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EvailgcliM Schulblatt.
Anfang März 1878.
I. Abtheilung. Abhandlungen.
Das Wesen der Gefühle, ihre Beziehung zum leiblichen
Organismus und zu den übrigen Geistesthätigkeiten.
Zweiter psychologischer Vortrag.
(Bon Seminarlehrer Victor Günther in Löbau, K. Sachsen.)
Wandern wir in der jetzigen Jahreszeit hinaus in die Natur, so wird die
selbe mit ihren kahlen Feldern, ihrem sich färbenden Blätterschmuck der Laub
bäume, den die rauher wehenden Herbststürme schon beträchtlich zu lichten be
ginnen, mit allem überhaupt, was sie sonst noch uns darbietet einen völlig andren
Eindruck auf uns machen, als der Frühling etwa mit seinen schwellenden Knospen,
mit seinen sich entfaltenden Blüthen, mit seinem Concert der wieder zurückge
kehrten Singvögel. — Fragen wir uns nun, worin denn dieser Eindruck be
stehe, was sein Wesen sei, so scheint die Antwort leicht damit gegeben zu
seil., daß wir auf die ganz verschiedenen Vorstellungen hinweisen, welche der
Frühling einerseits, der Herbst andererseits in uns hervorbringen. So unläugbar
richtig aber auch diese Antwort zu einem Theil ist, so genügt sie dennoch nicht,
um uns das Wesen jener Eindrücke und die Verschiedenartigkeit derselben völlig
zu erklären. Sehen wir nur genauer zu. Ist es denn wirklich bloß das Auf
treten verschiedener Vorstellungen und Vorstellungsreihen und - Gruppen, welche
jene Eindrücke hervorrufen, die wir beim Anblick der Frühlings- oder der Herbst
landschaft empfangen? Offenbar nicht. Zwar haben wir in unseren bisherigen
Betrachtungen, in denen wir uns das Wesen der Vorstellungen klar zu machen
suchten, stillschweigend angenommen, diese Vorstellungen träten in unsere Seele
wie die Schauspieler auf die Bühne; auf diesem Schauplatz kämpften sie mit
einander oder verbänden sie sich, von ihm wichen sie zurück, um bei gewissen
Anlässen auf demselben wieder zu erscheinen. So nothwendig nun diese vor
läufige Annahme für die Erkenntniß des Vorstellungslebens war, so sehr werden
wir uns jetzt gezwungen sehen, dieselbe wieder auszugeben: denn in der That ist
unsere Seele gar nicht ein solcher indifferenter Schauplatz, auf dem das Leben
der Vorstellungen sich abspielen könnte; vielmehr nimmt sie den innigsten Antheil
an diesem ganzen so bunten und wechselvollen Spiel der Vorstellungen, fühlt
sich bald zurückgestoßen von diesen, bald angezogen von jenen. Und so tritt denn
von jetzt ab ein neues Moment in den Kreis unserer Betrachtungen, dem wir
jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen: es sind eben jene manchfaltigeu
Einwirkungen, welche die Vorstellungen auf unsere Seele ausüben, indem sie in