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Trenkel: Was können wir für die Hebung
lauterer, freier, kräftiger geworden? Ein Thun ist ja doch nur dann
von Wert, wenn es frei gewollte Lebensbewegung, wenn sein innerster
Kern der sittliche Wille ist. „Wille ist des Werkes Seele," sagt das
Sprichwort. Auf den Willen Einfluß zu gewinnen, ist daher
die wichtigste Aufgabe unseres pädagogischen Denkens und
Strebens. Darauf weisen auch noch allgemeinere Erwägungen. „Eins
ist's, worüber du dich einmal so wenig wie möglich wundern und wovor
du dich soviel wie möglich hüten mußt: das Windfahnentum," sagte mir
einst ein Dorfschullehrer, der über die Erscheinungen des Lebens gern
philosophierte. Ein Blick in das Leben lehrt in der That, wie oft bloß
der Zufall, der augenblickliche Vorteil, die Neigung, Menschenfurcht und
Menschengefälligkeit es ist, was die Leute vorwärts schiebt oder vielmehr
hin und her zerrt, nicht ein fest ins Auge gefaßtes sittliches Ziel, dem
sie unentwegt zustreben. Klein ist die Zahl derer, die, was sie wollen,
mit Ernst und Beharrlichkeit wollen, und noch seltener ist ein freudiges
Wollen. Und doch vollendet sich der Mensch erst im sittlichen Wollen
zu dem, was er sein soll. Im Vorstellungsleben nimmt die Seele die
sie umgebende Außenwelt auf und verarbeitet die empfangenen Eindrücke;
im Gefühlsleben ist sie dem Auf- und Abwogen der eigenen Zustände
dahingegeben; erst im Willensleben bekommt der Mensch sich selbst in die
Gewalt, greift mit bewußter Kraft in die Außenwelt ein und hält der
selben den alten Adelsbrief über die ihm ursprünglich gegebene Herrscher
macht entgegen. Es leidet keinen Zweifel: die Hebung der Willenskräfte
ist das höchste Ziel, die lohnendste Arbeit, aber auch die schwerste Aufgabe.
Wenn ich nun den Versuch mache, die Aufmerksamkeit der werten
Herren Kollegen auf diese Seite unserer erziehlichen Thätigkeit zu lenken,
so bin ich mir wohl bewußt, daß das kein geringes Unterfangen ist. Wer
sich in der pädagogischen Litteratur umgesehen hat, der wird viel Schönes
über Wesen, Bedeutung, Erscheinungsformen und Entwickelungsstadien des
Willens finden, aber selten in die Erziehungsarbeit hinein-
und auf die rechten Angriffspunkte hinweisende Finger
zeige. Ich, den immer nach einem kräftigen Zuge aus dem frischen
Borne des von einer gesunden Theorie durchsäuerten Schullebens dürstet,
ich habe mich nur mit einzelnen Tropfen begnügen müssen und habe
darum die betreffenden Kapitel immer mit einiger Enttäuschung aus der
Hand gelegt. Dazu kommt ein Zweites. Unser Thema weist mich
auf ein verhältnismäßig sehr enges Gebiet der sittlichen
Entwickelung. Der freie sittliche Wille in seinem höchsten Sinne, die