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L. Kinderballet.
Von M. Honek.
Köln 4. Oktober 1844.
Ich sah schon oft rohe Buben, die Blumenknospen abrissen und sie
in gedankenlosem Spiel zerpflückten und zertraten; warum gönnten sie
den Knospen keine ruhige Entfaltung, wie die Natur sie gewollt, warum
ließen sie die Knospen nicht zu Blumen erblühen? Muß denn der
Mensch plump und grausam in die heiligen Gesetze naturgemäßer Ent
wicklung eingreifen, muß er denn stets zerpflücken, zertreten und ent
würdigen?
Als ich noch ein kleiner Junge war, sah ich einmal auf dem Jahr
märkte in Hannover ein Kunstpserd; schön war das Thier gerade nicht,
aber sehr gelehrt; es führte mit Kopfschütteln und Kopfnicken ein langes
Gespräch mit seinem Herrn; dann wußte das Kunstpferd genau, was es
an der Zeit war, sah nach der Uhr und gab seinem Herrn die Zeit an.
Ich fragte meinen Lehrer, der mit mir war, wie der Herr des Pferdes
es nur angefangen habe, ein solches Wunder von Gelehrsamkeit an sei
nem vterfüßigen Zögling heranzubilden; der Lehrer antwortete mir
trocken: Seine Lehrmittel waren wohl Hunger und Schläge.
Da wir in der Zeit raschen Fortschrittes leben, so begnügen wir
uns nicht mehr mit Kunstpferden, nein, das Vaterland darf auf Kunst
kinder stolz seyn.
Gestern gab Madame Weiß, „Ballettmeisterin aus Wien, mit ihrem
Balletpersonale, bestehend aus sechsunddreißig Zöglingen," eine Gastdar
stellung in vier Abtheilungen im hiesigen Theater. Das Haus war stär
ker besetzt, als es zu sein pflegt, wenn ernstes Dichterwort ertönt, als
wenn jene großen Werke Mozart's, Veethoven's aufgeführt werden, die
deutscher Musik die unbestrittensten Siege gesichert haben. Das ist der
Reiz der Neuheit, mag's drum seyn! Als der Vorhang in die Höhe
ging, zeigten sich zwanzig Puppen, allerliebst frisirte Puppen, in hübschen
rosafarbnen Kleidchen. Puppen? Nein, es waren Kinder, lebendige
Kinder, es waren eben Kunstkinder. Ausrufe der Bewunderung erfüll
ten das Haus bei den kunstreichen Pas, bei den verwickelten Wendungen
der figurirten Allemande, ausgeführt von zwanzig Kindern. Das älteste
der zwanzig Kunstkinder konnte zehn oder etlf, das jüngste vier Jahre
alt seyn. Und diese kleinen Kinderköpfe behalten schon die schwierigen
Pas, daß kein Fehlsprung das Ensemble, wie die Tanzmeister es nennen,
stört; ihrem Gedächtnisse sind die verschiedenen Wendungen des Tanzes
so fest eingeprägt, daß kein Fehler die richtige, künstlich ersonnene Folge
unterbricht. Wie viele Anstrengungen, wie viele Thränen und Schmer
zen mag es die Kinder gekostet haben, bis ihre Füße und ihr Kopf die
figurirten Allemande begriffen. Dank meinem alten Lehrer, weiß ich das