Nothstände im ostpreußischen Schulwesen.
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Leute sollten zu den Seminarien bester vorgebildet kommen; und jetzt, da die Behörde
diesem Verlangen hier Ausdruck giebt, wird sie dafür von einem Schulinspektor getadelt.
Offenbar mit Unrecht. Wer sich steiwillig dem Geschäfte der Präparanden - Bildung
unterzieht, möge sich freuen, daß die Behörde ihm die Erfassung der Gesichtspunkte er
leichtert, auf welche es ankommt; auch damit nicht unzufrieden sein, daß seine selbster
wählte Thätigkeit, weil sie für dm künftigen öffentlichen Beruf schon vorbilden soll, auch
der Beaufsichtigung unterworfen wird; ja möge destm gedenkm, daß es eigentlich nur
sehr wenige Lehrer gegeben hat, welche ihren Seminar-Aspiranten eigentlichen Unterricht
ertheilt haben. Meistens habm die Präparanden die Helfer in den überfüllten Klassen
sein, dann und wann einm schriftlichen Aufsatz machen, im Uebrigen sich selbst unter
richten müstm. Ich kann nur sagm, daß ich bei den Präparandm, die ich für die
Aufnahme ins Seminar vorgeprüst, meistens nicht enffprechende Leistungen gefunden habe,
selbst dann nicht, wenn der Lehrer in seiner Schule tüchtig war. Dieser hatte eben b e-
sonderen Unterricht nicht erthellt.
Habe ich bei dem bisher besprochenen Inhalte schon mein Bedauern über die bit
teren Erfahrungm aussprechen müssen, welche offenbar auf die ganze Anschauung des
Verfassers einen trüben Schatten und in die Darstellung eine fast gallige Schärfe ge
worfen haben; so muß ich dies in noch erhöhetem Maaße über den Schluß seiner gan
zen Abhandlung thun. Er sagt, er sei für die Lehrer, „diese Benoni's unseres Volkes"
und für die Schule eingetreten mit der redlichm Absicht, der guten Sache einen Dienst
zu leisten. Nun, daß die Lehrer die Schmerzenssöhne unseres Volkes seien, kann ich nicht
zugeben.*) Vielleicht werden sie jetzt anfangen, sich als solche zu fühlm, nachdem sie es
gehört haben. Daß die redliche Absicht erreicht werdm wird, muß ich bezweifeln.
Denn es kann nur Mißstimmung hervorgerufm oder verstärkt werden, während es doch
Pflicht ist, die Liebe in Christo nicht bloß zu predigen, sondern auch durch That der
Versöhnung zu bethätigen.
Der Verfasser will aber noch im Jntereste der Schulinspektoren, die auch Diener
der Kirche sind, sprechen und sagt: „Die Liebe zwischen der Schulbehörde und uns
(Schulinspektoren) ist allerdings nicht sehr heiß, ist namentlich in den letzten Jahren
etwas kühl geworden." Bezieht der Verfaster diesen Ausspruch auf sich allein, so muß
er ihn verantworten; bezieht er ihn aber auf alle Schulinspektoren, so weiseich ihn nicht
blos für meine Person, sondern auch für viele mir bekannte Amtsgenossm zurück und
ftage: Wer hat ihn zum Anwälte der Hunderte von Geistlichen gemacht, welche auch
Schulinspektoren sind? — Wenn er erwähnt, man mache den Schulinspektoren den Vor
wurf, sie hätten kein Herz für die Schule und gingen darum auf die Intentionen der
Behörde nicht ein, sie stellten ihr ihre Kräfte zur Hebung des Vollsschulwesens und der
Bildung nicht mit Eifer zur Disposition: so mögen die hoffentlich wmigen Geistlichen,
die es trifft, sich den Vorwurf als eine Mahnung an ihre Pflicht annehmen. Denn
wer soll denn der Schulbehörde helfen, die wohlgemeinten Jntmtionen zu erreichen, als
die Geistlichen, welche Schulinspektoren sind? Wir sind doch wahrlich zuerst: dazu ver
bunden, die wir unseren Kirchengemeinden die Pflicht des willigen Gehorsams in der
Liebe Christi ohne lAgenliebe vorzuhalten haben. Es wird ein Widerstreben auch da
durch nicht gerechtfertigt, daß, wie der Verfaster sagt, die Widerstrebenden ein Herz für
die Schule und auch für das Landvoll, in besten Mitte sie wohnten und dessen Leiden
und Freuden sie theiltm, haben. Es läßt sich das Eingehen in die Intentionen der
Behörde und die Theilnahme für das Landvolk recht wohl mit einander verbinden. Ver
mag man jedoch, was gefordert wird, nicht mit seinem Gewissen zu vereinigen, so weiß
ich nur Einen Ausweg: Man lege das Amt nieder, destm Pflichten man nicht erfüllm
*) Es giebt z. B. keine Beamtenklasse, der in Bezug auf Aufbesserung ihres Einkommens
soviel Fürsorge gewidmet worden ist, als dem Lehrerstande in neuerer und neuester Zeit.