Unterrichtliche Willensbildung.
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einfache Tätigkeiten, also solche, deren Ausübung nicht wieder eine besondere
Aufmerksamkeit erfordert, verbunden werden. Wenn das Kind beispielsweise, indem
es die entsprechenden Handlungen gleichzeitig ausführt, spricht: Ich hebe das Glas,
ich setze das Glas auf den Tisch, so sind diese Handlungen, die hier mit dem
Sprechen verbunden werden, von solcher Einfachheit, daß ihre Ausführung keiner
besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Fast die gesamte Aufmerksamkeit kann sich also
auf das Sprechen, auf die Formung der Sätze, auf das Festhalten der ver
schiedenen Wortgebilde usw., lenken. So ist hier die niedere Tätigkeit schon so
weit mechanisiert, daß ihre Verbindung mit einer höheren Tätigkeit, hier dem Sprechen,
möglich ist. Ganz anders wäre es, wenn man etwa eine zusammengesetzte Turn
übung, deren Ausübung als solche schon einen hohen Grad von Willenskraft er
fordert, noch mit Sprechen begleiten wollte. In diesem Falle würde geradezu eine
Verschwendung von Willensenergie obwalten. Diese Mahnung zur rechten Oeko-
nomie im Verbrauch der Willens- und Aufmerksamkeitsenergie ist heutzutage nach
meinem Dafürhalten vielfach geradezu nötig, weil der sogenannten „Einübung" be
stimmter Tätigkeiten, mit anderen Worten: der Mechanisierung einer niederen
Tätigkeit, bevor sie in den Dienst einer höheren tritt, vielerorts recht wenig Be
achtung geschenkt wird. So wichtig beispielsweise das Aufsatzschreiben ist, so ist
es doch geradezu eine Verschwendung von Willensenergie, wenn man es schon
betreibt, während die mechanische Tätigkeit des Schreibens selbst, hier also die
geläufige Uebersetzung der gedachten Worte in das Schriftbild, noch nicht genügend
sicher vonstatten geht. Man kann getrost behaupten, daß heutzutage öfters eine
heillose Verfrühung auf dem Gebiete der Schularbeit auftritt. Man nimmt
sich nicht Zeit, der niederen Tätigkeit, dem geläufigen Lesen, dem technisch sicheren
Schreiben, dem flotten ^gedächtnismäßig festgelegten Zahlenrechnen, die gehörige
Sorgfalt und vor allem die gehörige Zeitdauer zuzuwenden. Man geht vielfach
viel zu zeitig zur höheren Tätigkeit über. Die Folge davon ist, da eine
Spaltung der Aufmerksamkeit eintreten muß, daß in solchen Fällen auch die höhere
Tätigkeit nicht recht von der Stelle geht. Daher wird im Organismus unserer
Volksschularbeit die Didaktik unserer Unterklasse immer eine bedeutsame Rolle
spielen. Für die rechte Willensbilöung auf den mittleren und höheren Stufen ist
wahrlich schon ein guter Grund gelegt, wenn die niedere Tätigkeit so sicher ein
geübt wird, daß sie später ohne weiteres in den Dienst der höheren Tätigkeit
treten kann. Selbstverständlich soll bei der Vermittlung dieses Geläufigkeitsmaßes
der niederen Tätigkeiten nicht etwa ein bloßes Abrichten stattfinden, sondern auch
diese Arbeit soll unter Beachtung der Pädagogischen Regeln über die Geistesschulung
des Kindes erfolgen.
Wir wissen, daß zwischen dem Auffassen des sinnlichen Eindrucks und dem
Beginne des durch diesen Eindruck angeregten Willensimpulses eine kurze Spanne
Zeit vergeht. Diese Zeit, im weiteren Sinne Reaktionszeit genannt, ist nicht
nur bei verschiedenen Altersstufen, sondern auch bei den Einzelpersönlichkeiten ganz
verschieden. Ihre gehörige Ausnützung hat aber für die rechte Entfaltung der
Willenskraft besondere Bedeutung. Darum ist es unbedingt notwendig, daß,
während dieser Reaktionszeit der Geist des Schülers ungestört arbeiten kann, so-
daß der Weg vom Eindruck zum Ausdruck nicht im Zickzack geht oder unnötig
verlängert wird. Gegen diese ruhige Ausnützung der Reaktionszeit wird noch vielfach