Nothstände und Uebelstände im ostpreußischen Schulwesen. 103
wissen zu vereinigen ist, auf die Seite des Lehrers stellt, und auch den Schein sorgsam
meidet, als ob man sein Ohr den Denunzianten zu leihen irgend gewillt sei. Das
widerwürtge Denunziantenwesen würde in vielen Schulbezirken nicht so große Dimensionen
annehmen, wenn es bei den Vorgesetzten der Lehrer nicht willige Ohren fände. Es
dürfte nicht schwer sein, eine ganze Reihe von Lehrern aufzuführen, die unter der Last
unermüdlich über sie gebrachter Anklagen, in deren jeder ein Paar Körnlein Wahrheit
und ganze Hände voll Unwahrheit enthalten waren, heruntergekommen und zu Grunde
gegangen sind. Einem Schulinspector, welcher enssprechenden Orts darüber Klage führte,
daß an einem Schulorte einer der Schulvorsteher sich ein Geschäft daraus mache, auf
das ganze Thun des ihm gegenüber wohnenden Lehrers gmau zu passen, und alle schein
baren oder wirklichen Unregelmäßigkeiten zur Anzeige zu bringen, wurde die Antwort:
„Das ist ja prächtig!" — Nein, wir können das nicht prächtig nennen, sondern das
ist niederträchtig, und wenn wir keine andern Mittel haben, die Lehrer zur gewissenhaften
Wahrnehmung ihrer Pflichten anzuhalten, so beschmutzen wir uns doch mit diesem Mittel
nicht die Hände. — Ein einziges solches: „Das ist ja prächtig!" muß den Unmuth
Md die Verbitterung in alle Lehrerherzen tragen, die davon hören.
Es mangelt an Lehrern. Viele Lehrerstellen, namentlich bei den zweiten Schul
klassen, müssen nothdürftig durch Präparanden oder durch den Lehrer der ersten Klasse
besorgt werden. Um die jungen Leute zu bewegen, in den Lehrerstand einzutreten, hat
die Schulbehörde in anerkennenswerther Weise die Lehrergehülter aufgebessert und nach
Kräften dazu beigetragen, daß auf dem Wege der Vereinsthätigkeit der vielbesprochenen
Noth der Lehrer abgeholfen werde. Und ihr ist abgeholfen worden. Die verhungerten
Schulmeister, wenn sie überhaupt jemals existirt haben, gehören in die Witzblätter. —
Schulinspectoren und Lehrer wurden aufgefordert, Präparanden zu werben. Es geschah
und dazu mit gutem Erfolg, es haben sich so viele junge Leute zur Aufnahme ins
Seminar gemeldet, daß man eine Auswahl hat treffen können. Da erscheint unter dem
15 October 1869 Nr. 477/9 II eine Verfügung der Königlichen Regierung in Kö
nigsberg, die später auch im Volksschulfreunde abgedruckt ist, in welcher zuerst mit Ge
nugthuung der Thatsache Erwähnung gethan wird, daß sich die Zahl der Präparanden
gemehrt habe, daß auch die Leistungen derselben besser geworden seien. Dann wird
darüber Klage geführt, daß die Mehrzahl der Präparandenbildner sich der Präparanden
nicht sorgfältig genug annimmt, ja daß es nicht an Fällen gefehlt habe, wo die Prä
paranden fast gar keinen Unterricht erhalten hätten, sondern in Schule und Wirthschaft
helfend verwandt worden sind. Dann fährt die Verfügung fort: „Es ist daher nöthig,
daß zur Verhütung solchen Mißbrauches die schärfste Controlle geübt wird. Jeder
Lehrer, welcher einen oder mehrere Präparanden angenommen hat, muß einen Lehr-
und BeschäftigMgsplan entwerfen, welcher genaue Auskunft über die Zahl der täg
lichen Unterrichtsstunden und über die sonstige Beschäftigung der Zöglinge giebt. Der
selbe bedarf der Bestätigung des Kreisschulinspectors und ist diesem bei jeder Prüfung
der Zöglinge vorzulegen. Wo sich Mangel an sicheren Fortschritten, an geistiger Durch
bildung, an Kenntnissen und sprachlicher Uebung zeigt, da wird genau fest zu stellen
sein, ob der Präparandenbildner seine Schuldigkeit thut oder nicht." — Diese Verfü
gung hat allgemeine Verstimmung unter den Schulinspectoren wie unter den Lehrern,
die sich mit der Bildung der Präparanden Mühe gegeben haben, hervorgerufen, und es
dürften Viele von ihnen sich fortan dieser Arbeit nicht mehr unterziehen. Der Präpa-
randenunterricht ist nämlich ein freiwilliger und wird eigentlich auch nicht honorirt.
Denn die zehn Thaler, die jedem Lehrer, der einen Präparanden ins Seminar liefert,
ausgezahlt werden, können doch nicht als ein Aequivalent für mehrjährigen Unterricht
angesehn werden, zumal wenn der Lehrer in der oben angegebenen Weise gebunden und
darüber strenge kontrollirt werden soll, ob er auch in der vorgeschriebenen Art seinen
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