Full text: Pharus - 6.1915, Halbjahrband 1 (6)

Unterrichtliche Willensbildung. 
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einfache Tätigkeiten, also solche, deren Ausübung nicht wieder eine besondere 
Aufmerksamkeit erfordert, verbunden werden. Wenn das Kind beispielsweise, indem 
es die entsprechenden Handlungen gleichzeitig ausführt, spricht: Ich hebe das Glas, 
ich setze das Glas auf den Tisch, so sind diese Handlungen, die hier mit dem 
Sprechen verbunden werden, von solcher Einfachheit, daß ihre Ausführung keiner 
besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Fast die gesamte Aufmerksamkeit kann sich also 
auf das Sprechen, auf die Formung der Sätze, auf das Festhalten der ver 
schiedenen Wortgebilde usw., lenken. So ist hier die niedere Tätigkeit schon so 
weit mechanisiert, daß ihre Verbindung mit einer höheren Tätigkeit, hier dem Sprechen, 
möglich ist. Ganz anders wäre es, wenn man etwa eine zusammengesetzte Turn 
übung, deren Ausübung als solche schon einen hohen Grad von Willenskraft er 
fordert, noch mit Sprechen begleiten wollte. In diesem Falle würde geradezu eine 
Verschwendung von Willensenergie obwalten. Diese Mahnung zur rechten Oeko- 
nomie im Verbrauch der Willens- und Aufmerksamkeitsenergie ist heutzutage nach 
meinem Dafürhalten vielfach geradezu nötig, weil der sogenannten „Einübung" be 
stimmter Tätigkeiten, mit anderen Worten: der Mechanisierung einer niederen 
Tätigkeit, bevor sie in den Dienst einer höheren tritt, vielerorts recht wenig Be 
achtung geschenkt wird. So wichtig beispielsweise das Aufsatzschreiben ist, so ist 
es doch geradezu eine Verschwendung von Willensenergie, wenn man es schon 
betreibt, während die mechanische Tätigkeit des Schreibens selbst, hier also die 
geläufige Uebersetzung der gedachten Worte in das Schriftbild, noch nicht genügend 
sicher vonstatten geht. Man kann getrost behaupten, daß heutzutage öfters eine 
heillose Verfrühung auf dem Gebiete der Schularbeit auftritt. Man nimmt 
sich nicht Zeit, der niederen Tätigkeit, dem geläufigen Lesen, dem technisch sicheren 
Schreiben, dem flotten ^gedächtnismäßig festgelegten Zahlenrechnen, die gehörige 
Sorgfalt und vor allem die gehörige Zeitdauer zuzuwenden. Man geht vielfach 
viel zu zeitig zur höheren Tätigkeit über. Die Folge davon ist, da eine 
Spaltung der Aufmerksamkeit eintreten muß, daß in solchen Fällen auch die höhere 
Tätigkeit nicht recht von der Stelle geht. Daher wird im Organismus unserer 
Volksschularbeit die Didaktik unserer Unterklasse immer eine bedeutsame Rolle 
spielen. Für die rechte Willensbilöung auf den mittleren und höheren Stufen ist 
wahrlich schon ein guter Grund gelegt, wenn die niedere Tätigkeit so sicher ein 
geübt wird, daß sie später ohne weiteres in den Dienst der höheren Tätigkeit 
treten kann. Selbstverständlich soll bei der Vermittlung dieses Geläufigkeitsmaßes 
der niederen Tätigkeiten nicht etwa ein bloßes Abrichten stattfinden, sondern auch 
diese Arbeit soll unter Beachtung der Pädagogischen Regeln über die Geistesschulung 
des Kindes erfolgen. 
Wir wissen, daß zwischen dem Auffassen des sinnlichen Eindrucks und dem 
Beginne des durch diesen Eindruck angeregten Willensimpulses eine kurze Spanne 
Zeit vergeht. Diese Zeit, im weiteren Sinne Reaktionszeit genannt, ist nicht 
nur bei verschiedenen Altersstufen, sondern auch bei den Einzelpersönlichkeiten ganz 
verschieden. Ihre gehörige Ausnützung hat aber für die rechte Entfaltung der 
Willenskraft besondere Bedeutung. Darum ist es unbedingt notwendig, daß, 
während dieser Reaktionszeit der Geist des Schülers ungestört arbeiten kann, so- 
daß der Weg vom Eindruck zum Ausdruck nicht im Zickzack geht oder unnötig 
verlängert wird. Gegen diese ruhige Ausnützung der Reaktionszeit wird noch vielfach
	        
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