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Blätter für Anstaltspädagogik.
:: Zelbstregiment der Zöglinge. ::
Nicht mehr der Vorgesetzte soll allei
niger Inhaber der disziplinären Be
stimmungsgewalt sein, sondern diese Ge
walt mit den Zöglingen teilen, um sich
deren Freiheitstrieb zu verbünden.
Die Sache ist in Amerika vielfach prak
tiziert, durch Fr. W. Foerster (Zürich) in
seinem gerade für Anstaltspädagogen sehr
lesenswerten Buche ,Schule und Cha
rakter' * * mit Nachdruck betont und im
Grunde empfohlen worden.
Darin liegt eine gewisse Gefahr. Es
ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß dieses
Schlagwort bei der Kunde von seiner
Approbation durch Foerster bei vielen
neuerungslustigen Pädagogen stark an
Reiz zu praktischer Erprobung gewinnt
und damit eine Art Modereform mit
befördern Hilst.
Demgegenüber empfiehlt sich ein kurzer
Hinweis auf
Zoersters wirkliche Stellungnahme zum
Selbstregiment.
Darf Foerster wirklich als Herold dieses
Schlagwortes in Anspruch genommen wer
den? Gewiß, er stellt sich zu ihm sym
pathisch; er behauptet sogar," daß „wir
es hier zweifellos mit einem sozialpäda
gogischen Unternehmen ersten Ranges zu
tun haben". Und doch würde er sich
energisch wehren müssen, wenn man ihn
unter allen Bedingungen als Freund der
Sache zitieren wollte. Foerster müßte
nicht der tiefdringende Pädagoge sein, um
nicht erkannt zu haben, daß die Frage des
Schülerselbstregiments an gewisse Vor -
bedingungen geknüpft ist, soll sie in
der Praxis gelingen. Er selbst mahnt
ausdrücklich zur Vorsicht/ wenngleich er
zugibt, daß sich von der aus Amerika
kommenden Anregung vieles lernen läßt.
Auch er sieht diese Anregungen noch als
Experimente an, die hervorgehen aus
der Suche nach neuen Methoden einer
verfeinerten Schuldisziplin. Die Ge
fahren der ganzen Frage sind ihm voll
ständig klar; das zeigt folgende Bemer
kung: „Man muß sich klar machen, daß
es sich um eine noch neue Einrichtung
1 ,Schule und Charakter. Beiträge zur
Pädagogik des Gehorsams und zur Reform
der Schuldisziplin'. Zürich, Schultheß, 1907.
* A. a. O., S. 161.
ä A. a. O., S. 150.
handelt, der nicht immer geschickte Päda
gogen zur Seite stehen und man muß
vor allem beachten, daß solche Veran
staltungen nicht so isoliert in das heutige
Schulwesen mit seiner bloß intellektuellen
Kultur verpflanzt werden können, son
dern daß fie sozusagen eingebettet wer
den müssen in ein ganzes System ethischer
Seelsorge, welches ihren Gefahren be
gegnet, ihre Uebertreibungen korrigiert,
ihre moralischen Bedingungen pflegt und
die ganze Institution in Zusammenhang
mit einem höhern Lebensideale rückt."
Bemerkenswert ist auch, daß er eigens
noch nach Erörterung der Reform-Vor
schläge ein Kapitel anfügt „Winke für
Anfänger" mit folgenden Haupterwä
gungen: „Anfänger sollten sich vor allem
gründlich die außerordentliche Bedeutung
einer straffen Disziplin klarmachen. Er
stens gedeiht geordnete und gesammelte
geistige Arbeit nur auf dem Boden ge
ordneten Benehmens, geordneter Haltung
und äußerer Präzision. Zweitens wirkt
Disziplinlosigkeit geradezu verheerend
auf den Charakter. Nackter Gehorsam
gegenüber festbestimmten Forderungen
und Regeln erzieht den Willen, begrün
det jede Art von Gewissenhaftigkeit, be
reitet den höhern Gehorsam gegenüber
dem sozialen, ethischen, religiösen Gesetz
vor. Nachlässige Verletzung der Regel,
Gewöhnung an Ungehorsam bewirkt all
mählich völlige Auflösung des Willens,
liefert den Schüler seinen Launen und
Stimmungen aus, macht ihn unfähig, sich
selbst einst fest zu befehlen und sich selbst
durchgreifend nach einem höhern Ideal
zu gestalten" (S. 188). Hier hebt Foerster
ganz deutlich die Gefahren heraus, die
bei ungeschickter Handhabung des Schüler
selbstregiments drohen; 1. Disziplinlosig
keit nach außen, 2. Disziplinlosigkeit im
Innern der Schülerseele. In dieser Be
leuchtung sieht sich das Selbstregiment
dann doch etwas anders an.
„Einbetten in ein ganzes System
ethischer Seelsorge!" „Keine
Isolierung!" Das sind zwei sehr
beachtenswerte Winke Foersters für
etwaige Versuche mit dem Selbstregiment.
Solche Versuche sind immerhin wünschens
wert und könnten gerade in Anstalten
am leichtesten gemacht werden. Wahr
scheinlich wird es zweckmäßig sein, es
mit ältern Zöglingen zu probieren.