Full text: Evangelisches Monatsblatt für die deutsche Schule - 3.1883 (3)

282 Glöckner, Noch einige Worte über Herbarts Philosophie rc. 
dessen Betrachtung und Verständnis sie ihr eigenes Thun 
zu befruchten haben. In den weiten Hallen dieses Tempels 
findet das Kennerau ge gar bald die Inschrift: Et heic 
Deus 6st. — Aber viel, sehr viel Arbeit und Mühe kostet das Ver 
ständnis der pädagogischen Schriften Herbarts; denn er forschte und ver 
besserte unaufhörlich und der weitgreifende Zusammenhang, in welchem 
bei Herbart die Pädagogik mit den andern philosophischeu Disciplinen 
steht, und die hervorragende Bedeutung, welche das pädagogische Inter 
esse für sein gesamtes Philosophieren hat, erschweren es, seine Lehren 
und Äußerungen über Erziehung aus dem Ganzen seiner geistigen 
Schöpfungen herauszulösen. Einerseits sind dieselben nicht in jenen 
Schriften allein, die sich als pädagogische ankündigen, zu suchen, sondern 
auch in anderen, ja so gut wie in allen Werken anzutreffen; andrerseits 
verlangen diese letzteren, abgesehen von ihrem pädagogischen Gehalte, 
auch zur Erklärung jener Lehren angezogen zu werden, was wiederum 
beinahe von allen Schriften, insbesondere denen über Psychologie und 
praktische Philosophie, gilt. Herbart selbst sagt von seinem pädagogischen 
Hauptwerk, der „Allgemeinen Pädagogik": „Der Plan und der eigent 
liche Kern mußte in vielen Punkten ein öffentliches Geheim 
nis bleiben, das nur die nachfolgenden philosophischen 
Schriften aufklären konnten." (H. Werke, sä. Hartenstein,Bd. XII, 
S. 252 f.) Es ist daher gelinde gesagt eine Überhebung, wenn jemand 
meint, „er habe zwar nicht alle pädagogischen Schriften Herbarts gelesen, 
glaube aber doch den Geist genau zu kennen, in welchem sie geschrieben 
sind." Vieles haben erst die Schüler Herbarts ins rechte Licht gesetzt. 
So kommt insbesondere bei Ziller die Fülle der inhaltsvollen Beziehungen, 
wie sie das Erziehungswerk zwischen Mensch und Mensch und Mensch 
und Gott knüpft und die Ziller bis in ihre feinsten Verzweigungen zu 
verfolgen weiß, nachdrücklichst zur Geltung. Die Jünger schwören natür 
lich nicht auf die Worte des Meisters. Gar mancher Schnitt ist anders 
gemacht worden und wird noch anders gemacht werden, die Operation 
jedoch muß dieselbe bleiben. Es findet auch hier, wie auf alle bedeutenden 
Schöpfungen, die Mahnung Göthes Anwendung: „Die Nachkommen 
schaft möge nicht mit eklem Zahn an den Werken ihrer 
Meister und Lehrer herumkosten und nicht Forderungen auf 
stellen, die ihr gar nicht eingefallen wären, hätten jene nicht 
so viel geleistet, von denen man nun mehr fordert."
	        
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