Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

 
 
  
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Nr. 7 
Berlin, 24. April = | 
 
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1909 
 
| % Der Mai der Jugend. - Z 
wir ſtehen, das Jahrhundert des Kindes genannt. 
NY Faſt gleichzeitig iſt neuerding8, und in allen Be- 
Stferungstlaſſen mit vorher nicht dageweſener Eindringlich- 
feit, das Bewußtſein der großen Verantwortung erwacht, die 
der Geſellſ<aft gegenüber der heranwachſenden Generation 
obliegt. Daß in dieſem Gefühl der Menſc<en des zwanzigſten 
Jahrhunderts ein neuer ſozialer Wert, ein neue3 Kulturideal 
iich anfündigt, unterliegt keinem Zweifel. Aber auch Ideale 
fallen nicht vom Himmel herunter, ſie haben ihre Geſchichte; 
ihre Geſchichte in den Köpfen der Menſchen und in den ſozialen 
erhältniſſen, in denen ihre Träger leben. So iſt auch dieſe3 
brennende Intereſſe an der Jugend, das die Zeitgenoſſen ex- 
faßt hat, nicht urſachlos entſtanden, e3 knüpft unmittelbar an 
den Entwidelungs8gedankenan, unter deſſen Zeichen 
vas vorige Jahrhundert zu Ende ging. Der Blik des Menſchen 
iit über die kurze Gegenwart ſeiner Exiſtenz hinausgerichtet, 
dex Menj< hat gelernt, jich als Glied in einem großen ZuU- 
jammenhange ZU fühlen. 
C3 liegt im Weſen der ſchroffen geſellſichaftlichen Gegen- 
fäße, die unſere Zeit zerreißen, daß dieſer auf den Menſchen 
angewandte Entwi>kelung3Jedanke im Bewußtſein der ver- 
iäiedenen Bevölkerungsklaiſen entgegengeſeßte Richtung an=- 
nimmt. Das Bürgertum, die Klaſſe des BeſißteS, die alle Güter 
dor Erde unter ſich verteilt hat, verlegt in dem Maße, wie cs 
die Anſprüche feiner Vorherrſc<aft bedroht ſieht, die Recht- 
fertigung feiner geſellſhaftlichen Machtſtellung in die Wer- 
zangenheit. CS fühlt ſich geſ<i<htli< im Ret, es leitet 
jeinen gegenwärtigen Beſitz von ſeinem vergangenen Erwerv 
dx, und wenn es ſeine Junge Generation betrachtet, ſo ſieht 
es in ihr die GCrben ſeiner Macht. „Ich liege und beſiße,“ ſagt 
es mit dem Drachen des Nibelungenhorte3s zu feiner Nach- 
fommenſchaft, „und nach mir wirſt Du liegen und beſißen.“ 
Ander3 da3 Proletariat, die um Befreiung aus wirtſchaft- 
licher und politiſcher Unterdrückung kämpfende Arbeiterklaſſe. 
Die Vergangenheit iſt ihm nichts als das Arſenal ſeiner Ketten, 
die furchtbare Anklage wider ſeine Gegenwart. Keinen Beſitz 
hat es zu vererben, ſondern eine Miſſion, eine Aufgabe -- einc 
Sache, deren Sieg in der Zukunft liegt: eben ſeinen Be- 
reiungskampf. Mit ganz anderen Hoffnungen, als daS ſatte 
Därgertum, ſieht darum da38 Proletariat auf ſeine Jugend. 
Vie ihm in der Gegenwart jeder neue Kämpfer willkommen 
ijt als Helfer an dem großen Werk, dem gar nicht genug ſtarke 
Arme und kühne Herzen zugeführt werden können, ſo iſt ihm 
doppelt wertvoll das kommende Geſchlecht, das ihm die Bürg- 
Ihafi bietet, daß die Sache leben, der Kampf weitergeführt 
wird, wenn e38 ſelbſt in die Grube geſunken. Und ſeine ſtolzeſte 
Hoffnung iſt, daß die junge Generation, die in ſeine Fuß- 
tapfen tritt, noh viel energiſcher, noc< viel kühner die Waffen 
führen wird, al8 es ſelbſt e3 vermocht. 
Der Gedanke der Solidaritäi, der Zuſammen- 
gebörigkfeit aller Aus8gebeuteten auf der ganzen Erde, erlebt 
 
4 an hat Das zwanzigſte Jahrhundert, in deſſen Beginn 
jol<ermaßen erſt ſeine Krönung, wenn auch die Jugend in den 
Bund aufgenommen wird; wie er in der Verbrüderung der 
proletariſchen Internationale die Grenzen der Länder und der 
Meere überflogen, überwindet er jezt die Schranken der Zeit 
und verknüpft in lebendigem Zuſammenhang mit der Gegens- 
wart die fernſte Zukunft. Die proletariſche Jugend iſt de8halb 
daS leßte, das ſchließende Glied der Solidaritätskette, die über 
Naum und Zeit hinweg die ungezählten Maſſen aller Müb- 
ſeligen und Beladenen, das ganze Geſchlecht derer, die aus dem 
Dunkel zum Lichte drängen, zu einem unüberwindlichen 
- Heere der Freiheit zuſjammenſchweißt. 
So iſt die Jugendfrage, die neuerdings das klaſſenbewußte 
Proletariat aller Kulturländer 19 lebhaft bewegt, micht eine 
Frage untcr den vielen, die auf dem Wege zum Ziel gelött 
werden müſſen, ſie iſt geradezu die oberſte Aufgabe, in dic alle 
anderen münden. Erſt wenn das Proletariat die Jugend Hat, 
wenn e38 der Jugend fich ex iſt, hat es auch die Gewähr, daR 
alle biSherige Arbeit nicht vergeblich getan war. Wenn darum 
Die taſſenfämpvfende Arbeiteri<haft der Jugend die Helfende 
Hand entgegenſtre>t und fie zu ſich emporzieht, [9 rettet ne deit. 
eigenen Helfer, rüſtet ſie den Erben aus, der ihr Hetligites 
Werk vollenden wird. 
Die proletariſche Jugend aber wird Dieſe helfende Hand 
mit Begeiſterung ergreifen, denn auch für fe int die Solidaritär, 
die ihr angeboten wird, LebenSintereſſe. Noch nicht lange 111 
es her, ſeitdem auch in ihren Reihen die Erkenntnis zu reiſen 
beginnt, daß fie zujſammengehört und wohin fie gehört. Aud 
bei ihr iſt die Not die Geburiöhelferin dieſer Erfennmis g0- 
weſen. In immer größeren Maſſen und immer frühzeitiger 
wird auch die Jugend der Arbeiterklaſſe in das wiriicha?i- 
liche Getriebe geriſſen. Im zZarteſten KindeSalter, wenn ihren 
bürgerlichen Alter3genoſſen Spiele und Mutwillen nur den 
Sinn füllen, lernt ſie daheim die Entbehrung kennen, die ver- 
zweifelten Anſtrengungen der Eltern um das tägliche Brot und 
die nackte Exiſtenz; viele müſſen ſchon al8 Kinder mitverdienen 
belfen. Nach der Schulentlaſſung finden ſich die Arbeiterkinder 
plößlih als Junge Arbeiter, al38 junge Arbeite- 
rinnen wieder, denn der Lehrling der guten alten Zeit, der 
al3 Kind in die Familie des Meiſters aufgenommen wurde, 1ſt 
heutzutage, wo die Fabrik das Handwerk verdrängt, ein nod) 
märchenhaftere3s Weſen, als er es vielleicht in der vergangenen 
Wirklichkeit geweſen. Als junge Arbeiter, als junge Arbeite- 
rinnen aber ſchmachten ſie unter dem nämlichen Joch, wie ihre 
erwachſenen Klaſſengenoſſen und Klaſſengenoſſinnen, beſeelt fie 
dieſelbe brennende Sehnſucht nach Befreiung aus der Lohn- 
ſklaverei, wie die geſamte Arbeiterſhaft. Sie ſtehen zudem 
tagtäglich in engſter Berührung mit ihren erwachſenen, ex- 
probten Genoſſen, nehmen mit jedem Atemzug an deren Denken 
und Ringen teil und wachſen 10, ſchier ohne es zu merken, in 
die Weltanſchauung des modernen Proletariat3 hinein. Sv 
ſchließt ſich auf der Seite der Arbeiterjugend der Ring der 
Solidarität, der die ganze vroletariſche Menſ<heit umſpannt,
	        
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