Full text: Blätter für Anstaltspädagogik - 1.1910/11 (1)

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Blätter für AnstaltSPSdagogik. 
führung: Wir formulieren eine Anzahl 
von wichtigen Themen, besprechen diese, 
jede Anstalt für sich in ihrem engern 
Kreise, am besten in Konferenzen. Die 
Ergebnisse der Beratung wolle man hierauf 
an die Redaktion unserer ,Blätter' ein 
senden. Es ließen sich dann die Gedanken 
übersichtlich zusammenstellen und alle Leser 
hätten so Anteil an den Ergebnissen. 
Als Themata kämen z. B. in Betracht: 
1. Selbstregiment der Zöglinge. 
2. Reform der Disziplin nach Foerster. 
3. Erziehung zur Keuschheit (sexuelle 
Aufklärung) usw. 
Auch hier bietet der Kursbericht reiche 
Anregungen. Vorschläge sind jederzeit 
willkommen. 
Aus dem Protokoll der Präfekten-Kon- 
ferenzen am Cassianeum sei ein Beispiel 
herausgegriffen, wie ich mir die Ein 
sendung denke: 
Thema: Die ersten Schwierig 
keiten eines neuen Präfekten. 
Gedankengang: Es ist zu beachten, 
daß das Verhältnis der Zöglinge zum 
neuen Präfekten auf eine Kraftprobe 
hinauszielt, wer der geistig und sittlich 
Stärkereist: Zögling oder Präfekt. „Kann 
er uns imponieren?" ist die Frage der 
Zöglinge. 
In diesem Kampf läßt sich ein drei 
faches Entwicklungsstadium unterscheiden. 
ErstesStadium: Zögling und Er 
zieher stehen unter dem gegenseitigen 
e r st e n E in d r u ck ihrer Persönlichkeiten; 
abwartende Haltung der guten Zöglings 
elemente, offensiv-aggressives Benehmen 
der schlimmern; unnachsichtliche Strenge 
des Erziehers im Verein mit Konsequenz 
und Strenge gegen sich selbst; Vermei 
dung jeder schwächlichen Nachgiebigkeit. 
Zweites Stadium: Erprobung 
dieser Strenge durch die Zöglinge auf 
ihr Wesen, ob sie einem zielbewußten 
Willen entspringt. Die guten Zöglings 
elemente gehen aus ihrer Passivität heraus, 
schließen sich je nach dem kräftigen oder 
schwächlichen Verhalten des Erziehers 
diesem an oder lehnen ihn und seinen 
Einfluß ab; dadurch wird der Kampf mit 
dem schlechtern Material erleichtert oder 
erschwert; der Erzieher muß sich stets 
mit den Waffen des unbeugsamen Willens, 
unerschütterlicher Ruhe und Selbstver 
leugnung rüsten, Tugenden, die ohne 
Zufluchtnahme zu den christlichen Gnaden- 
miiteln nicht leicht erworben werden; sie 
müssen aber errungen werden; denn das 
zweite Stadium zeitigt so recht eigentlich 
erst den erbitterten Kampf um den Sieg 
der Zöglings- oder Erzieherpersönlichkeit. 
Eine nicht zu verachtende Stütze muß 
dem Erzieher seitens seiner Vorgesetzten 
eboten werden dadurch, daß er sich un- 
edingt auf deren Mitarbeit, deren Stel 
lungnahme für sich verlassen kann; dieses 
Zuversichtlichkeitsgefühl erzeugt 
erst das im Kampf so notwendige Selbst 
bewußtsein, das den Zöglingen ge 
waltig zu imponieren vermag. 
Erst nach mehreren Wochen kann dieses 
zweite Stadium sich allmählich verwandeln 
in das dritte: das der Sicherung 
des Gewonnenen. Dabei ist immer zu 
bedenken, daß das dritte Stadium leicht 
wieder umschlagen kann zum zweiten 
Stadium, weshalb stete Vorsicht für den 
Erzieher am Platze ist. Im dritten 
Stadium beginnt die eigentliche K u n st - 
arbeit des Erziehers; jetzt kann sich die 
bisherige kraftvolle Persönlichkeit auch 
nach anderer Richtung entfalten je nach 
Individualität der Zöglinge. Zur 
Autorität der Furcht muß sich ge 
sellen die Autorität ber Siebe und 
Achtung. Letztere erfordert aber, daß 
der Erzieher ein allseitig an Geist nnd 
Herz edel und reich entwickelter Mensch, 
d. i. eine Persönlichkeit sei. 
Unstaltspädagogische Kasuistik. 
Für die unter der Rubrik „Arbeits 
gemeinschaft" angeregten Konferenzen 
wird es sich auch empfehlen, allmählich 
eine Sammlung von Fällen aus 
der täglich Anstaltspraxis zu erarbeiten, 
welche der Klärung bedürfen. Die Straf 
pädagogik würde auf Grund solcher Ar 
beiten manche Härten, Unbedachtsamkeiten 
und Ungerechtigkeiten weniger verbuchen 
müssen. 
Als Beispiel mögen folgende Fälle 
angeführt sein: 
I. 
Ein in intellektueller und moralischer 
Beziehung gut veranlagter Schüler hat 
einige Zeit nach seinem Eintritt großen Ein 
fluß unter seinen Mitschülern gewonnen: 
bald hat er sich die Rolle eines „Führers" 
angeeignet. Seinen Einfluß und sein 
Ansehen benützte er nie zur Anzettelung 
oder Unterstützung von irgendwelchen
	        
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