Full text: Evangelisches Schulblatt - 51.1907 (51)

Welche Aufgaben stellt unsere Zeit der evangelischen Lehrerschaft? 233 
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Blick in unsere Zeit hineinschauen und fragen: Welche Aufgaben sind es, die 
unsere Zeit an die evangelischen Lehrer besonders stellt? 
Unser Verein nennt sich „Verein evangelischer Lehrer". Damit 
unterscheidet er sich prinzipiell von einem Verein, der nur Lehrerverein im allge 
meinen sein will. Was dieser will, das will auch er; aber er erstrebt Höheres. 
Wie jeder rechte Lehrerverein will er seine Mitglieder in ihrer Berufstüchtigkeit 
fördern, Hindernisse aus dem Wege räumen, welche einer erfolgreichen Tätigkeit 
im Wege stehen. Wir wollen fleißige Lehrer sein, die ihren Kindern ein reiches 
und möglichst sicheres Wissen vermitteln möchten; aber vor allem wollen 
wir doch erziehen, nicht lediglich den Kopf mit allerlei Kenntnissen füllen, 
sondern auf Gewissen und Willen zu wirken suchen, damit in unseren Schülern 
der Grund gelegt werde zu Persönlichkeeiten. Und als Ideal steht uns dabei 
die eine Persönlichkeit vor der Seele, die im wahren Sinne des Wortes eine 
Persönlichkeit war, unser Heiland Jesus Christus. Darum nennen wir uns 
„Verein evangelischer Lehrer," weil uns das Evangelium von diesem 
Jesus die Grundlage, das Zentrum unseres Gesinnungsunterrichtes sein soll, weil 
wir unsere Kinder dem zuführen wollen, der selber gemahnt hat: Lasset die Kind 
lein zu mir kommen und wehret ihnen nicht. 
Mag man in unseren Tagen, wo so große Fortschritte auf allen Ge 
bieten menschlichen Wissens und Könnens gemacht werden, sich vielfach stolz ab 
wenden von diesem Erziehungsziel, es ist und bleibt für einen evangelischen 
Lehrer und Erzieher auch in der modernen Zeit das einzig wahre und dem tief 
sten Bedürfen des Menschenherzens entsprechende. Mögen die Wortführer des 
Radikalismus noch so verächtlich auf das Christentum und seine Kultur herab 
sehen, was wir erreicht haben, verdanken wir im letzten Grunde doch alles dem 
verachteten Nazarener, dem Kinde in Bethlehems Stall. Wenn man einen 
Büchner, Feuerbach, Strauß, Häckel, einen Marx, Engels, Liebknecht, Bebel u. a. 
in den Büchern der Geschichte als abgetane Größen behandeln wird, dann wird 
dieser Jesus noch ebenso von Tausenden und aber Tausenden als ihr Heiland 
und Helfer verehrt werden wie in vergangenen Zeiten und wie auch in unseren 
Tagen. 
Betrachten wir unsere Aufgabe als Erzieher im Lichte des Evangeliums, 
dann stehen uns die Kinder so hoch, daß wir mit heiligem Ernst und innerster 
Herzensteilnahme an unsere Arbeit an ihnen herantreten. Wir werden bewahrt 
vor der verderblichen Meinung, als seien sie uns auf Gnade und Ungnade aus 
geliefert und wir könnten mit ihnen machen, was wir wollten. Wir suchen 
ihnen vielmehr treue Führer und Berater zu werden, wir beachten mit aller 
Sorgfalt die ihnen eigentümlichen Gaben und Kräfte und haben Geduld auch 
mit den geistig Armen unter ihnen, eingedenk der Mahnung Jesu: Wer dieser 
Geringsten einen ärgert, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals 
gehängt würde und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist 
(Matth. 18, 6). 
Damit ist zugleich uns die ernste Gewissensfrage gegeben: Wie stehst du 
selber persönlich zu deinem Gott und Heiland? Ist er dir auch nur erst der 
Weise von Nazareth, das hehre Vorbild in allen Tugenden, oder siehst du in 
ihm deinen Heiland und Erlöser, der auch dir helfen muß von dem Sünden 
druck oder noch besser, der dir geholfen hat zu der herrlichen Freiheit der Kinder
	        
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