Rundschau.
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Volksschullehrer voraus, noch hinkt er ihm nach: er wandelt auf
andern Wegen vollständig verschiedenen, teilweise entgegengesetzten
Zielen zu. Seine Tätigkeit zum Wohle der Nation hebt sich von
der des Volksschullehrers nicht nur dem Grade nach ab, sondern
scheidet sich ihrem tiefsten Wesen und Grunde nach aufs schärfste
von ihm"
In dieser Fassung soll offenbar eine Schonung des Volksschullehrers liegen; das
einfache Verhältnis der Über- und Unterordnung sollte vermieden werden; es handelt
sich nach der Meinung des Vers, um zwei ihrer Art nach ganz verschiedene, ja ent
gegengesetzte Tätigkeiten. Aber in Wirklichkeit ist die Zurücksetzung, ja Erniedrigung
der Volksschullehrer und ihrer Arbeit noch eine ärgere geworden. Das werden wir
ja noch deutlicher sehen, wenn wir darauf achten, wie hier die Tätigkeit beider Lehrer
gattungen gekennzeichnet wird. Es sei allerdings von vornherein bemerkt, daß dies
bezüglich des Volksschullehrers nur in einer ganz beiläufigen Bemerkung geschieht.
Wie denn der Verfasser eigentlich nichts tut, um diese Behauptung einer so ab
gründigen Kluft zu beweisen.
Es hat Akademiker gegeben und gibt auch jetzt solche, die anders denken. Es
sei hier erinnert an den früheren Leiter der Franckeschen Stiftungen in Halle, vr. Frick,
der meinte, ob ein Volksschullehrer Urteil und Sprache der Schüler bilde an einer
Heyschen Fabel, oder ob ein Gymnasiallehrer dasselbe mache mit einer Horazischen
Ode — dazwischen sei grundsätzlich kein Unterschied. Freilich kannte 0r. Frick nicht
bloß den Unterrichtsbetrieb der höheren, sondern auch den der Volksschule. Und was
die Gegenwart betrifft, so wollen wir, um von weiterem abzusehen, nur noch einmal
hinweisen auf die im letzten Novemberheft (S. 481) mitgeteilte Äußerung des „Deut
schen Äusschusses für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht". Es
wurde von ihm hervorgehoben, „daß zahlreiche Volksschullehrer für die Naturwissen
schaften großes Interesse bekunden, und daß gewisse Zweige (Floristik, Mineralogie usw.)
einzelnen Angehörigen des Volksschullehrerstandes die wertvollste Förderung ver
danken." Die Verdienste eines Lüben, Junge und Schmeil wurden ausdrücklich an
erkannt.
Der Akademiker im Kunstwart ist nun freilich kein Mathematiker oder Natur
wissenschaftler, sondern eben ein Philologe; er setzt auch immer Philologen und Aka
demiker einander gleich. Der Philologe ist ihm offenbar die Blüte des Akademikers.
Wir verstehen jetzt schon eher seine Überspanntheiten; gehen doch auch die Bestrebungen
nach „reinlicher Scheidung" vor allem von dieser Seite aus. Wie denn überhaupt
gerade der Philologe den Typus des vertrockneten, von allem Gegenwartsleben ab
gewandten Akademikers darstellt.
Hören wir nun noch etwas aus den Ausführungen des Verfassers, mit denen er
den von ihm behaupteten ungeheuren Abstand und Gegensatz beweisen will. Er will dem
„hirnverbrannten Vorurteil" entgegentreten, der Volksschullehrer leiste im Unter
richt mehr als der Akademiker. Deshalb vergleicht er den Bildungsgang beider.
Etwa ein Jahr, nachdem ein gleichaltriger Gymnasiast seine Reifeprüfung bestanden
hat, ist der Volksschullehrer mit seiner Ausbildung auf öffentlichen Lehranstalten fertig.
(Daß er dann noch tüchtig weiterzuarbeiten hat an der beruflichen Ausbildung, um
die zweite Prüfung abzulegen, wird verschwiegen.) Der Akademiker studiert 4—5
Jahre, in der Staatsprüfung muß er sich darüber ausweisen, daß er mit Erfolg aka
demische Vorlesungen über Pädagogik gehört und sich didaktische Kenntnisse angeeignet
hat. Dann wird er noch weitere zwei Jahre „durch die bewährtesten Professoren eines
Gymnasiums oder Realgymnasiums praktisch angeleitet." Das ist aber noch nicht das
Wichtigste: „Er hat auf dem Gymnasium unvergleichlich hervorragendere Meister der
Lehrkunst als Vorbilder zu Gesicht bekommen, als sie die Volksschulseminarien durch
schnittlich aufweisen." Aber noch Köstlicheres hat ihm die Hochschule gegeben: „Die
Fähigkeit, sich mit akademischer Gründlichkeit in die Wissenschaft zu vertiefen, sie selbst
und damit alle auftauchenden Fragen des Menschlichen und Überirdischen aus eigner
Kraft zu beurteilen und die Neuergebnisse mit seinem Lebensgehalt und Unterrichtsstoff
organisch zu verschmelzen: Darum, wegen ihrer Kenntnis von dem Nutzen akademisch
wissenschaftlicher Übung für die immer höhere Ausgestaltung des Unterrichts, vertiefen
sich unsre Philologen zeitlebens mit Vorliebe in akademische Forschungsarbeiten und
veröffentlichen die Früchte ihrer Geistesarbeit."