:: 6 ::
Blätter für AnstaltSPSdagogik.
führung: Wir formulieren eine Anzahl
von wichtigen Themen, besprechen diese,
jede Anstalt für sich in ihrem engern
Kreise, am besten in Konferenzen. Die
Ergebnisse der Beratung wolle man hierauf
an die Redaktion unserer ,Blätter' ein
senden. Es ließen sich dann die Gedanken
übersichtlich zusammenstellen und alle Leser
hätten so Anteil an den Ergebnissen.
Als Themata kämen z. B. in Betracht:
1. Selbstregiment der Zöglinge.
2. Reform der Disziplin nach Foerster.
3. Erziehung zur Keuschheit (sexuelle
Aufklärung) usw.
Auch hier bietet der Kursbericht reiche
Anregungen. Vorschläge sind jederzeit
willkommen.
Aus dem Protokoll der Präfekten-Kon-
ferenzen am Cassianeum sei ein Beispiel
herausgegriffen, wie ich mir die Ein
sendung denke:
Thema: Die ersten Schwierig
keiten eines neuen Präfekten.
Gedankengang: Es ist zu beachten,
daß das Verhältnis der Zöglinge zum
neuen Präfekten auf eine Kraftprobe
hinauszielt, wer der geistig und sittlich
Stärkereist: Zögling oder Präfekt. „Kann
er uns imponieren?" ist die Frage der
Zöglinge.
In diesem Kampf läßt sich ein drei
faches Entwicklungsstadium unterscheiden.
ErstesStadium: Zögling und Er
zieher stehen unter dem gegenseitigen
e r st e n E in d r u ck ihrer Persönlichkeiten;
abwartende Haltung der guten Zöglings
elemente, offensiv-aggressives Benehmen
der schlimmern; unnachsichtliche Strenge
des Erziehers im Verein mit Konsequenz
und Strenge gegen sich selbst; Vermei
dung jeder schwächlichen Nachgiebigkeit.
Zweites Stadium: Erprobung
dieser Strenge durch die Zöglinge auf
ihr Wesen, ob sie einem zielbewußten
Willen entspringt. Die guten Zöglings
elemente gehen aus ihrer Passivität heraus,
schließen sich je nach dem kräftigen oder
schwächlichen Verhalten des Erziehers
diesem an oder lehnen ihn und seinen
Einfluß ab; dadurch wird der Kampf mit
dem schlechtern Material erleichtert oder
erschwert; der Erzieher muß sich stets
mit den Waffen des unbeugsamen Willens,
unerschütterlicher Ruhe und Selbstver
leugnung rüsten, Tugenden, die ohne
Zufluchtnahme zu den christlichen Gnaden-
miiteln nicht leicht erworben werden; sie
müssen aber errungen werden; denn das
zweite Stadium zeitigt so recht eigentlich
erst den erbitterten Kampf um den Sieg
der Zöglings- oder Erzieherpersönlichkeit.
Eine nicht zu verachtende Stütze muß
dem Erzieher seitens seiner Vorgesetzten
eboten werden dadurch, daß er sich un-
edingt auf deren Mitarbeit, deren Stel
lungnahme für sich verlassen kann; dieses
Zuversichtlichkeitsgefühl erzeugt
erst das im Kampf so notwendige Selbst
bewußtsein, das den Zöglingen ge
waltig zu imponieren vermag.
Erst nach mehreren Wochen kann dieses
zweite Stadium sich allmählich verwandeln
in das dritte: das der Sicherung
des Gewonnenen. Dabei ist immer zu
bedenken, daß das dritte Stadium leicht
wieder umschlagen kann zum zweiten
Stadium, weshalb stete Vorsicht für den
Erzieher am Platze ist. Im dritten
Stadium beginnt die eigentliche K u n st -
arbeit des Erziehers; jetzt kann sich die
bisherige kraftvolle Persönlichkeit auch
nach anderer Richtung entfalten je nach
Individualität der Zöglinge. Zur
Autorität der Furcht muß sich ge
sellen die Autorität ber Siebe und
Achtung. Letztere erfordert aber, daß
der Erzieher ein allseitig an Geist nnd
Herz edel und reich entwickelter Mensch,
d. i. eine Persönlichkeit sei.
Unstaltspädagogische Kasuistik.
Für die unter der Rubrik „Arbeits
gemeinschaft" angeregten Konferenzen
wird es sich auch empfehlen, allmählich
eine Sammlung von Fällen aus
der täglich Anstaltspraxis zu erarbeiten,
welche der Klärung bedürfen. Die Straf
pädagogik würde auf Grund solcher Ar
beiten manche Härten, Unbedachtsamkeiten
und Ungerechtigkeiten weniger verbuchen
müssen.
Als Beispiel mögen folgende Fälle
angeführt sein:
I.
Ein in intellektueller und moralischer
Beziehung gut veranlagter Schüler hat
einige Zeit nach seinem Eintritt großen Ein
fluß unter seinen Mitschülern gewonnen:
bald hat er sich die Rolle eines „Führers"
angeeignet. Seinen Einfluß und sein
Ansehen benützte er nie zur Anzettelung
oder Unterstützung von irgendwelchen