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i. Abtheilung. Abhandlungen.
Die Vermuthung, daß auf dem sprachlichen Gebiet irgendwo etwas nicht im
Reinen fein muffe, drängt sich schon dem flüchtigen Blicke durch mancherlei
Thatsachen auf.
Dahin gehört erstlich die lange Reihe wunderlicher Wandlungen, welche
der Sprachunterricht durchgemacht hat; — die des Leseunterrichts nicht zu ver
gessen. Dahin gehört ferner die unruhige Geschäftigkeit, welche aus dem
Felde der sprach-methodischen Schriftstellerei auch heute noch herrscht. Ueber kein Lehr
fach der Volksschule ist mehr geredet und geschrieben worden als über den deutschen
Sprachunterricht, und doch bringt der Buchhandel von Monat zu Monat immer
wieder neue Leitfäden, Uebungsbücher u. s. w. Hier haben wir offenbar eine
litterarische Ueberproduktion, — wenn auch vielleicht nicht in dem (wirthschaft-
lichen) Sinne, daß das Angebot die Nachfrage übersteigt, so doch gewiß in dem
Sinne, wie die Staatsmänner von einer Ueberproduktion in der Gesetzfabrika
tion zu sagen pflegen, daß sie kein gesundes Zeichen sei. Was auch immer bei
dieser litterarischen Vielgeschäftigkeit mitwirken mag, — jedenfalls steckt auch
das Gefühl dahinter, die didaktische Theorie sei im Sprachunterricht noch un
sicher, und darum dürfe man der Kritik gegenüber schon Etwas wagen. — Die
selbe Unsicherheit offenbart sich auch in den Conserenz-Verhandlungen.
Wenn dort auf den Sprachunterricht die Rede kommt, so läßt sich nicht selten
das vielstimmige Bekenntniß hören, bei den bisherigen Ergebnissen der sprach-
unterrichtlichen Arbeit könne man nicht ruhig sein, — und Diejenigen, welche
sich am angelegentlichsten um dieses Lehrfach bekümmert haben, sind nicht die
letzten, welche so reden. Da gibt es — sagen sie — Schulen, wo der Sprach
unterricht ausnehmend planmäßig und eifrig betrieben wird: alle Stufen besitzen
ihre sprachlichen Uebungsbücher, und diese werden mit Fleiß und Sorgfalt
durchgemacht. Sie zeigen allerdings ein erfreuliches Resultat, nämlich in der
Sprachrichtigkeit — genauer in der Schreibrichtigkeit. Allein das ist eben
ein einseitiges Resultat; denn wenn man die Sprachfertigkeit und das Sprach-
verständniß Prüft, so findet sich kein Vorsprung vor andern guten Schulen,
wo auf aparte Sprachrichtigkeits - Uebungen weniger Gewicht gelegt wird. Im
Gegentheil, man trifft in den letzteren durchweg mehr Sprachgewandtheit au,
wobei dann ein größeres Sprachverständniß schon ohne Weiteres vorausgesetzt
werden kann. In solchen Schulen, wo bloß Brouillonarbeit getrieben wird,
fehlt es natürlich auf allen Seiten, — von ihnen ist überhaupt nicht zu reden.
— Wohin sollen wir uns nun wenden? Ist die Sprachrichtigkeit und insonder
heit die Schreibrichtigkeit — wonach jene erstgenannten Schulen vornehmlich
trachten — so wichtig, daß man sie auf Kosten der Sprachgewandtheit und des
Sprachverständnisses erkaufen darf? Und sollten sich die letzteren Ziele nicht er
reichen lassen, ohne daß die Sprachrichtigkeit zu kurz zu kommen braucht? —
So die Stimmen aus der praktischen Erfahrung.
Was ist das? — So viele Wandelungen und doch noch keine Stetigkeit;
so viele Rathschläge und doch so große Unsicherheit; so viele Lehrstunden von
unten auf und doch kein allseitig beruhigendes Ergebniß, — und das in einem
Lehrfache, welches unter allen das älteste ist. Kann man sich da der Vermuthung
erwehren, daß der Sprachunterricht irgendwo an verborgenen Haken festhange?*)
*) Zu diesem kritischen Ergebniß kommt auch die treffliche Schrift: „Die Sprachun
terrichtsnotb in unsern deutschen Volksschulen, nebst einigen Mitteln zu deren Abhülfe,