Full text: Evangelisches Monatsblatt für die deutsche Schule - 3.1883 (3)

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Trenkel: Was können wir für die Hebung 
lauterer, freier, kräftiger geworden? Ein Thun ist ja doch nur dann 
von Wert, wenn es frei gewollte Lebensbewegung, wenn sein innerster 
Kern der sittliche Wille ist. „Wille ist des Werkes Seele," sagt das 
Sprichwort. Auf den Willen Einfluß zu gewinnen, ist daher 
die wichtigste Aufgabe unseres pädagogischen Denkens und 
Strebens. Darauf weisen auch noch allgemeinere Erwägungen. „Eins 
ist's, worüber du dich einmal so wenig wie möglich wundern und wovor 
du dich soviel wie möglich hüten mußt: das Windfahnentum," sagte mir 
einst ein Dorfschullehrer, der über die Erscheinungen des Lebens gern 
philosophierte. Ein Blick in das Leben lehrt in der That, wie oft bloß 
der Zufall, der augenblickliche Vorteil, die Neigung, Menschenfurcht und 
Menschengefälligkeit es ist, was die Leute vorwärts schiebt oder vielmehr 
hin und her zerrt, nicht ein fest ins Auge gefaßtes sittliches Ziel, dem 
sie unentwegt zustreben. Klein ist die Zahl derer, die, was sie wollen, 
mit Ernst und Beharrlichkeit wollen, und noch seltener ist ein freudiges 
Wollen. Und doch vollendet sich der Mensch erst im sittlichen Wollen 
zu dem, was er sein soll. Im Vorstellungsleben nimmt die Seele die 
sie umgebende Außenwelt auf und verarbeitet die empfangenen Eindrücke; 
im Gefühlsleben ist sie dem Auf- und Abwogen der eigenen Zustände 
dahingegeben; erst im Willensleben bekommt der Mensch sich selbst in die 
Gewalt, greift mit bewußter Kraft in die Außenwelt ein und hält der 
selben den alten Adelsbrief über die ihm ursprünglich gegebene Herrscher 
macht entgegen. Es leidet keinen Zweifel: die Hebung der Willenskräfte 
ist das höchste Ziel, die lohnendste Arbeit, aber auch die schwerste Aufgabe. 
Wenn ich nun den Versuch mache, die Aufmerksamkeit der werten 
Herren Kollegen auf diese Seite unserer erziehlichen Thätigkeit zu lenken, 
so bin ich mir wohl bewußt, daß das kein geringes Unterfangen ist. Wer 
sich in der pädagogischen Litteratur umgesehen hat, der wird viel Schönes 
über Wesen, Bedeutung, Erscheinungsformen und Entwickelungsstadien des 
Willens finden, aber selten in die Erziehungsarbeit hinein- 
und auf die rechten Angriffspunkte hinweisende Finger 
zeige. Ich, den immer nach einem kräftigen Zuge aus dem frischen 
Borne des von einer gesunden Theorie durchsäuerten Schullebens dürstet, 
ich habe mich nur mit einzelnen Tropfen begnügen müssen und habe 
darum die betreffenden Kapitel immer mit einiger Enttäuschung aus der 
Hand gelegt. Dazu kommt ein Zweites. Unser Thema weist mich 
auf ein verhältnismäßig sehr enges Gebiet der sittlichen 
Entwickelung. Der freie sittliche Wille in seinem höchsten Sinne, die
	        
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