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in dieſem Umgange an Abglättung und Gewandtheit der
äußery Sitten gewinnen können, aber das zu frühzeitige Heraus-
rüken aus der ihnen eigenthümlichen Sphäre macht ſie auch mit
Sitten, Maximen und Handlungen bekannt, die nicht ſelten den
nachtheiligſten Einfluß auf ſie äußern, da das Gefährliche und Un-
ſittliche, das den arößern Geſellſc<aften oft ſogar unter den gefäl-
ligen Formen der Convenienz beigemiſcht iſt, ſich ihnen no< leich»
ter empfiehlt, als die Kraft des in dieſen geſellſ<haftlihen Verbin-
dungen wahrgenommenen guten Beiſpiels. Deßhalb wird für die
Unfhuld und Unbefangenheit der für alle Eindrü>ke ſo empfäng-
lichen jugendlihen Seele beſſer geſorgt, wenn man die jüngere
Welt in ihrem eignen Kreiſe =- do< unter einer von ferne beob»
achtenden Aufſicht =“- läßt, als wenn man ſie abſic<htli< in die ſo
gemiſchten Geſellſchaften der Erwachſenen frühzeitig aufnimmt. Die
gewöhnlichen Folgen dieſer fehlerhaften Maxime kündigen ſi bald
als vorlaute Geſchwäßigkeit, bald als einſeitige Vielwiſſerei, bakd
als erfünſtelter Ernſt reiferer Jahre, bald als Standes- und Ranges-
Prätenſionen, bald als Verachtung der Perſonen von gleichem Alter,
bald als traurige Bekanntſchaft mit den Launen, ſittlichen Fehlern
und Verderbniſſen des Erwachſenen an. Genug, die natürliche
Stimmung des Knaben und Jünglings wird verſ<oben, und etwas
Fremdartiges angebildet und aufgedrungen, das nothwendig ſeine
Reife in phyſiſcher und intellectueller Hinſicht zu ſeinem größten
Nachtheile überzeitigt.
Nur ſelten wird es dann der Erzieher vermögen, durc die
Kraft fittliher Grundſäße die Macht der angenommenen Gewohn-
beiten wieder niederzuſHlagen; nur zu oft wird der Jüngling den
Ton der feinen Welt und die höhere Fleganz der Sitten, die durch
Routine ſo lei<t gewonnen werden kann, mit der Sittlichkeit, die
ſo ſchwer zu erwerben iſt, verwechſeln. Cs iſt daher zwar die Pflicht
des Erziehers, den Zögling zur Wohlanſtändigkeit und zur
Feinheit der äußern Sitten zu bilden, aber ihm zugleich auc< fühl-
bar zu machen, daß Beiden blos ein relativer Werth und einzig
nur der Sittlichkeit ein unbedingter Werth zukommt. Vergl. : |
Campe, Theophron. Braunſchweig.
v. Knigge, über den Umgang mit Menſ<en. Hannover.
Campe, Sittenbüchlein für Kinder. Braunſchweig.
Junker, Friedr. Auguſt, 1753 in Halle geboren, ward im
Waifenhauſe daſelbſt erzogen und 1775 als Lehrer in demſelben an-
geſtellt, 1799 wurde er Director des Waiſenhauſes in Braun-
ſ<weig. Er zeichnete ſich als tüchtiger Pädagog aus, Autf ſeine
Gehülfen hatte er dur< Wort und Beiſpiel den bedeutendſten Ein»
fluß. Seine Vorträge waren einfach, derb und fräftig. Nichts von
füßlihem Geſchwäß, nichts von äſthetiſch-myſtiſchen Phrafeologien.
Selbſt ſehr muſikaliſ< verſäumte er auch in ſeiner Schule den Ge-