Full text: Evangelisches Schulblatt - 55.1911 (55)

Rundschau. 
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Volksschullehrer voraus, noch hinkt er ihm nach: er wandelt auf 
andern Wegen vollständig verschiedenen, teilweise entgegengesetzten 
Zielen zu. Seine Tätigkeit zum Wohle der Nation hebt sich von 
der des Volksschullehrers nicht nur dem Grade nach ab, sondern 
scheidet sich ihrem tiefsten Wesen und Grunde nach aufs schärfste 
von ihm" 
In dieser Fassung soll offenbar eine Schonung des Volksschullehrers liegen; das 
einfache Verhältnis der Über- und Unterordnung sollte vermieden werden; es handelt 
sich nach der Meinung des Vers, um zwei ihrer Art nach ganz verschiedene, ja ent 
gegengesetzte Tätigkeiten. Aber in Wirklichkeit ist die Zurücksetzung, ja Erniedrigung 
der Volksschullehrer und ihrer Arbeit noch eine ärgere geworden. Das werden wir 
ja noch deutlicher sehen, wenn wir darauf achten, wie hier die Tätigkeit beider Lehrer 
gattungen gekennzeichnet wird. Es sei allerdings von vornherein bemerkt, daß dies 
bezüglich des Volksschullehrers nur in einer ganz beiläufigen Bemerkung geschieht. 
Wie denn der Verfasser eigentlich nichts tut, um diese Behauptung einer so ab 
gründigen Kluft zu beweisen. 
Es hat Akademiker gegeben und gibt auch jetzt solche, die anders denken. Es 
sei hier erinnert an den früheren Leiter der Franckeschen Stiftungen in Halle, vr. Frick, 
der meinte, ob ein Volksschullehrer Urteil und Sprache der Schüler bilde an einer 
Heyschen Fabel, oder ob ein Gymnasiallehrer dasselbe mache mit einer Horazischen 
Ode — dazwischen sei grundsätzlich kein Unterschied. Freilich kannte 0r. Frick nicht 
bloß den Unterrichtsbetrieb der höheren, sondern auch den der Volksschule. Und was 
die Gegenwart betrifft, so wollen wir, um von weiterem abzusehen, nur noch einmal 
hinweisen auf die im letzten Novemberheft (S. 481) mitgeteilte Äußerung des „Deut 
schen Äusschusses für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht". Es 
wurde von ihm hervorgehoben, „daß zahlreiche Volksschullehrer für die Naturwissen 
schaften großes Interesse bekunden, und daß gewisse Zweige (Floristik, Mineralogie usw.) 
einzelnen Angehörigen des Volksschullehrerstandes die wertvollste Förderung ver 
danken." Die Verdienste eines Lüben, Junge und Schmeil wurden ausdrücklich an 
erkannt. 
Der Akademiker im Kunstwart ist nun freilich kein Mathematiker oder Natur 
wissenschaftler, sondern eben ein Philologe; er setzt auch immer Philologen und Aka 
demiker einander gleich. Der Philologe ist ihm offenbar die Blüte des Akademikers. 
Wir verstehen jetzt schon eher seine Überspanntheiten; gehen doch auch die Bestrebungen 
nach „reinlicher Scheidung" vor allem von dieser Seite aus. Wie denn überhaupt 
gerade der Philologe den Typus des vertrockneten, von allem Gegenwartsleben ab 
gewandten Akademikers darstellt. 
Hören wir nun noch etwas aus den Ausführungen des Verfassers, mit denen er 
den von ihm behaupteten ungeheuren Abstand und Gegensatz beweisen will. Er will dem 
„hirnverbrannten Vorurteil" entgegentreten, der Volksschullehrer leiste im Unter 
richt mehr als der Akademiker. Deshalb vergleicht er den Bildungsgang beider. 
Etwa ein Jahr, nachdem ein gleichaltriger Gymnasiast seine Reifeprüfung bestanden 
hat, ist der Volksschullehrer mit seiner Ausbildung auf öffentlichen Lehranstalten fertig. 
(Daß er dann noch tüchtig weiterzuarbeiten hat an der beruflichen Ausbildung, um 
die zweite Prüfung abzulegen, wird verschwiegen.) Der Akademiker studiert 4—5 
Jahre, in der Staatsprüfung muß er sich darüber ausweisen, daß er mit Erfolg aka 
demische Vorlesungen über Pädagogik gehört und sich didaktische Kenntnisse angeeignet 
hat. Dann wird er noch weitere zwei Jahre „durch die bewährtesten Professoren eines 
Gymnasiums oder Realgymnasiums praktisch angeleitet." Das ist aber noch nicht das 
Wichtigste: „Er hat auf dem Gymnasium unvergleichlich hervorragendere Meister der 
Lehrkunst als Vorbilder zu Gesicht bekommen, als sie die Volksschulseminarien durch 
schnittlich aufweisen." Aber noch Köstlicheres hat ihm die Hochschule gegeben: „Die 
Fähigkeit, sich mit akademischer Gründlichkeit in die Wissenschaft zu vertiefen, sie selbst 
und damit alle auftauchenden Fragen des Menschlichen und Überirdischen aus eigner 
Kraft zu beurteilen und die Neuergebnisse mit seinem Lebensgehalt und Unterrichtsstoff 
organisch zu verschmelzen: Darum, wegen ihrer Kenntnis von dem Nutzen akademisch 
wissenschaftlicher Übung für die immer höhere Ausgestaltung des Unterrichts, vertiefen 
sich unsre Philologen zeitlebens mit Vorliebe in akademische Forschungsarbeiten und 
veröffentlichen die Früchte ihrer Geistesarbeit."
	        
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