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Bücherschau.
irrig bekannt sein (vgl. Cassirers Buch „Sub
stanzbegriff und Funktionsbegriff", Berlin
1910); eine einfache mathematische Gleichung,
z. B. die Polargleichung der Kegelschnitte,
genügt, um die Unrichtigkeit der Regel klar
zu machen. Was die ganze Auffassung der
Psychologie durch Lay angeht, io scheidet er
mir nicht reinlich genug das Psychologische
von anderem ab. Das tritt z. B. in den
Abschnitten über die ästhetischen, ethischen,
religiösen Gefühle hervor. An einer Stelle
versteht er überhaupt die Aufgabe der Psycho
logie nicht. Wo er an die psychologische
Untersuchung des Denkens kommt (S. 117),
da schreibt er einfach: „§ 17. Der Verstand.
Näheres unter 8. Logik" und fährt fort:
„§ 18. Die Gefühle". Er stellt also die Logik
ohne weiteres als einen Teil der Psychologie
ein, und das ist um so verwunderlicher, als
die letzten Jahre psychologischer Forschung
gerade über dieses Problem einige Klarheit
gebracht haben.
Ruttmanns Buch (3) ist in der Anlage
eigenartig. Es setzt die allerersten Kenntnisse
in der Psychologie' voraus und behandelt die
Normalpsychologie des Erwachsenen ziemlich
kurz. .Dabei wird aber überall in eigenen
Abschnitten auf das Entwicklungspsychologische
und das Pathologische eingegangen, um eine
Grundlage für die Darstellung der Jndivi-
dualforschung zu haben. Die differentielle
Psychologie — Ruttmann nennt sie Jndi-
vidualforschung — nimmt mit den beiden
Abschnitten „Die Individualität" und „Die
Geschlechter" die zweite Hälfte des Buches
ein. Zuletzt folgt „anhangsweise" ein Ab
schnitt über Sozialpshchologie. Das Buch ist
verdienstlich durch seine zusammenfassende
Darstellung der differentiellen Psychologie
und ihrer Grundlagen. Es bringt nichts
Neues. In der allgemeinen Psychologie lehnt
es sich zu sehr an Lehmann an. Es zeigt
aber mehr Verständnis für die modernen Pro
bleme der Psychologie als das Lays.
Wieder mehr aufs Pädagogisch-Praktische
zugeschnitten ist das Buch von Zühlsdorff (4).
Am Schlüsse jedes Kapitels sind die Haupt
ergebnisse zusammengefaßt und dann folgt
die pädagogische Nutzanwendung. Die Summe
dieser Nutzanwendungen wird wohl die Hälfte
des Buches ausmachen. Manches darunter
erscheint mir selbstverständlich oder zu all
gemein oder ohne hinreichende psychologische
Begründung im Vorhergehenden, anderes
wieder praktisch, vernünftig und gesund.
Psychologisch betrachtet ist das Buch populärer
als das von Ruttmann, vermengt Psychologie
mit normativen Wissenschaften und kennt die
moderne Psychologie nicht so gut (vgl. vor
allem den Abschnitt über das Denken) — und
daran kann auch das völlig überflüssige Vor
wort eines kgl. Regierungsrates nichts ändern.
Ziehen wir die Summe, so lautet das
Ergebnis nicht gerade günstig. Ich glaube,
daß ich die brauchbaren und dankenswerten
Seiten der Bücher genugsam anerkannt habe.
Faßt man sie aber lediglich als Einführungen
in die Psychologie für Lehrer, dann fragt
man sich vergeblich, wozu diese Bücher, die
doch in jener Hinsicht nur aus zwölf ein
Dreizehntes machen, eigentlich geschrieben
sind — da wir doch so manche gute wissen
schaftliche und originale Einführung in die
Psychologie besitzen. Das psychologische Inter
esse der Lehrer ist ja sicherlich ^etwas sehr
Schönes. Aber es wäre gut, wenn es sich
mehr in Forschungsarbeiten betätigte und
die zusammenfassenden Darstellungen solchen
überließe, die dadurch wirklich etwas Neues
sagen können. vi-.Alohs Müller, Röttgen b. Bonn.
Rubner, vr. Max, Wandlungen in der
Volksernährung. Leipzig, Akademische
Verlagsgesellschaft. 1913. 136 Seiten.
Brosch. Mk. 7; geb. Mk. 7,60.
Bis heute kann von einem wirklichen
Studium der Ernährung der großen
Masse der Bevölkerung kaum die Rede
sein; es macht sich ein offenkundiger Mangel
an objektiv gesichertem Wissen in bezug auf
die Volksernährung immer mehr bemerkbar.
In recht interessanter Weise legt Rubner
kurz historisch den Entwicklungsgang der
Lehre von dem Nahrungsbedarf der Menschen
dar und nennt im Anschlüsse daran die Be
denken, die man vom Standpunkt der Physio
logie wider die rein statistischen Erhebungen
des Haushaltungs-Budgets geltend macht.
Recht beachtenswert ist Kapitel 14, in dem
Rubner zeigt, daß oft die sozialen Umstände,
die zur augenblicklichen schlechten Ernährung
führen, nicht in der Unmöglichkeit begründet
sind, genügend Nahrungsmittel zu erhalten,
und daß nicht selten die Ursache überhaupt
nicht auf ernährungsphysiologischem Gebiete
liegt. Mittel zur Verbesserung der Volks
ernährung erblickt Rubner in: Verbesserung
des Einkommens, Verbilligung der Waren
durch Erniedrigung der Zölle, Beseitigung
des Zwischenhandels und der Trustwirkungen,
Vertrieb durch Konsumvereine, Gründung
billiger Speise-Anstalten für Arbeiter, die
fern ihrer Wohnungen beschäftigt sind, Be
kämpfung des Alkoholismus und Verwendung
des dadurch erzielten Geldes für eine ge
ordnete Ernährung, verbesserten Wohnungs
verhältnissen, verbesserter Erziehung der Frau
zum Hausfrauenberufe, zweckmäßiger Zu
sammensetzung der einzelnen Nahrungsstoffe,
Einführung des Haushaltungs-Unterrichtes
und der hygienischen Belehrungen in den
Volksschulen, Verbesserung der Säuglings
ernährung und endlich in Speisung der
mangelhaft ernährten schulpflichtigen Jugend
und in Gründung gut geleiteter Kinderhorte.
Wie durch seine früheren Arbeiten, so hat
Geheimrat Professor Rubner auch in dem