des Blutes 
über das Hirn triumphieren. Der Dichter des Ernteliedes 
wandelte Sich über Nacht zum Sänger des Nationalismus! 
Als in den unseligen Augusttagen des Jahres 1914 das Ver- 
hängnis über Europa hereinbrach, als in allen Ländern die 
Wogen des Völkerhasses hochgingen, da wurde auch dieser 
Künder der Menschenliebe vom Kriegstaumel ergriffen. Aber 
nicht vom Sichern Schreibtisch aus pries er den Krieg: als 
Freiwilliger meldete Sich der Fünfzigjährige an die Front. 
Das Abenteuerliche des kriegerischen Lebens lockte ihn, und 
dann glaubte er -- wie viele andere -- einer reinen und 
gerechten Sache zu dienen. Aber wie Schnell war Sein 
Rausch verflogen, Sein Glaube an die gute Sache erschüttert! 
„Ich habe geglaubt, gegen den Krämergeist zu Felde zu 
ziehen -- nun Sehe ich, daß ich für die heimischen Krämer 
kämpfe.“ Das ist eine von ungezählten ähnlichen Aeuße- 
rungen, die er Seinem Kriegstagebuch „Zwischen Volk und 
Menschheit“ anvertraut hat. Gleichwohl glaubte er aus“ 
"harren zu müssen. Und als im November 1918 die Revolu- 
tion ausbrach, Stand Dehmel wieder auf der Seite der Barri» 
kade, auf der die rote Fahne wehte. Aber auch jetzt noch 
predigte er Kampf bis zum Endsieg, um -- die ganze Welt 
vom Joche des Kapitalismus zu befreien! 
Einem Kriegsleiden ist Richard Dehmel auch erlegen: Am 
8. Februar 1920 ist er entschlafen. Das Wort, das C. F. 
Mcever Urich von Hutten in den Mund gelegt hat, gilt auch 
für Dehmel: . 
„Ich bin kein ausgeklügelt Buch, 
Ich bin ein Mensch mit Seinem Widerspruch!“ 
Werner PCse 
FG RD DAS 5 eU UCHERB RBRE Kunmmmerzer 
 
Carl Legien. Ein Gedenkbuch von Theodor Leipart. 
187 Seiten mit 32 Abbildungen. Berlin 1929. Verlagsgesell- 
Schaft des Allgemeinon Deutschen Gewerkschaftsbundes. 
Preis gebunden 6 Mk., kartoniert 5 Mk. 
Carl Legien Starb im Dezember 1926. Es Sind also beinahe 
zehn Jahre Seit Seinem Lode vergangen, ohne daß bisher 
eine Lebensbeschreibung von ihm erschienen war. Die 
jetzt vorliegende kann wohl den Anspruch für Sich erheben, 
daß Sie das Leben Carl Legiens So aufzeichnet, wie es Sich 
vor den Augen der organisSierten Arbeiterschaft und zum 
Teil auch vor der Oeffentlichkeit abgespielt hat. Dafür bürgt 
Schon der Name des Autors, der Carl Legien So nahe ge- 
Standen hat, wie wohl kaum ein zweiter in der deutschen 
Arbeiterbewegung. Es ist denn auch Selbstverständlich bei 
diesem Buch, daß es uns den großen Gewerkschaftsführer 
von Anbeginn Seines arbeitsreichen Lebens bis zu Seinem 
Tode auch in Seinen menschlichen Schwächen zeigt. Um So 
wertvoller macht uns das Buch aber deshalb den Kämpter 
für die ArbeiterinteresSen in Seiner Größe als Mensch und 
Führer. 
„Das Sägewerk.“ Roman aus der rusSiSchen Gegenwart. 
Von Anna Karawajewa. Verlag „Der Bücherkreis . 
Wer Claißkows „Zement“ kennt, wird wisSen, daB dort 
die Frage des industriellen Wiederauibaus nach den Bürger- 
kriegen bebandelt, aiso eigentlich nur ein gesellschaftliches 
Teilproblem des neuen Rußland -- wenn avcnh 
literariSch meisterbaft -- beleuchtet wird. „Das Sägewerk“ 
von Anna Karawafjewa Zibt uns mehr. Hier wird im Spiege: 
des rusSiSchen Dorfes von beute das rusSiSche Gesamt- 
problem aufgerollt. . Das Baverntum iSt ja immer noch der 
entscheidende Soziologische Faktor. Im „Sägewerk“ wird 
mit vorbildlicher Selbstkritik die kulturelle 'Rückständi igkeit, 
die geistig-Seelische Stumpfheit und Brutalität des rusSiSchen 
Dorfes blo Bgelegt. Wir beobachten, wie eine bäuerliche Ge- 
meinde irgendwo in Zentrairußland dem Lindrivgen des 
technisch-gesellschaftlichen Fortschritts, Symbolisiert dutch 
ein Sägewerk, Sich mit allen Mitteln entgegenStemmt, und 
wie es dem Staatsapparat trotz zäher Energie nur Schritt- 
weise gelingt, die in verschiedene KlasSenschichten Te 
Spaltene Bauernschaft von der Notwendigkeit des Neven zu 
überzeugen. Mit einem bis ans äußerste gehenden RealiS- 
mus versteht es die Verfasserin, das ruSSiSche Zeniral- 
problem, den Gegengatz von Stadt und Land, in unerpiti- 
licher Schärfe dem Leger vor Augen zu führen. Man pe- 
kommt in diesem alle Nerven aufpeitschenden Roman ein 
weit zuverläsSigeres Bild russiScher Wirklichkeit, als es 
hundert parteipolitiSsch SO oder So interesSSierte Zeitun2s- 
artikel jemals zu bieten vermögen. Arthur Goldstein. 
„Fliegt mit!“ Neue Erinnerungen eines WeltreiSsenden. Von 
Georg Wegener. Mit 26 Abbildung en. Halbleinen 2,80 Mk., 
Ganzleinen 3,50 Mk. 
„Fliegt mit mir, nicht mit Hilfe einer mechanischen Flug- 
maschine, SO wundervolle neue Möglichkeiten des ReiSens 
Sie auch den jungen Generationen "eröffnet, Sondern aut 
Flügeln des Geistes, die noch viel rascher und leichter über 
die Schöne Erde dahintragen, nicht aber auf Fittichen der 
Phantasie, Sondern auf Solchen der Erinnerung. Nichts von 
dem, was ihr hier legen werdet, ist erfunden, Sondern . . . 
alles iSt wirklich erlebt und gefühlt.“ So Schreibt der Autor 
im Vorwort, und man kann Schon Sagen, Sein Schatz an 
Erinnerungen iSt Schier unerschöpflich. Sie reichen von 
Haiderabad bis zum Mont Pele, von der Adventbai nachn 
dem Tung-ting-See. Eine Fülle von freudigsten, traurigsten, 
abenteuerlichen ErlebnisSen, Gefühlen und Gesgichten. wird 
über den Leser ausgegossen. Zwanglos aneinandergefügt, 
prägen Sich die Reisebilder der wechselnden Zonen mit 
eigenem Farbenreichtum in Seine Phantasie und vermehren 
Sein lebendiges Wissen. Das Universum wird ihm ver- 
trauter und verständlicher, ja in vielem gewinnt er vielleicht 
ein ganz neues Verhältnis zu dieser runden Erde. 
Kannibalennächte. Von E. H. Raabe. Verlag F. A. Brock- 
haus, Leipzig. 296 S. Preis 4,50 Nik. 
' In einer üblen Spelunke in Sydney haut ein I13jähriger 
Hamburger Jung, Schulflüchtling, zwei Berutsfechter im 
Säbelkampf zusammen. Als Lohn Soll er 100 Mk. erhalten. 
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