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Dr. Rindfleisch:
pflanzt sich als Erbsünde fort von Geschlecht zu Geschlecht. So wie
der Mensch von Natur geboren wird, ist sein Verstand nicht erleuchtet,
sondern verfinstert, namentlich in göttlichen Dingen, und entfremdet von
dem Leben aus Gott, voll Irrtum und Unwissenheit; das Herz ist nicht
voll Liebe zu Gott und dem Nächsten, sondern selbstsüchtig, kalt, gleich
gültig; der Wille ist nicht mit dem göttlichen Willen übereinstimmend,
sondern widersetzt sich dem Willen Gottes und Seinen Geboten, hat eine
angeborene Neigung zum Bösen, so daß der Mensch seinen eigenen Willen
durchsetzen will. Jede Erziehung muß daher von diesem faktischen
Zustande, in dem sich der Mensch von Natur befindet, ausgehen; wer
die Erbsünde, diese angeborene Neigung zum Bösen, bei dem Kinde
leugnet, kann nur ein blinder Blindenleiter sein.
Um dieser Erbsünde willen ist ja auch die Taufe notwendig, da
der HErr sagt: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem
Wasser und Geist, kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Durch
die Neugeburt des Geistes in der Taufe soll das Bild Gottes im Kinde
wieder hergestellt werden. Wenn aber auch der neue Mensch in der
Taufe geboren ist, so ist er damit noch nicht fertig; er bedarf der Pflege,
des Wachstums, der Erstarkung und Ausgestaltung, und die Aufgabe der
christlichen Erziehung ist es, diese Entwickelung des neuen
Menschen zu pflegen und zu leiten. Jede christliche Erziehung
muß deshalb an die Taufgnade anknüpfen und sich nach den Vorschriften
richten, die das Wort Gottes für die Erziehung des Menschengeschlech
tes giebt.
Das Wort Gottes ist das Hauptmittel der Erziehung, sowohl
für das Menschengeschlecht im großen und ganzen, als auch besonders
für die Jugend. „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre,
zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein
Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt." (2. Tim.
3, 16.) Wie das Wort Gottes Regel und Richtschnur des Glau
bens und Lebens für alle Menschen ist, so hat sich auch besonders die
Jugend danach zu richten und soll von Eltern und Lehrern in der Zucht
und Vermahnung zum HErrn erzogen werden. Es ist daher auch sehr
ratsam, daß Erzieher ihre Ermahnungen an die Jugend mit Schrift
worten begründen; dieselben erhalten dadurch eine göttliche Autorität,
der sich das Kind unterwerfen muß, und werden so dem Kinde nicht als
bloß willkürliche Gedanken des Erziehers erscheinen.
Um das Bild Gottes in dem Kinde herzustellen, muß man dem-