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neuesten Zeit halten; und ihr Lautkörper zeigt, daſs die
Zeit keine Spuren von Zerstörung ihpen aufgedrückt hat.
Wenn nun die deutsche Sprachgeschichte in der Kurz-
lebigkeit der Fremdworte die Abneigung unseres Sprach-
bewuſstseins gegen Fremdworte und unseren angeborenen
Sinn für Sprachreinheit bezeugt, 80 liegt Ihnen wohl allen
die Frage auf den Lippen, was neben dem Stillen un-
gesStörten Sprachleben der Eingriff Sprachreinigender Mächte
für eine Berechtigung hat, mit welchen Aussichten ein-
zelne oder Sprachgesellschaften in die Entwickelung ein-
greifen Können.
Die Stellung ungerer grofsen Schriftsteller ist bekannt.
Man hat des öfteren hervorgehoben, daſs der Briefwechsel
zwiSchen Schiller und Goethe in höherem Maſse Fremd-
worte aufweist als ihre Meister werke. Unsere Dichtung Sträubt
Sich durchaus gegen das Fremdwort. Luther bedient Sich
in den Flugschriften, die den Forderungen der Tagesfragen
entsprungen Sind, mancher damals üblichen Fremdworte,
aber wie rein ist Seine Bibelübersetzung! Und wie kräftig
und urwüchsig ist Lesst2g9s Prosa in ihrer Reinheit! Und
am Schluſs des unglücklichen Jahrhunderts, das über
Deutschland die unerquickliche Flut von franzögischen
Worten ergoſs, trat Lezbnis für Sprachreinheit auf mit
jenen »unvorgreiflichen Gedanken«, die -- in Wort und
Wendung deutsch -- durch die groſsartigen Pläne wie
durch den Ernst und die Wärme der Empfindung noch
heute den Leger ergreifen.
Wenn 80 ungere edelsten Schriftsteller, wo Sie reine
und volle Wirkung erstreben, auf Sprachreinheit Bedacht
nehmen, 80 offenbaren 8ie damit das feinste ästhetische
Verständnis für unsere Sprache. Die Einheitlichkeit des
Sprachbildes, der Einklang der Sprachlichen Farben und
Töne ist es, was vor allem den Dichter leitet; er will
Seine Wirkungen nicht beeinträchtigen durch fremdartige
Wortgebilde. Und Sollte die Reinheit des Sprachbildes,
wie es ungern Dichtern vorschwebt, für die ungebundene
Rede nicht von maſsgebender Bedeutung sein? In der
Flut der Schriften, welche der Gründung des allgemeinen
deutschen Sprachvereins auf dem Fulze folgten, wurden
manche wunderliche Angichten gegen die Sprachreinigung
laut, keine von gröſserem Unverstand, als daſs vorgegeben
wurde, man habe Fremdworte für die Prosa anzuwenden,
um die gleichwertigen einheimischen Entsprechungen für
die Sprache der Dichtung zu Schonen und zurückzubehalten.
Statt den Dichtern, die ein ausgeprägtes Sprachgefühl
haben, den Dichtern, die jedermann uns als Sprachschöpfer
und Sprachbildner preist, die Sorge um ihre sprachlichen
Mittel allein zu überlassen, will der Progaist, Sagen wir
offen -- will die Tagespresse und die Tageglitteratur gol-
chen höheren Rücksichten ihre Wortwahl unterordnen ?
Solche Rücksichten hat niemand den Schriftstellern unserer
Tageglitteratur zugemutet. Aber gie Sollen aus einem
Fehler keine Tugend mabhen- und gollen nicht vorgeben,
SIe vermieden Deutsches, um es für die Dichtung auf-
zuheben. Sie dürfen zu ihrer Entschuldigung wohl gagen,
daſs die Tageglitteratur leider Biemals höhere Rücksichten
gekannt hat als eben was :der Tag 'erheischte. Wo höhere.
und weitere Wirkungen beabsichtigt werden, da entfaltet
Sich die Sprachreinheit in der Sprache der Litteratur wie
im Sprachleben gelbst. Kein Schriftsteller, der die ihm
Eiwgriff in den Sprachbau gewesen.
zu Gebote Stehenden Kunstmittel versteht, dem der Ernst
Seines Berufes durch die grofse Vergangenheit unserer
Sprache und Dichtung klar geworden, kann Sich der For-
derung der Sprachreinheit entziehen. Darüber Soilte
eigentlich keine Meinungsverschledenheit bestehen dürfen.
Aber etwas anderes iSt Sprachreinheit, etwas anderes
Sprachreinigung. Das naive Sprachgefühl, der unmittel-
bare Drang für Reinheit äuſfsert Sich anders als die be-
wuſste Absichtlichkeit der Sprachreinigung. Dem Dichter
liefert die Sprache Selbst die neuen Formeln, er findet Sie,
und der Sprachreiniger Sucht Sie. Das Recht, die Sprache
bereichern zu wollen, hat der eine wie der andere. Aber
wie hoch ist die Aussicht auf Erfolg anzuschlagen ?
Preuſsens gröſfster König fand unsere Sprache wenig
wohllautend, und er Schlug in Seinem berühmten Büchlein
de Ia Latterature alleiiande vor, den Wohlklang einzelner
Worte durch Anfügung eines a zu erhöhen. Es war
Friedrich dem Grofsen allerdings nicht recht ernst mit
diesem Vorschlag, denn er dachte nicht daran, Seinen
Worten irgend einen Nachdruck zu geben. Aber Erfolg
hätte er auch dann nicht gehabt. Es wäre ein Sehr kühner
Das Beispiel lehrt
uns, daſs keine Neuerung Aussicht auf Erfolg hat, die
unserm Sprachbau widerstrebt. Je näher eine Neubildung
mit andern vorhandenen Sprachgebilden zusammenstimmt,
um 80 leichter dringt Sie durch. Und deswegen hätten
wohl naive Wortschöpfungen ungerer Klassiker glücklichere
AussSichten auf Erfolg als die Bestrebungen der Sprach-
reinigung; denn im Suchen und Schaffenwollen irrt das
Sprachgefühl leicht; was- dem Dichter Spielend gelingt,
bringt dem Sprachreiniger nur eine Seltene Glücksstunde.
Aber Solche immerhin Seltene Glücksstunden verzeichnet,
die Geschichte der Sprachreinigung doch oft. Und ich
glaube fast, dals man heutzutage mehr Sprachreinigende
Wortschöpfungen von Erfolg auf Sprachreiniger als auf
ungere Klassiker zurückführen kann. Prof. Dunger hat in
der Schönen Einleitung zu Seinem Wörterbuch der Ver-
deutschungen das beste darüber gesagt und das meiste
Zusammengetragen, und ich weils nichts von Belang hin-
zuzufügen. Aus den Thatsachen, die er dort bespricht,
will ich nur Caumpes Thätigkeit erwähnen. Ihm danken
wir Feingefühl für Takt, Beweggrund für Motiv,
Zerrbild für Karikatur, Flugschrift für Pamphlet,
Brüderlichkeit für Fraternität und vieles andere.
Ein Zukunftswörterbuch, das einmal der Fremd wörterfrage
in ihrer Vielgestaltigkeit gerecht würde, könnte wohl den
Anteil bewulſster Sprachreinigung .an unserm Wortschatz
ins hellste Licht Setzen. Es läſst Sich nicht leugnen, daſs
manches edle. Wort durch die Sprachreinigung geschaffen
worden ist. Als die Berliner Akademie der Wisgenschaften
-- eingedenk der Thatsachen und Absgichten, die bei ihrer
Gründung mitgewirkt hatten -- 1794 eine Preisfrage über
Sprachreinigkeit ausgeschrieben hatte, erhielten Campe und
Kinderlinyg (über die Reinigkeit der deutschen Sprache
1795) Preise, und Campes Name wird ebenso mit Ehren
genannt werden wie die gelehrte Gegellschaft, die gein
Werk mit dem ersten 'Preise krönte.
Ich würde Bekanntes wiederholen müssen, wenn ich
länger bei den erfolgreichen Bestrebungen der bewuſst
arbeitenden Sprachreinigung verweilen wollte. Es ist das
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