Full text: Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht - 21.1894 (21)

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neuesten Zeit halten; und ihr Lautkörper zeigt, daſs die 
Zeit keine Spuren von Zerstörung ihpen aufgedrückt hat. 
Wenn nun die deutsche Sprachgeschichte in der Kurz- 
lebigkeit der Fremdworte die Abneigung unseres Sprach- 
bewuſstseins gegen Fremdworte und unseren angeborenen 
Sinn für Sprachreinheit bezeugt, 80 liegt Ihnen wohl allen 
die Frage auf den Lippen, was neben dem Stillen un- 
gesStörten Sprachleben der Eingriff Sprachreinigender Mächte 
für eine Berechtigung hat, mit welchen Aussichten ein- 
zelne oder Sprachgesellschaften in die Entwickelung ein- 
greifen Können. 
Die Stellung ungerer grofsen Schriftsteller ist bekannt. 
Man hat des öfteren hervorgehoben, daſs der Briefwechsel 
zwiSchen Schiller und Goethe in höherem Maſse Fremd- 
worte aufweist als ihre Meister werke. Unsere Dichtung Sträubt 
Sich durchaus gegen das Fremdwort. Luther bedient Sich 
in den Flugschriften, die den Forderungen der Tagesfragen 
entsprungen Sind, mancher damals üblichen Fremdworte, 
aber wie rein ist Seine Bibelübersetzung! Und wie kräftig 
und urwüchsig ist Lesst2g9s Prosa in ihrer Reinheit! Und 
am Schluſs des unglücklichen Jahrhunderts, das über 
Deutschland die unerquickliche Flut von franzögischen 
Worten ergoſs, trat Lezbnis für Sprachreinheit auf mit 
jenen »unvorgreiflichen Gedanken«, die -- in Wort und 
Wendung deutsch -- durch die groſsartigen Pläne wie 
durch den Ernst und die Wärme der Empfindung noch 
heute den Leger ergreifen. 
Wenn 80 ungere edelsten Schriftsteller, wo Sie reine 
und volle Wirkung erstreben, auf Sprachreinheit Bedacht 
nehmen, 80 offenbaren 8ie damit das feinste ästhetische 
Verständnis für unsere Sprache. Die Einheitlichkeit des 
Sprachbildes, der Einklang der Sprachlichen Farben und 
Töne ist es, was vor allem den Dichter leitet; er will 
Seine Wirkungen nicht beeinträchtigen durch fremdartige 
Wortgebilde. Und Sollte die Reinheit des Sprachbildes, 
wie es ungern Dichtern vorschwebt, für die ungebundene 
Rede nicht von maſsgebender Bedeutung sein? In der 
Flut der Schriften, welche der Gründung des allgemeinen 
deutschen Sprachvereins auf dem Fulze folgten, wurden 
manche wunderliche Angichten gegen die Sprachreinigung 
laut, keine von gröſserem Unverstand, als daſs vorgegeben 
wurde, man habe Fremdworte für die Prosa anzuwenden, 
um die gleichwertigen einheimischen Entsprechungen für 
die Sprache der Dichtung zu Schonen und zurückzubehalten. 
Statt den Dichtern, die ein ausgeprägtes Sprachgefühl 
haben, den Dichtern, die jedermann uns als Sprachschöpfer 
und Sprachbildner preist, die Sorge um ihre sprachlichen 
Mittel allein zu überlassen, will der Progaist, Sagen wir 
offen -- will die Tagespresse und die Tageglitteratur gol- 
chen höheren Rücksichten ihre Wortwahl unterordnen ? 
Solche Rücksichten hat niemand den Schriftstellern unserer 
Tageglitteratur zugemutet. Aber gie Sollen aus einem 
Fehler keine Tugend mabhen- und gollen nicht vorgeben, 
SIe vermieden Deutsches, um es für die Dichtung auf- 
zuheben. Sie dürfen zu ihrer Entschuldigung wohl gagen, 
daſs die Tageglitteratur leider Biemals höhere Rücksichten 
gekannt hat als eben was :der Tag 'erheischte. Wo höhere. 
und weitere Wirkungen beabsichtigt werden, da entfaltet 
Sich die Sprachreinheit in der Sprache der Litteratur wie 
im Sprachleben gelbst. Kein Schriftsteller, der die ihm 
Eiwgriff in den Sprachbau gewesen. 
 
zu Gebote Stehenden Kunstmittel versteht, dem der Ernst 
Seines Berufes durch die grofse Vergangenheit unserer 
Sprache und Dichtung klar geworden, kann Sich der For- 
derung der Sprachreinheit entziehen. Darüber Soilte 
eigentlich keine Meinungsverschledenheit bestehen dürfen. 
Aber etwas anderes iSt Sprachreinheit, etwas anderes 
Sprachreinigung. Das naive Sprachgefühl, der unmittel- 
bare Drang für Reinheit äuſfsert Sich anders als die be- 
wuſste Absichtlichkeit der Sprachreinigung. Dem Dichter 
liefert die Sprache Selbst die neuen Formeln, er findet Sie, 
und der Sprachreiniger Sucht Sie. Das Recht, die Sprache 
bereichern zu wollen, hat der eine wie der andere. Aber 
wie hoch ist die Aussicht auf Erfolg anzuschlagen ? 
Preuſsens gröſfster König fand unsere Sprache wenig 
wohllautend, und er Schlug in Seinem berühmten Büchlein 
de Ia Latterature alleiiande vor, den Wohlklang einzelner 
Worte durch Anfügung eines a zu erhöhen. Es war 
Friedrich dem Grofsen allerdings nicht recht ernst mit 
diesem Vorschlag, denn er dachte nicht daran, Seinen 
Worten irgend einen Nachdruck zu geben. Aber Erfolg 
hätte er auch dann nicht gehabt. Es wäre ein Sehr kühner 
Das Beispiel lehrt 
uns, daſs keine Neuerung Aussicht auf Erfolg hat, die 
unserm Sprachbau widerstrebt. Je näher eine Neubildung 
mit andern vorhandenen Sprachgebilden zusammenstimmt, 
um 80 leichter dringt Sie durch. Und deswegen hätten 
wohl naive Wortschöpfungen ungerer Klassiker glücklichere 
AussSichten auf Erfolg als die Bestrebungen der Sprach- 
reinigung; denn im Suchen und Schaffenwollen irrt das 
Sprachgefühl leicht; was- dem Dichter Spielend gelingt, 
bringt dem Sprachreiniger nur eine Seltene Glücksstunde. 
Aber Solche immerhin Seltene Glücksstunden verzeichnet, 
die Geschichte der Sprachreinigung doch oft. Und ich 
glaube fast, dals man heutzutage mehr Sprachreinigende 
Wortschöpfungen von Erfolg auf Sprachreiniger als auf 
ungere Klassiker zurückführen kann. Prof. Dunger hat in 
der Schönen Einleitung zu Seinem Wörterbuch der Ver- 
deutschungen das beste darüber gesagt und das meiste 
Zusammengetragen, und ich weils nichts von Belang hin- 
zuzufügen. Aus den Thatsachen, die er dort bespricht, 
will ich nur Caumpes Thätigkeit erwähnen. Ihm danken 
wir Feingefühl für Takt, Beweggrund für Motiv, 
Zerrbild für Karikatur, Flugschrift für Pamphlet, 
Brüderlichkeit für Fraternität und vieles andere. 
Ein Zukunftswörterbuch, das einmal der Fremd wörterfrage 
in ihrer Vielgestaltigkeit gerecht würde, könnte wohl den 
Anteil bewulſster Sprachreinigung .an unserm Wortschatz 
ins hellste Licht Setzen. Es läſst Sich nicht leugnen, daſs 
manches edle. Wort durch die Sprachreinigung geschaffen 
worden ist. Als die Berliner Akademie der Wisgenschaften 
-- eingedenk der Thatsachen und Absgichten, die bei ihrer 
Gründung mitgewirkt hatten -- 1794 eine Preisfrage über 
Sprachreinigkeit ausgeschrieben hatte, erhielten Campe und 
Kinderlinyg (über die Reinigkeit der deutschen Sprache 
1795) Preise, und Campes Name wird ebenso mit Ehren 
genannt werden wie die gelehrte Gegellschaft, die gein 
Werk mit dem ersten 'Preise krönte. 
Ich würde Bekanntes wiederholen müssen, wenn ich 
länger bei den erfolgreichen Bestrebungen der bewuſst 
arbeitenden Sprachreinigung verweilen wollte. Es ist das 
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