Full text: Evangelisches Monatsblatt für die deutsche Schule - 4.1884 (4)

H. Trenkel: Klein und rein. 
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Klein und rein. 
Ein Vortrag des Seminar-Oberlehrers H. Trenkel in Köthen. 
„Klein, das will sagen: einfach, bescheiden, demütig; rein, das will 
sagen: frei von Unrecht und ohne Schulden." So legt Wilhelm Oertel 
das Sprichwort „klein und rein" aus und nimmt dann Gelegenheit, vor 
dem Hochmut und vor dem Borgen zu warnen, woran so viele zugrunde 
gehen, und vor dem Großmogultum, in das sich auch ein recht unsauberer 
Patron hüllen kann. 
Seiner elliptischen Form wegen muß sich das Wort jedoch gefallen 
lassen, wenn ihm andere einen andern Sinn unterlegen. Die Ellipse 
gehört zu der Figurengruppe der Verschweigungen, und wo etwas halb 
angedeutet und halb verschwiegen wird, da hat jeder das Recht, sich 
seine eigenen Gedanken zu machen. Ich z. B. suche den Sinn garnicht 
so weit und übersetze das Wort einfach durch „eng und sauber." Ich 
meine, es zeichnet jene anmutende Erscheinung in der beschränkten Häus 
lichkeit des einfachen Bürgertums, das sich sein bescheidenes Heim nett 
und angenehm zu machen weiß, — jenen Sinn, nach welchem kleine 
Leute in dem ihnen angewiesenen Kreise ihr Genüge finden, weil der 
selbe ihnen lieb und traut geworden ist, — jene Herzensstellung, nach 
welcher sie ohne begehrliche Blicke auf größere Verhältnisse still und 
zufrieden ihre Wege gehen und nichts anderes sein wollen und sein 
mögen, als sie sein können und sein dürfen. 
Gesetzt nun, meine Auslegung wäre die richtige, was trägt sie uns 
ein? Altes gutes Gold — und das sind unsere Volkssprüche — läßt 
sich überall verwerten; das trifft auch bei unserem Worte zu. Man 
braucht nur die Subjektsellipse in der Weise zu ergänzen, daß man Schule, 
Schulleben, Schulaufgabe und Schularbeit, Lehrersein und Lehrerstreben 
einsetzt, und der Spruch ist ein pädagogisches Thema. „Nur eins von 
zu geringem Belang, als daß es unser Interesse fesseln könnte," wendet 
man vielleicht ein. Aber giebt es im Bereich des Lehrerlebens etwas 
Kleines, das nicht Beachtung verdiente? „Gewiß, aber kein Thema für 
unsere Zeit," meint möglicherweise ein anderer. Ich erwidere: „Wahrheit 
bleibt Wahrheit, mag sie auch einmal durch die Verhältnisse und die 
Strömung der Tagesmeinung in den Hintergrund geschoben werden." 
Es fragt sich nur, ob das Thema wirklich Wahrheit enthält und somit 
berechtigt ist. 
„Rein," das sagen wir alle als gute Didaktiker, ist das erste Er 
fordernis bei unserm Thun und Sein. Aber „klein"? Ich denke, auch
	        
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